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Thomas Mann, 30.4.1900 (ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Atelier Elvira / TMA_0016)

Villino III (1920: Grammophon)

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Feldafing, Villino, Grammophon „Cremona“. Foto: Klaus Kanzog (2006)

Die 14 nachweisbaren Aufenthalte Thomas Manns im Villino zwischen März 1919 und März 1923 fallen in die Zeit einer gründlichen Neubesinnung. Am 22. Mai 1919 notiert er im Tagebuch, er erlebe eine „Tonio-Kröger-Einsamkeit“[35] aus der Zeit seiner Künstlernovelle von 1903. Es scheint, als beginne er sein künstlerisches Leben noch einmal ganz von vorn. Dazu kommt ein merkwürdiges Erlebnis.

Anfang Januar 1920 wurde das Villino „durch ein ausgezeichnetes Grammophon bereichert“.[36] Vermutlich handelte es sich dabei um ein Grammophon vom Typ „Cremona“. Als Katia Mann ihren Gatten damals ins Villino begleitete, wurde sie jedenfalls Zeugin eines folgenreichen Ereignisses: In dem kleinen Haus erklang große Oper.

Der Clou des Aufenthalts: sein vorzügliches Grammophon, das ich allein und mit K. und Richter beständig spielen ließ. Die Tannhäuser Ouvertüre. Bohême. Aida-Finale (italienischer Liebestod). Caruso, Battistini, die Melba, Tita Ruffo etc. Neues Motiv für den ›Zbg.‹, gedanklich und rein episch ein Fund.[37]

Nicht viel anders reagiert Hans Castorp im Zauberberg auf das Grammophon: „In ihm hieß es: ‚Halt! Achtung! Epoche! Das kam zu mir.‘“[38]

Feldafing, Hotel Kaiserin Elisabeth, Salon, mit demjenigen Grammophon (Electrola 192) wie es Thomas Mann baugleich in seinem Münchner Haus um 1930 besaß. Foto: Dirk Heißerer

Fast alles dreht sich jedenfalls in den kommenden Tagen und bei den folgenden Besuchen Thomas Manns in Feldafing um diesen „Zauberkasten“[39], diese „Wundertruhe“[40] zwischen Unterhaltung und Magie, wie er im Abschnitt „Fülle des Wohllauts“ des letzten Romankapitels so auffällig häufig genannt wird. Die Schallplatten oder „Literatur“, in den „Zauberbüchern“[41] der Alben verwahrt und von dem geradezu ‚atmenden‘ Apparat wieder zum Leben erweckt, inspirieren den erst im Sommer 1924 geschriebenen Abschnitt „Fülle des Wohllauts“, der die „siegende Idealität der Musik“[42] über Tod und Verderben beschwört.[43] Heute steht im Salon des Hotels Kaiserin Elisabeth ein Grammophon, wie es baugleich um 1930 bei Thomas Mann in seinem Münchner Haus stand; und bei Zauberberg-Konzerten erklingen hier hin und wieder Hans Castorps Lieblingsplatten.

 


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[35] Thomas Mann, Tagebuch, Feldafing, 22. Mai 1919. In: ebd., S. 246f.

[36] Thomas Mann, Tagebuch, 2. Januar 1920. In: ebd., S. 357.

[37] Thomas Mann, Tagebuch, München, 10. Februar 1920. In: ebd., S. 375.

[38] Thomas Mann: Der Zauberberg (wie Anm. 26), S. 969.

[39] Ebd., S. 971.

[40] Ebd., S. 968.

[41] Ebd., S. 966.

[42] Ebd., S. 977.

[43] Vgl. dazu Heißerer: Wellen (wie Anm. 12), S. 278-281.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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