Fürstenstraße 8-10: Franz von Kobell, Karl Alexander von Müller
Unweit der Fürstenstraße 5 ließ sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Richtung See Staatsrat Egid von Kobell ein Sommerhaus bauen mit einem daneben liegenden Ökonomiegebäude für das Personal, diversen Wirtschaftsräumen und Pferdestallungen. Die als Hausnummer 8 und 10 erhaltenen Gebäude tragen den Stil eines herrschaftlichen oberbayerischen Gutshauses mit unverkennbaren Elementen des Biedermeier und werden heute als Mietshäuser genutzt.
Es steht zu vermuten, dass Franz von Kobell sich während seiner Aufenthalte in Egern bei seinem Schwiegervater zu seiner 1871 veröffentlichten G'schicht vom Brandner Kasper inspirieren ließ und dass die Arbeit an der Erzählung auch im Haus Fürstenstraße 8/10 stattfand.
In den 1890er-Jahren gelangte die Fürstenstraße 8/10 über mehrere Hände an den oberschlesischen Magnaten Guido Graf Henckel, späteren Fürsten von Donnersmarck, der zu den bedeutendsten Industriellen der „Gründerzeit“ (1871-1918) des Deutschen Reiches von 1871 gehörte – im Tegernseer Tal wurde er seinerzeit wegen seiner schlesischen Kohlengruben und Bergwerksbesitzungen der „Kohlenfürst“ genannt.
Er und seine russische Frau und beider Nachfahren nutzten das Anwesen nur als Sommerhaus und empfingen Gäste aus dem Tal sowie aus ganz Deutschland und dem Ausland, vor allem aus der Finanz- und Adelswelt, der Politik, Kunst und Wissenschaft.
Nach 1945 nahmen die Henckel von Donnersmarck, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges all ihre Besitzungen verloren hatten, als Flüchtlinge hier ihren permanenten Wohnsitz.
Fürstenstraße 8 mit Park (Postkarte). Foto: Anna Henckel-Donnersmarck
Der bekannte und vor allem für die bayerische Geschichte bedeutende Historiker Karl Alexander von Müller (1882-1962), der Professor der Münchner Universität war und während des Krieges 1943 eine Wohnung in der Fürstenstraße 10 bezog und hier starb, schrieb einen Essay u.d.T. Die Fürstenstraße, in dem es zu den Gästebüchern des Hauses – ausschnittsweise – heißt:
Auf ihren Blättern begegnet man fast allen regierenden deutschen Fürstenhäusern, Hohenzollern und Wittelsbachern, Habsburgern, Wetteifern und Welfen, Mecklenburgern, Württembergern und Hessen, einem früheren Zaren von Bulgarien, einem einmaligen König von Albanien, einer Prinzessin Vera von Rußland. Auffälliger (und tegernseerischer) ist schon, wie selbstverständlich sie sich hier mit Einheimischen mischen. Wer nicht Bescheid weiß, sieht keinen Unterschied zwischen einer Benigna Reuß und einer Afra Schulz, die ihr auf dem Fuße folgt oder zwischen einem Wilhelm Wied und einem Hans Schmatzer aus Tegernsee. [...] Die Tegernseer vor allem werden wenige ihrer bekannten Namen vermissen. Neben den klaren Schriftzügen Ludwig Thomas (dessen letzter Brief an dies Haus gerichtet war) findet man die mächtige Klaue Leo Slezaks wie die zarten Unterschriften Heinrich und Alexander Spoerls. Die Töchter des Dichters Karl Stieler sind da und der Sohn Ganghofers, der volkstümliche Prälat Haidl und Graf Heinrich Luxburg, einer der feinsinnigsten Vermittler des Tales, der Direktor von Bad Wiessee und der Präsident der herzoglichen Güterverwaltung, der Geschichtsschreiber von Tegernsee P. Stadler, die Meisterphotographin Julie von Knows-Wedekind, wie der greise Cellist Wilhelm Lamping. Seltsam mengen sich darunter oft Freunde aus aller Herren Länder, Engländer und Amerikaner, Peruaner und Perser, Holländer und Schweden, auch unter ihnen eingestreut weithinklingende Namen – de Castellande, Hamilton, Orsini.
