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Grete Weil im BMW (Archiv Monacensia)

Nördliche Hauptstr. 9: Rathaus

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Rathaus Rottach-Egern. Foto: Leonhard Geller (Gemeindearchiv Rottach-Egern)

Am 28. August 1888 machte Kaiserin Sissi einen Besuch im Rottacher Rathaus, das damals noch die „Villa Valerie“ war und der Nichte Sissis gehörte. Heute findet man in der früheren Villa – seit 1927 Rathaus von Rottach-Egern – eine Gedenktafel, die an den Besuch der Kaiserin erinnert. Hier hat Grete Weil am 7. Juli 1932 geheiratet. Wie kam es dazu? 

Liebe 

Schon einige Jahre zuvor hatte sich die Freundschaft zu ihrem zwei Jahre jüngeren Cousin Edgar Weil, dessen Eltern in Frankfurt die chemische Fabrik Weil besaßen, zu einer Liebesbeziehung entwickelt. Auch Edgar ist jüdischer Herkunft, 1931 promoviert er in Literatur und Philosophie. Er schwankt, ob er seinem Vater zuliebe in dessen Arzneimittelfabrik arbeiten oder lieber dem eigenen Wunsch folgen und als Dramaturg am Theater arbeiten sollte. 1931 entscheiden Edgar Weil und Grete Dispeker sich dazu, zunächst für ein halbes Jahr nach Paris an die Sorbonne zu gehen, wo Grete Weil Germanistik studiert, in der vagen Hoffnung, später einmal mit Edgar zusammen einen Verlag aufzumachen.  

Als beide nach München zurückkehren, nimmt Edgar Weil eine Stelle als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen an, während Grete seit 1932 an einer Doktorarbeit über die Entwicklung des Bürgertums am Beispiel des zwischen 1786 und 1827 erscheinenden Journals des Luxus und der Mode arbeitet. Sie schreibt die Erzählung Erlebnis einer Reise. In ihr schildert sie die Auflehnung junger Menschen gegenüber den bürgerlichen Moralvorstellungen am Ende der Weimarer Republik. 

Regina-Palast-Hotel, Sign. DE-1992-FS-PK_STB-14339 (Stadtarchiv München)  

Heirat  

Im Juli 1932 heiraten Grete Dispeker und Edgar Weil. Die standesamtliche Trauung findet im Rathaus von Rottach-Egern statt. Gefeiert wird am Abend in München in der an die Kammerspiele angrenzenden Regina Bar. Grete Weil hat den Tag ihrer Hochzeit und die anschließenden Wochen wie folgt beschrieben: 

Wir heirateten auf dem Bürgermeisteramt in Egern. Trauzeugen waren unsere beiden Brüder. Edgars Eltern waren aus Frankfurt gekommen, doch wir wollten kein Fest. Der Tag sollte sein wie jeder andere. Vom Rathaus aus gingen wir schwimmen. Unsere Köchin Johanna, die schon viele Jahre bei uns war, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und erzählte herum: „Unsere Grete hat in einem kunstseidenen Sommerkleid geheiratet.“ Zunächst wohnten wir in der Münchner Wohnung meiner Eltern, die den Sommer über in Egern blieben. 

Edgar war zweiter Dramaturg bei den Münchner Kammerspielen mit einer winzigen Gage, die zudem von dem kurz vor der Pleite stehenden Theater nur unregelmässig ausgezahlt wurde. Am Abend des Hochzeitstages fuhren wir mit der Bahn nach München und feierten still mit einem gutem Freund in der Regina-Bar. Wir hatten uns von den Eltern als Hochzeitsgeschenk ein Auto gewünscht, doch Edgars Vater fand das übertrieben und meinte, Edgar solle erst selbst genug verdienen, bevor er sich einen solchen Luxus wie ein Auto leistete. Seine und meine Eltern gaben uns Geld für den zukünftigen Wagen... Als Onkel und Tante in Grainau mir zur Hochzeit ganz unerwartet ein Geldgeschenk machten, kauften wir uns sofort einen gebrauchten Dixiwagen, das war ein kleiner BMW (der Marke bin ich treu geblieben), leuchtend blau wie die Münchner Trambahnen und mit elfenbeinfarbenen Kotflügeln.

