Starnberg: Nicht-Aufenthalt (1902)
Ob Thomas Mann wirklich Mitte August des Jahres 1900 nach Starnberg gefahren ist, um dort seine Mutter zu besuchen, die dort mit ihrem jüngsten Kind, dem zehnjährigen Viktor, ein paar Tage Urlaub machte, kann heute nicht mehr entschieden werden.[2] Ganz sicher lässt sich dagegen ein Radausflug von München nach Starnberg Ende Mai 1902 zusammen mit einem Freund, dem Komponisten und Dirigenten Carl Ehrenberg nachweisen. An dessen Bruder, den Maler Paul Ehrenberg, schreibt Thomas Mann am 1. Juni 1902 aus der Ungererstraße 24/I:
Neulich, an einem sehr schönen Tage, als noch nicht solche Gluthitze herrschte, wie jetzt, sind Carl und ich nach Starnberg geradelt und haben uns jeder eine leidlich behagliche und jedenfalls sehr wohlfeile Bude für den Sommer gemiethet. Anfang Juli werde ich hinausziehen und ich glaube, auch Carl. Daß ich schon wieder packen muß, ist eine etwas unangenehme Perspektive. Und hoffentlich giebt es in Starnberg nicht zu viel Hitze. Das Rudern und die Billigkeit sind jedenfalls zu verlockend.[3]
Der junge Autor, für den ein Radausflug von München zum Starnberger See nichts Besonderes zu sein scheint, zeigt ein erstaunliches sportliches Interesse. Doch aus dem geplanten Aufenthalt in Starnberg wird nichts – im August entscheidet sich Thomas Mann, anstatt nach Starnberg besser nach Riva am Gardasee zu reisen, um sich dort zu erholen. Schon Ende November 1901 hatte er einen Monat im dortigen Reformsanatorium von Dr. Hartungen verbracht und dabei den Wasserfall von Varone entdeckt, der viel später eine Rolle im Roman Der Zauberberg spielen sollte.[4] Bei seinem zweiten Aufenthalt vom 2. Oktober bis 15. November 1902 im Sanatorium Hartungen vollendete Thomas Mann seine Künstlernovelle Tonio Kröger (vgl. Station 7) und erholte sich beim morgendlichen Rudern auf dem See ebenso wie bei therapeutischen Spaziergängen, die er danach ein Leben lang beibehielt.[5]
Angesichts dieser besseren Südtiroler Aussichten hatte Thomas Mann für Starnberg nicht mehr viel übrig, wie er Paul Ehrenberg am 20./21. August 1902 aus seiner Münchner Junggesellenwohnung an der Ungererstraße mitteilte:
Starnberg … ach, gewiß, Starnberg ist ja zweifellos wunderhübsch. Aber es wird ja nicht einmal Dein Bruder hinkommen. Und man ißt dort so – biderb. Und des heißen Kämmerleins, das ich dort einmal mit Carl zusammen in einem leichtfertigen Augenblick für mich mietete, (die Sache ist nun erledigt) kann ich mich nur mit hängendem Mundwinkel erinnern.[6]
Zur Station 2 von 12 Stationen
[2] Vgl. Thomas Mann, Brief an Otto Grautoff, München, 13. Juli 1900. In: Thomas Mann: Briefe an Otto Grautoff 1894-1901 und Ida Boy-Ed 1903-1928, hg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1975, S. 111f.
[3] Thomas Mann, Brief an Paul Ehrenberg, München, 1. Juni 1902. In: Thomas Mann: Briefe I 1889-1913, ausgew. u. hg. v. Thomas Sprecher, Hans R. Vaget u. Cornelia Bernini, Frankfurt a.M. 2002 (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe [GKFA], Bd. 21), S. 201-204, hier S. 204.
[4] Vgl. das Kapitel „Tristan im Sanatorium – Thomas Mann“. In: Dirk Heißerer: Meeresbrausen, Sonnenglanz. Poeten am Gardasee. Kreuzlingen/München 1999, S. 153-172, hier S. 160 sowie 165-170.
[5] Ebd., S. 165-170.
[6] Thomas Mann, Brief an Paul Ehrenberg, München, 20./21. August 1902. In: GKFA 21 (wie Anm. 3), S. 207-212, hier S. 208.
