München, Widenmayerstraße
Wohnen an der Isar
Als Grete Weil sechs ist, im Jahr 1912, zieht die Familie nicht weit entfernt von der früheren Wohnadresse gelegen in die Widenmayerstraße zwischen Prinzregenten- und Tivolibrücke, nahe dem Friedensengel gegenüber. In ihrer Autobiographie Leb ich denn, wenn andere leben hat Grete Weil die damalige Wohnsituation im Haus in der Widenmayerstraße beschrieben. Des Weiteren schildert sie das Leben und den Alltag ihrer Familie in jener Zeit. Wir erfahren, in welchem Milieu die Familie sich damals bewegt und zu welchen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens man engeren Kontakt pflegt.
Wir hatten zwei Wohnungen in der zweiten Etage, das Haus besaß einen Aufzug, (welcher Spaß für mich). (Die eine Wohnung gehörte uns, die andere O. Nach dem Ersten Weltkrieg als Wohnraum knapp war, hätten wir (wie gut wäre es gewesen) fremde Leute hereinnehmen müssen). Stattdessen wurde die Wand zu 0's Wohnung herausgebrochen, so dass sie jetzt praktisch bei uns wohnte, keine eigene Küche, kein eigenes Bad und auch kein eigenes Dienstmädchen mehr hatte, was die Spannungen zwischen Mutter und ihr nur vergrößerte. Die Widenmayerstraße hatte kaum Verkehr (heute fahren dort Autos auf vier Spuren), man sah auf die Isar, die grün dahinsauste, noch ein wirklicher Gebirgsfluss. Im Frühjahr blühten in den Uferanlagen rosa die Mandelbäumchen [...].
Wir wohnten also an der Isar, hatten Bekannte und Freunde in Bogenhausen, dem Herzogpark, in Schwabing, Nymphenburg, Orten, die man leicht zu Fuß oder mit der Tram erreichen konnte. Es gab noch fast keine Autos, alles war bequem und ohne Gehetze zu bewältigen. Den Begriff Stress gab es noch nicht.
Man lebte im Abseits von Schwabing, das Münchens Ruhm als Kunststadt begründete. Natürlich ging man ins Theater, vor allem zu den Kammerspielpremieren, meine Eltern auch sicher ab und zu in den Simpel zu Katie Kobus, aber das waren Ausnahmen. Mit Georg Hirth, dem Herausgeber der Münchner Neuesten Nachrichten, der einzigen in Frage kommenden Zeitung waren die Eltern befreundet, und Vater war auch im Aufsichtsrat der Zeitschrift Jugend, die im selben Verlag herauskam. Wir besaßen in Egern alle Jahrgänge der Jugend gebunden, die bei der Emigration wie so vieles andere verloren gegangen sind.
(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben. S. Fischer, Frankfurt 2001, S. 52-54)
Widenmayerstraße (Stadtarchiv München)
Wohnen an der Isar
Als Grete Weil sechs ist, im Jahr 1912, zieht die Familie nicht weit entfernt von der früheren Wohnadresse gelegen in die Widenmayerstraße zwischen Prinzregenten- und Tivolibrücke, nahe dem Friedensengel gegenüber. In ihrer Autobiographie Leb ich denn, wenn andere leben hat Grete Weil die damalige Wohnsituation im Haus in der Widenmayerstraße beschrieben. Des Weiteren schildert sie das Leben und den Alltag ihrer Familie in jener Zeit. Wir erfahren, in welchem Milieu die Familie sich damals bewegt und zu welchen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens man engeren Kontakt pflegt.
Wir hatten zwei Wohnungen in der zweiten Etage, das Haus besaß einen Aufzug, (welcher Spaß für mich). (Die eine Wohnung gehörte uns, die andere O. Nach dem Ersten Weltkrieg als Wohnraum knapp war, hätten wir (wie gut wäre es gewesen) fremde Leute hereinnehmen müssen). Stattdessen wurde die Wand zu 0's Wohnung herausgebrochen, so dass sie jetzt praktisch bei uns wohnte, keine eigene Küche, kein eigenes Bad und auch kein eigenes Dienstmädchen mehr hatte, was die Spannungen zwischen Mutter und ihr nur vergrößerte. Die Widenmayerstraße hatte kaum Verkehr (heute fahren dort Autos auf vier Spuren), man sah auf die Isar, die grün dahinsauste, noch ein wirklicher Gebirgsfluss. Im Frühjahr blühten in den Uferanlagen rosa die Mandelbäumchen [...].
Wir wohnten also an der Isar, hatten Bekannte und Freunde in Bogenhausen, dem Herzogpark, in Schwabing, Nymphenburg, Orten, die man leicht zu Fuß oder mit der Tram erreichen konnte. Es gab noch fast keine Autos, alles war bequem und ohne Gehetze zu bewältigen. Den Begriff Stress gab es noch nicht.
Man lebte im Abseits von Schwabing, das Münchens Ruhm als Kunststadt begründete. Natürlich ging man ins Theater, vor allem zu den Kammerspielpremieren, meine Eltern auch sicher ab und zu in den Simpel zu Katie Kobus, aber das waren Ausnahmen. Mit Georg Hirth, dem Herausgeber der Münchner Neuesten Nachrichten, der einzigen in Frage kommenden Zeitung waren die Eltern befreundet, und Vater war auch im Aufsichtsrat der Zeitschrift Jugend, die im selben Verlag herauskam. Wir besaßen in Egern alle Jahrgänge der Jugend gebunden, die bei der Emigration wie so vieles andere verloren gegangen sind.
(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben. S. Fischer, Frankfurt 2001, S. 52-54)
Widenmayerstraße (Stadtarchiv München)