Feldafing: „Villino“ I (1919-1923)
In Feldafing am Starnberger See konnte sich Thomas Mann ab 1919 wiederholt in das kleine, von ihm „Villino“ genannte Landhaus seines Freundes, des Kunsthistoriker, Kunsthändlers und Verlegers Georg Martin Richter (1875-1942) zurückziehen und sich ohne Familie besinnen und erholen. Wichtige Partien des Zauberberg wurden hier geschrieben oder angeregt. Thomas Mann beendete im Mai 1921 in der Gartenlaube hinter dem Haus das fünfte Kapitel (und damit den ersten der beiden Bände des Romans). Von einem Grammophon ließ er sich im Villino musikalisch für den berühmten Abschnitt „Fülle des Wohllauts“ im siebten Kapitel anregen.[13]
Das Haus an der heutigen Siemensstraße 25 wurde 1912 in der sogenannten Höhenberg-Kolonie, einem losen Villenensemble auf dem langgestreckten Moränenhügel südlich von Feldafing, für den Kaufmann Wilhelm Enders erbaut. Der Baustil fand nicht gleich Zustimmung und wurde in einem Gutachten wegen seines „bewusst betonten englischen Stilcharakters“[14] kritisiert. Der „erdgeschossige Bau mit Schopfwalmdach und hohem Zwerchhaus an der südlichen Eingangsseite“[15], 1955 und 1988 verändert, der seit 2001 unter Denkmalschutz steht, war schon für Georg Martin Richter, wie sich seine Tochter Gigi Crompton (1921-2020) im Gespräch 2001 erinnerte, „the little english cottage“. Beim ersten Verkauf 1913 kostete das Haus 7.200 Mark; nach zwei weiteren Besitzern, einem Umbau und einem Weltkrieg erwarb der aus Dresden gebürtige, langjährige gute Bekannte der Manns, der Kunsthistoriker, Kunsthändler und Verleger Dr. Georg Martin Richter (1875-1942), das Haus am 18. März 1919 für 48.000 Mark.[16] Um nach dem verlorenen Krieg, den Wirren der Revolution und der beginnenden Inflation etwas Geld in Sicherheit zu bringen, schlug Richter seinem Freund Thomas Mann die Investition in Kunstwerken und eine finanzielle Beteiligung am Villino vor.
Feldafing. Das Villino im Mai 2017. Foto: Helmut Hess.
Die Villino-Zeit war für Thomas Mann mehrfach wichtig. Seine politische Neuorientierung nach dem Ersten Weltkrieg vom national-konservativen Ästheten zum kosmopolitischen Demokraten lässt sich anhand der erhaltenen Tagebücher bis ins Detail veranschaulichen. Als wäre das Villino der Schauplatz für ein „politisches Märchen“, geht die Zeitgeschichte vor Ort aber noch weit über den Zauberberg hinaus. Der Roman endet mit dem „Donnerschlag“ des Ersten Weltkriegs. Dessen Folgen lassen sich auch vor Ort beispielhaft ablesen. Die Ortgeschichte um das Villino reicht von einer Villenkolonie um 1910 über die NS-Reichsschule (1934/38-1945), ein jüdisches Displaced-Persons-Camp (1945-1951) bis zur Fernmeldeschule des Heeres (seit 1956), die 1999 im Villino ein Museum der Zeit- und Literaturgeschichte einrichtete. Nach dem Verkauf des Geländes mit dem Villino an ein Krankenhaus 2012 wurde das Villino als Erinnerungsort noch bis Ende September 2018 genutzt. Seit der Schließung ist es jedoch für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich; die künftige Nutzung ist derzeit (Ende 2021), auch angesichts einer starken baulichen Veränderung, völlig unklar. Immerhin ist im Neubau des nahen Krankenhauses an der ebenfalls neuen Thomas-Mann-Straße im Herbst 2021 eine nicht-öffentliche Thomas-Mann-Ausstellung in der Cafeteria eingerichtet worden.
Zur Station 5 von 12 Stationen
[13] Vgl. ausführlich dazu ebd., S. 278-281.
[14] Ebd., S. 268.
[15] Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege. Abteilung C, Denkmalerfassung und Denkmalforschung, Denkmäler in Bayern / Denkmalliste Teil A: Baudenkmale, Untere Denkmalschutzbehörde, Nr. 21 Landkreis Starnberg, Gemeinde Feldafing, Objekt Tutzinger Straße 46 (Haus Nr. 61), Mitteilung an die Gemeinde Feldafing vom 24.07.2001 (Auskunft Dr. Georg Paula an Dr. Dirk Heißerer vom 05.11.2001).
[16] Heißerer: Wellen (wie Anm. 12), S. 268f.