Ob Thomas Mann wirklich Mitte August des Jahres 1900 nach Starnberg gefahren ist, um dort seine Mutter zu besuchen, die dort mit ihrem jüngsten Kind, dem zehnjährigen Viktor, ein paar Tage Urlaub machte, kann heute nicht mehr entschieden werden.[2] Ganz sicher lässt sich dagegen ein Radausflug von München nach Starnberg Ende Mai 1902 zusammen mit einem Freund, dem Komponisten und Dirigenten Carl Ehrenberg nachweisen. An dessen Bruder, den Maler Paul Ehrenberg, schreibt Thomas Mann am 1. Juni 1902 aus der Ungererstraße 24/I:
Neulich, an einem sehr schönen Tage, als noch nicht solche Gluthitze herrschte, wie jetzt, sind Carl und ich nach Starnberg geradelt und haben uns jeder eine leidlich behagliche und jedenfalls sehr wohlfeile Bude für den Sommer gemiethet. Anfang Juli werde ich hinausziehen und ich glaube, auch Carl. Daß ich schon wieder packen muß, ist eine etwas unangenehme Perspektive. Und hoffentlich giebt es in Starnberg nicht zu viel Hitze. Das Rudern und die Billigkeit sind jedenfalls zu verlockend.[3]
Der junge Autor, für den ein Radausflug von München zum Starnberger See nichts Besonderes zu sein scheint, zeigt ein erstaunliches sportliches Interesse. Doch aus dem geplanten Aufenthalt in Starnberg wird nichts – im August entscheidet sich Thomas Mann, anstatt nach Starnberg besser nach Riva am Gardasee zu reisen, um sich dort zu erholen. Schon Ende November 1901 hatte er einen Monat im dortigen Reformsanatorium von Dr. Hartungen verbracht und dabei den Wasserfall von Varone entdeckt, der viel später eine Rolle im Roman Der Zauberberg spielen sollte.[4] Bei seinem zweiten Aufenthalt vom 2. Oktober bis 15. November 1902 im Sanatorium Hartungen vollendete Thomas Mann seine Künstlernovelle Tonio Kröger (vgl. Station 7) und erholte sich beim morgendlichen Rudern auf dem See ebenso wie bei therapeutischen Spaziergängen, die er danach ein Leben lang beibehielt.[5]
Angesichts dieser besseren Südtiroler Aussichten hatte Thomas Mann für Starnberg nicht mehr viel übrig, wie er Paul Ehrenberg am 20./21. August 1902 aus seiner Münchner Junggesellenwohnung an der Ungererstraße mitteilte:
Starnberg … ach, gewiß, Starnberg ist ja zweifellos wunderhübsch. Aber es wird ja nicht einmal Dein Bruder hinkommen. Und man ißt dort so – biderb. Und des heißen Kämmerleins, das ich dort einmal mit Carl zusammen in einem leichtfertigen Augenblick für mich mietete, (die Sache ist nun erledigt) kann ich mich nur mit hängendem Mundwinkel erinnern.[6]
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[2] Vgl. Thomas Mann, Brief an Otto Grautoff, München, 13. Juli 1900. In: Thomas Mann: Briefe an Otto Grautoff 1894-1901 und Ida Boy-Ed 1903-1928, hg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1975, S. 111f.
[3] Thomas Mann, Brief an Paul Ehrenberg, München, 1. Juni 1902. In: Thomas Mann: Briefe I 1889-1913, ausgew. u. hg. v. Thomas Sprecher, Hans R. Vaget u. Cornelia Bernini, Frankfurt a.M. 2002 (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe [GKFA], Bd. 21), S. 201-204, hier S. 204.
[4] Vgl. das Kapitel „Tristan im Sanatorium – Thomas Mann“. In: Dirk Heißerer: Meeresbrausen, Sonnenglanz. Poeten am Gardasee. Kreuzlingen/München 1999, S. 153-172, hier S. 160 sowie 165-170.
[5] Ebd., S. 165-170.
[6] Thomas Mann, Brief an Paul Ehrenberg, München, 20./21. August 1902. In: GKFA 21 (wie Anm. 3), S. 207-212, hier S. 208.