Und angeführt von Meister Olaf Gulbransson melden sich die Kunstmaler unsres Tales – wir nennen nur Thomas Baumgartner, P. M. Padua, Willi Schmid, Paul Mildner. Aber auch um sie scharen sich Nicht-Tegernseer.[...] Der Grundbaß sozusagen, alle die Jahre hindurch, bildet der deutsche Adel, von Ostpreußen und den baltischen Ländern bis nach Württemberg und Baden, von der friesischen Küste bis nach Österreich und Ungarn – er könnte allein ein Heft füllen.
Wie viele historische Namen, auf die man stößt, Metternich und Moltke, Lehmann, Hollweg und Radowitz, Thurn und Taxis und Montgelas, Götz von Berlingen und Schwerin. Die Diplomatenfamilien der bismarckianischen Zeit scheinen fast vollständig vertreten; keineswegs alle im Ruhestand. Der eine Gast vermerkt, daß er gerade aus San Franzisko kommt, der andere fährt nach Rom, ein dritter ziehet aus, um auf einem Segelschiff das Kap Horn zu umfahren und, an den Mast gebunden, die höchsten Wellen zu photographieren, welche die Meere auf unserm Planeten im Sturm emportürmen – ein Teil dieser Bilder hängt hier im Haus auf dem Treppenflur. Und auch da bleibt das Kennzeichnende die Mischung: nicht nur mit dem einheimischen Element, sondern auch mit allen Arten geistiger Berufe, Medizinern und Geistlichen, Gelehrten und Künstlern.
Nicht nur Karl Alexander von Müller hat einen Teil seiner Bücher in der Fürstenstraße 8/10 verfasst, sondern auch Georg Dehio, der in den 1920er-Jahren mehrfach sommerlicher Dauergast war, schrieb hier als „Vater der deutschen Kunstgeschichte“ an seinen Werken.
Der Name „Fürstenstraße“ schließlich geht zurück auf mehrere Fürsten und Prinzen: Prinz Franz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ließ sich bereits in den 1850er-Jahren am südlichen Ende der Straße nieder, während sein Zwillingsbruder Prinz Otto zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg schräg gegenüber die heutige Fürstenstraße 5 bezog, die später bis 2010 der aus Polen stammenden Fürstenfamilie Radolin gehörte. Auf derselben Straßenseite, gegenüber des Hauses des Fürsten Donnersmarck, nannte ein russischer Fürst eine herrschaftliche, bayerische Villa sein Eigen, die heute nicht mehr erhalten ist.
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Unweit der Fürstenstraße 5 ließ sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Richtung See Staatsrat Egid von Kobell ein Sommerhaus bauen mit einem daneben liegenden Ökonomiegebäude für das Personal, diversen Wirtschaftsräumen und Pferdestallungen. Die als Hausnummer 8 und 10 erhaltenen Gebäude tragen den Stil eines herrschaftlichen oberbayerischen Gutshauses mit unverkennbaren Elementen des Biedermeier und werden heute als Mietshäuser genutzt.
Es steht zu vermuten, dass Franz von Kobell sich während seiner Aufenthalte in Egern bei seinem Schwiegervater zu seiner 1871 veröffentlichten G'schicht vom Brandner Kasper inspirieren ließ und dass die Arbeit an der Erzählung auch im Haus Fürstenstraße 8/10 stattfand.
In den 1890er-Jahren gelangte die Fürstenstraße 8/10 über mehrere Hände an den oberschlesischen Magnaten Guido Graf Henckel, späteren Fürsten von Donnersmarck, der zu den bedeutendsten Industriellen der „Gründerzeit“ (1871-1918) des Deutschen Reiches von 1871 gehörte – im Tegernseer Tal wurde er seinerzeit wegen seiner schlesischen Kohlengruben und Bergwerksbesitzungen der „Kohlenfürst“ genannt.
Er und seine russische Frau und beider Nachfahren nutzten das Anwesen nur als Sommerhaus und empfingen Gäste aus dem Tal sowie aus ganz Deutschland und dem Ausland, vor allem aus der Finanz- und Adelswelt, der Politik, Kunst und Wissenschaft.
Nach 1945 nahmen die Henckel von Donnersmarck, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges all ihre Besitzungen verloren hatten, als Flüchtlinge hier ihren permanenten Wohnsitz.