Externe Links:
Literarischer Zimmerspaziergang zum Villino
Hörprobe im Literarischen Zimmerspaziergang zum Hotel Kaiserin Elisabeth
In Feldafing am Starnberger See konnte sich Thomas Mann ab 1919 wiederholt in das kleine, von ihm „Villino“ genannte Landhaus seines Freundes, des Kunsthistoriker, Kunsthändlers und Verlegers Georg Martin Richter (1875-1942) zurückziehen und sich ohne Familie besinnen und erholen. Wichtige Partien des Zauberberg wurden hier geschrieben oder angeregt. Thomas Mann beendete im Mai 1921 in der Gartenlaube hinter dem Haus das fünfte Kapitel (und damit den ersten der beiden Bände des Romans). Von einem Grammophon ließ er sich im Villino musikalisch für den berühmten Abschnitt „Fülle des Wohllauts“ im siebten Kapitel anregen.[13]
Das Haus an der heutigen Siemensstraße 25 wurde 1912 in der sogenannten Höhenberg-Kolonie, einem losen Villenensemble auf dem langgestreckten Moränenhügel südlich von Feldafing, für den Kaufmann Wilhelm Enders erbaut. Der Baustil fand nicht gleich Zustimmung und wurde in einem Gutachten wegen seines „bewusst betonten englischen Stilcharakters“[14] kritisiert. Der „erdgeschossige Bau mit Schopfwalmdach und hohem Zwerchhaus an der südlichen Eingangsseite“[15], 1955 und 1988 verändert, der seit 2001 unter Denkmalschutz steht, war schon für Georg Martin Richter, wie sich seine Tochter Gigi Crompton (1921-2020) im Gespräch 2001 erinnerte, „the little english cottage“. Beim ersten Verkauf 1913 kostete das Haus 7.200 Mark; nach zwei weiteren Besitzern, einem Umbau und einem Weltkrieg erwarb der aus Dresden gebürtige, langjährige gute Bekannte der Manns, der Kunsthistoriker, Kunsthändler und Verleger Dr. Georg Martin Richter (1875-1942), das Haus am 18. März 1919 für 48.000 Mark.[16] Um nach dem verlorenen Krieg, den Wirren der Revolution und der beginnenden Inflation etwas Geld in Sicherheit zu bringen, schlug Richter seinem Freund Thomas Mann die Investition in Kunstwerken und eine finanzielle Beteiligung am Villino vor.
Feldafing. Das Villino im Mai 2017. Foto: Helmut Hess.
Die Villino-Zeit war für Thomas Mann mehrfach wichtig. Seine politische Neuorientierung nach dem Ersten Weltkrieg vom national-konservativen Ästheten zum kosmopolitischen Demokraten lässt sich anhand der erhaltenen Tagebücher bis ins Detail veranschaulichen. Als wäre das Villino der Schauplatz für ein „politisches Märchen“, geht die Zeitgeschichte vor Ort aber noch weit über den Zauberberg hinaus. Der Roman endet mit dem „Donnerschlag“ des Ersten Weltkriegs. Dessen Folgen lassen sich auch vor Ort beispielhaft ablesen. Die Ortgeschichte um das Villino reicht von einer Villenkolonie um 1910 über die NS-Reichsschule (1934/38-1945), ein jüdisches Displaced-Persons-Camp (1945-1951) bis zur Fernmeldeschule des Heeres (seit 1956), die 1999 im Villino ein Museum der Zeit- und Literaturgeschichte einrichtete. Nach dem Verkauf des Geländes mit dem Villino an ein Krankenhaus 2012 wurde das Villino als Erinnerungsort noch bis Ende September 2018 genutzt. Seit der Schließung ist es jedoch für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich; die künftige Nutzung ist derzeit (Ende 2021), auch angesichts einer starken baulichen Veränderung, völlig unklar. Immerhin ist im Neubau des nahen Krankenhauses an der ebenfalls neuen Thomas-Mann-Straße im Herbst 2021 eine nicht-öffentliche Thomas-Mann-Ausstellung in der Cafeteria eingerichtet worden.
Zur Station 5 von 12 Stationen
[13] Vgl. ausführlich dazu ebd., S. 278-281.
[14] Ebd., S. 268.
[15] Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege. Abteilung C, Denkmalerfassung und Denkmalforschung, Denkmäler in Bayern / Denkmalliste Teil A: Baudenkmale, Untere Denkmalschutzbehörde, Nr. 21 Landkreis Starnberg, Gemeinde Feldafing, Objekt Tutzinger Straße 46 (Haus Nr. 61), Mitteilung an die Gemeinde Feldafing vom 24.07.2001 (Auskunft Dr. Georg Paula an Dr. Dirk Heißerer vom 05.11.2001).
[16] Heißerer: Wellen (wie Anm. 12), S. 268f.