München, Villa Clara Ziegler mit Theatermuseum
November 1932 – Persönliche Begegnung mit Hitler im Münchner Gärtnerplatztheater
Im Herbst zieht das junge Paar in eine Pension gegenüber der Akademie, in der sie zwei recht annehmbare Zimmer finden. Grete arbeitet tagsüber an ihrer Dissertation im Theatermuseum. Abends holt sie ihren Mann Edgar am Bühnenausgang der Kammerspiele ab. Danach fahren sie meistens in die Regina Bar, die ihr liebster Aufenthaltsort ist. „Wir tranken mäßig, machten uns nicht viel aus Alkohol, auch fehlte uns Geld. Wichtig war, dass wir Freunde Ort trafen, und ins Bett mochte niemand sofort nach der Aufführung gehen.“ In ihrer Autobiografie beschreibt Grete Weil rückblickend, welche Stimmung und düsteren politisch-gesellschaftlichen Umstände 1932 herrschen, in München im Theater und an den Kammerspielen. Außerdem schildert sie ihre persönliche Begegnung mit Hitler im Münchner Volkstheater:
Die Zukunft war düster geworden, obwohl man sich immer noch nicht eingestand, wie dunkel sie in Wirklichkeit war, denn die Nazis hatten bei den Wahlen im November 1932 etwas an Stimmen verloren. Zu den Kammerspielen gehörte damals das Volkstheater, an dem populäre Stücke und Singspiele gegeben wurden. Eines Tages hatte Edgar zwei Karten für eine Operette im Gärtnerplatz-Theater. Er sollte sich dort einen Tenor anhören, um festzustellen, ob der sich für eine geplante Inszenierung im Volkstheater eigne.
Wir hatten Karten für die erste Reihe, Lust hinzugehen, hatten wir überhaupt nicht, doch musste es sein. Wir zögerten so lange, dass wir erst am Ende des ersten Aktes kamen, trotzdem eingelassen wurden und uns möglichst leise auf unseren Plätzen niederließen.
Den Namen der Operette habe ich vergessen, es war ein Schmarren, in dem bei mäßiger Musik alberne Charaktere ständig von Kopfabschlagen und Ähnlichem sangen. In der Pause ging, wie damals oft in kleineren Theatern, eine Leinwand nieder, auf der Werbung gezeigt wurde.
Edgar war ins Foyer gegangen, um ein Programm zu kaufen. Ich blieb alleine sitzen, plötzlich hörte ich hinter mir eine gestresste Stimme sagen, laut genug, dass ich es trotz meiner Schwerhörigkeit gut verstehen konnte: „Das mag ich gar nicht, durch die Reklame wird man immer aus aller Illusion gerissen“. Mich zwang dieser Satz, mich umzudrehen, es war zu absurd, sich von diesem seichten Zeug in Illusionen versetzen zu lassen. Als ich den Kopf wandte, sah ich den Sprecher, sein Bärtchen, seine Haarsträhne, seine stechenden Augen. Ich schaute ihn an, blickte in Hitlers Augen. Keinen Meter von mir entfernt. Als ich ihn so aus der Nähe sah, schien er mir nichts als ein Schmierenschauspieler zu sein (–), so dass ich draußen Edgar berichtete, auf diesen Clown könne das deutsche Volk nicht hereinfallen, das sei vollkommen unmöglich. Ich war nicht die einzige, die so dachte. Wer hätte ahnen können, dass es richtig gewesen wäre, am nächsten Tag Deutschland zu verlassen? Wer würde so viel Energie, Mut und Weisheit gehabt haben, das zu tun?
(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben. S. Fischer, Frankfurt 2001, S. 101f.)
Ansichtskarte von München um 1900, Gärtnerplatztheater (Foto: privat)
November 1932 – Persönliche Begegnung mit Hitler im Münchner Gärtnerplatztheater
Im Herbst zieht das junge Paar in eine Pension gegenüber der Akademie, in der sie zwei recht annehmbare Zimmer finden. Grete arbeitet tagsüber an ihrer Dissertation im Theatermuseum. Abends holt sie ihren Mann Edgar am Bühnenausgang der Kammerspiele ab. Danach fahren sie meistens in die Regina Bar, die ihr liebster Aufenthaltsort ist. „Wir tranken mäßig, machten uns nicht viel aus Alkohol, auch fehlte uns Geld. Wichtig war, dass wir Freunde Ort trafen, und ins Bett mochte niemand sofort nach der Aufführung gehen.“ In ihrer Autobiografie beschreibt Grete Weil rückblickend, welche Stimmung und düsteren politisch-gesellschaftlichen Umstände 1932 herrschen, in München im Theater und an den Kammerspielen. Außerdem schildert sie ihre persönliche Begegnung mit Hitler im Münchner Volkstheater:
Die Zukunft war düster geworden, obwohl man sich immer noch nicht eingestand, wie dunkel sie in Wirklichkeit war, denn die Nazis hatten bei den Wahlen im November 1932 etwas an Stimmen verloren. Zu den Kammerspielen gehörte damals das Volkstheater, an dem populäre Stücke und Singspiele gegeben wurden. Eines Tages hatte Edgar zwei Karten für eine Operette im Gärtnerplatz-Theater. Er sollte sich dort einen Tenor anhören, um festzustellen, ob der sich für eine geplante Inszenierung im Volkstheater eigne.
Wir hatten Karten für die erste Reihe, Lust hinzugehen, hatten wir überhaupt nicht, doch musste es sein. Wir zögerten so lange, dass wir erst am Ende des ersten Aktes kamen, trotzdem eingelassen wurden und uns möglichst leise auf unseren Plätzen niederließen.
Den Namen der Operette habe ich vergessen, es war ein Schmarren, in dem bei mäßiger Musik alberne Charaktere ständig von Kopfabschlagen und Ähnlichem sangen. In der Pause ging, wie damals oft in kleineren Theatern, eine Leinwand nieder, auf der Werbung gezeigt wurde.
Edgar war ins Foyer gegangen, um ein Programm zu kaufen. Ich blieb alleine sitzen, plötzlich hörte ich hinter mir eine gestresste Stimme sagen, laut genug, dass ich es trotz meiner Schwerhörigkeit gut verstehen konnte: „Das mag ich gar nicht, durch die Reklame wird man immer aus aller Illusion gerissen“. Mich zwang dieser Satz, mich umzudrehen, es war zu absurd, sich von diesem seichten Zeug in Illusionen versetzen zu lassen. Als ich den Kopf wandte, sah ich den Sprecher, sein Bärtchen, seine Haarsträhne, seine stechenden Augen. Ich schaute ihn an, blickte in Hitlers Augen. Keinen Meter von mir entfernt. Als ich ihn so aus der Nähe sah, schien er mir nichts als ein Schmierenschauspieler zu sein (–), so dass ich draußen Edgar berichtete, auf diesen Clown könne das deutsche Volk nicht hereinfallen, das sei vollkommen unmöglich. Ich war nicht die einzige, die so dachte. Wer hätte ahnen können, dass es richtig gewesen wäre, am nächsten Tag Deutschland zu verlassen? Wer würde so viel Energie, Mut und Weisheit gehabt haben, das zu tun?
(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben. S. Fischer, Frankfurt 2001, S. 101f.)
Ansichtskarte von München um 1900, Gärtnerplatztheater (Foto: privat)