Fürstenstraße 8 mit Park (Postkarte). Foto: Anna Henckel-Donnersmarck
Der bekannte und vor allem für die bayerische Geschichte bedeutende Historiker Karl Alexander von Müller (1882-1962), der Professor der Münchner Universität war und während des Krieges 1943 eine Wohnung in der Fürstenstraße 10 bezog und hier starb, schrieb einen Essay u.d.T. Die Fürstenstraße, in dem es zu den Gästebüchern des Hauses – ausschnittsweise – heißt:
Auf ihren Blättern begegnet man fast allen regierenden deutschen Fürstenhäusern, Hohenzollern und Wittelsbachern, Habsburgern, Wetteifern und Welfen, Mecklenburgern, Württembergern und Hessen, einem früheren Zaren von Bulgarien, einem einmaligen König von Albanien, einer Prinzessin Vera von Rußland. Auffälliger (und tegernseerischer) ist schon, wie selbstverständlich sie sich hier mit Einheimischen mischen. Wer nicht Bescheid weiß, sieht keinen Unterschied zwischen einer Benigna Reuß und einer Afra Schulz, die ihr auf dem Fuße folgt oder zwischen einem Wilhelm Wied und einem Hans Schmatzer aus Tegernsee. [...] Die Tegernseer vor allem werden wenige ihrer bekannten Namen vermissen. Neben den klaren Schriftzügen Ludwig Thomas (dessen letzter Brief an dies Haus gerichtet war) findet man die mächtige Klaue Leo Slezaks wie die zarten Unterschriften Heinrich und Alexander Spoerls. Die Töchter des Dichters Karl Stieler sind da und der Sohn Ganghofers, der volkstümliche Prälat Haidl und Graf Heinrich Luxburg, einer der feinsinnigsten Vermittler des Tales, der Direktor von Bad Wiessee und der Präsident der herzoglichen Güterverwaltung, der Geschichtsschreiber von Tegernsee P. Stadler, die Meisterphotographin Julie von Knows-Wedekind, wie der greise Cellist Wilhelm Lamping. Seltsam mengen sich darunter oft Freunde aus aller Herren Länder, Engländer und Amerikaner, Peruaner und Perser, Holländer und Schweden, auch unter ihnen eingestreut weithinklingende Namen – de Castellande, Hamilton, Orsini.
Und angeführt von Meister Olaf Gulbransson melden sich die Kunstmaler unsres Tales – wir nennen nur Thomas Baumgartner, P. M. Padua, Willi Schmid, Paul Mildner. Aber auch um sie scharen sich Nicht-Tegernseer.[...] Der Grundbaß sozusagen, alle die Jahre hindurch, bildet der deutsche Adel, von Ostpreußen und den baltischen Ländern bis nach Württemberg und Baden, von der friesischen Küste bis nach Österreich und Ungarn – er könnte allein ein Heft füllen.
Wie viele historische Namen, auf die man stößt, Metternich und Moltke, Lehmann, Hollweg und Radowitz, Thurn und Taxis und Montgelas, Götz von Berlingen und Schwerin. Die Diplomatenfamilien der bismarckianischen Zeit scheinen fast vollständig vertreten; keineswegs alle im Ruhestand. Der eine Gast vermerkt, daß er gerade aus San Franzisko kommt, der andere fährt nach Rom, ein dritter ziehet aus, um auf einem Segelschiff das Kap Horn zu umfahren und, an den Mast gebunden, die höchsten Wellen zu photographieren, welche die Meere auf unserm Planeten im Sturm emportürmen – ein Teil dieser Bilder hängt hier im Haus auf dem Treppenflur. Und auch da bleibt das Kennzeichnende die Mischung: nicht nur mit dem einheimischen Element, sondern auch mit allen Arten geistiger Berufe, Medizinern und Geistlichen, Gelehrten und Künstlern.
Nicht nur Karl Alexander von Müller hat einen Teil seiner Bücher in der Fürstenstraße 8/10 verfasst, sondern auch Georg Dehio, der in den 1920er-Jahren mehrfach sommerlicher Dauergast war, schrieb hier als „Vater der deutschen Kunstgeschichte“ an seinen Werken.
Der Name „Fürstenstraße“ schließlich geht zurück auf mehrere Fürsten und Prinzen: Prinz Franz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ließ sich bereits in den 1850er-Jahren am südlichen Ende der Straße nieder, während sein Zwillingsbruder Prinz Otto zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg schräg gegenüber die heutige Fürstenstraße 5 bezog, die später bis 2010 der aus Polen stammenden Fürstenfamilie Radolin gehörte. Auf derselben Straßenseite, gegenüber des Hauses des Fürsten Donnersmarck, nannte ein russischer Fürst eine herrschaftliche, bayerische Villa sein Eigen, die heute nicht mehr erhalten ist.
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