(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben, S. 54 und 97f.) 

Im Herbst zieht das Paar in München in eine Pension. Grete arbeitet an ihrer Dissertation im Theatermuseum. Abends holt sie ihren Mann am Bühnenausgang der Kammerspiele ab. Danach fahren sie zur Entspannung in die Regina Bar, ihren Lieblingsort. In ihrer Autobiografie beschreibt Grete Weil die düsteren politisch-gesellschaftlichen Umstände, die 1932 in München und an den Kammerspielen herrschen. Oft fährt sie in dieser Zeit zu ihren Eltern nach Egern. 

Grete Weils Heiratsurkunde. Foto: Leonhard Geller (Gemeindearchiv Rottach-Egern)

1933: Machtübernahme der Nationalsozialisten 

Dass mit der Symbiose aus Juden und Bayern seit Ende der 1920er-Jahre Schluss ist, dafür sorgen die Nationalsozialisten, die seit 1933 an der Macht sind. Rückblickend auf diese Zeit äußert sich Grete Weil später dazu in ihren Lebenserinnerungen: 

Habe ich es gewusst, dass es lebensgefährlich war, Jude oder Jüdin zu sein? 

Nein, ich hab es nicht gewusst, so wenig wie meine Eltern oder irgendwer aus unserer Familie. Hat die kleine, die glückliche Grete irgendwann begriffen, dass sie nicht nur mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde, sondern dass sie durch ihre Geburt in eine tödliche Falle gelaufen war? 

Es hat sehr lange gedauert, bis sie es begriff, und ich weiß noch nicht sicher, ob sie es heute ganz verstanden hat. Denn was ist das überhaupt: Jude? Wir lebten wie alle Menschen rings um uns, feierten Weihnachten mit einer mit bunten Kugeln und Lametta geschmückten Riesentanne in Egern. Zu Ostern gab es in Garten und Haus versteckte Schokoladeneier. Fritz war nicht beschnitten (ich habe sehr lange nicht gewusst, was das ist), und bei Mädchen gab es sowieso kein Kennzeichen. Wir gingen weder zur Kirche noch zur Synagoge, sprachen keine Gebete, redeten nicht über Gott, ganz sicher nicht über Jahwe. Dass der Antisemitismus im Land wuchs, das nahmen wir, versteht sich, zur Kenntnis, wenn es uns selbst auch erst spät betraf... In amtlichen Dokumenten, z.B. auf dem Schulbogen, war bei uns als Religion nicht jüdisch, sondern israelitisch oder mosaisch angegeben... Jude, was ist das? Ich habe es als Mädchen nicht gewußt und weiß es heute auch nicht genau. 

(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben, S. 73f.). 

Edgar Weil wird 1933 aus den Kammerspielen entlassen. Für zwei Wochen kommt er in Polizeihaft. Danach muss er in Frankfurt die Arisierung der väterlich-pharmazeutischen Fabrik vollziehen. 

Die politischen Umstände zwingen Grete und Edgar Weil radikal, ihr Leben umzudenken. Nach langen Überlegungen fassen sie den Entschluss, nach Amsterdam zu emigrieren. Während Edgar schon Anfang 1935 nach Amsterdam emigriert, um hier eine Fabrik aufzubauen, absolviert Grete noch eine Fotografie-Lehre bei dem bekannten Münchner Porträtfotografen Eduard Wasow (1879-1944), mit dem Ziel, nach der Emigration in Amsterdam als Fotografin zu arbeiten. Seit dem 18. Dezember 1935 ist sie auf der „persoonskaart“ gemeldet, die noch immer im Gemeindearchiv in Amsterdam liegt.  

Auch Dr. Siegfried Dispeker wird ab 1933 als Anwalt arbeitslos. Gretes Eltern geben München als Wohnort auf, ziehen nach Egern und betreiben in ihrem Haus eine Pension, in der sie jüdische Bekannte als zahlende Gäste aufnehmen: 

Welcher Arier wollte sich noch durch einen jüdischen Anwalt vertreten lassen? Tatsächlich gab es einige, die treu zu meinen Vater hielten. Zu ihnen gehörten die Besitzer des weltbekannten Feinkostladens Dallmayr. Doch es reichte nicht, um den bisherigen Lebensstandard beizubehalten. Die Eltern gaben die Wohnung in der Widenmayerstraße auf, zogen ganz nach Egern, wo sie jüdische Bekannte, die kaum mehr irgendwo auf dem Land in einem Hotel oder einer Gastwirtschaft Ferien machen konnten, als paying guests aufnahmen.  

(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben, S. 112)  

Antisemitismus in Rottach-Egern 

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte in den Orten rund um den Tegernsee ein kulturell vielfältiges und buntes Leben existiert. Ob jüdisch oder nicht-jüdisch: Einheimische und Sommerfrischler hatten gleichermaßen die Schönheit der Landschaft genossen. Auch Rottach besaß eine reiche Tradition jüdischer Kultur. Wie Grete Weil in ihren Lebenserinnerungen berichtet, gab es hier sogar ein jüdisches Kinderheim, in dem Walter Jokisch, Edgars Weil Freund, und Grete Weils späterer zweiter Ehemann, Anfang 1934 als Lehrer arbeitete. 

Zunehmend sehen sich die Weils und andere Bürger jüdischer Herkunft, die sie sich selbst als Bayern und Egerner begreifen, bald in Rottach mit antisemitischen Drohungen konfrontiert. In ihren Lebenserinnerungen berichtet Grete Weil, dass irgendwann auch auf dem Rottacher Ortsschild die Aufschrift stand: „Juden unerwünscht“Sie erzählt auch von antisemitischen Schmierereien in der Fürstenstraße unmittelbar vor ihrem Elternhaus und von dem Brief, den ihr Vater 1935 deswegen an den Bürgermeister in Rottach geschrieben hat und der noch heute im Gemeindearchiv von Rottach liegt: 

Vor mir liegt die Ablichtung eines Briefes, den mein Vater im Mai 1935 an den damaligen Bürgermeister geschrieben hat und den ein mir freundlich gesonnener Bewohner jetzt hat zukommen lassen, um seinen späten Abscheu vor den Ereignissen zu bekunden. Mein Vater schreibt darin, dass auf der Straße vor unserem Haus mit roten Riesenbuchstaben gestanden habe: „Judenschwein packe dich fort.“ Packe dich fort – das war kein Bayer, so redet ein Bayer nicht, doch es war schlimm genug. Der Brief meines Vaters, der sich beschwerte und meinte, es schade dem Ansehen des Ortes, und der Bürgermeister könne etwas dagegen tun, ist naiv, aber im Mai 1935 war man eben noch naiv und ahnte auch nach zwei Jahren der Nazi-Herrschaft nicht, was kommen würde. 

(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben, S. 50f.) 

Edgar Weil. Foto von Grete Weil aus dem Fotoatelier Wasow (Archiv Monacensia)

1937: Letztes Zusammentreffen in Egern 

Ende 1935 folgt Grete Weil ihrem Mann ins Exil nach Amsterdam. 1937 gelingt es ihr unter abenteuerlichen Umständen noch einmal aus den Niederlanden nach Deutschland zu fliegen und sich von ihrem Vater unmittelbar vor seinem Tod in Egern zu verabschieden: 

Fürsorglich wie er ist, hat Vater mir für diese Reise ein Flugticket geschenkt, das ich jetzt benutze, als Mutter mich anruft. Eine Deutschlandreise ist mittlerweile für Emigranten besonders aufregend, weil sie oft an der Grenze zurückgeschickt werden. Aber Mutter hat den Grund meines Kommens und auch die Nummer der Maschine, mit der ich aus Amsterdam abfliege, der Lufthansa durchgegeben, so dass das voll besetzte Flugzeug, in das ich in Frankfurt umsteige, gewartet hat und mich, auf dem Boden sitzend, noch mitnimmt. Tatsächlich bin ich schneller in München als Fritz, der aus Berlin kommt, und treffe Vater gerade noch lebend an. 

(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben, S. 139f.)

Ohne Angaben von Gründen wird Grete Weils Mutter, Isabella Dispeker, 1937 der Pass in Egern abgenommen: „Die Nazis wollen uns außer Landes haben, versuchen aber gleichzeitig, uns durch ausgeklügelte Schikanen die Auswanderung zu erschweren“, schreibt Grete Weil.  

In der Nacht zum 10. November 1938 startet das NS-Regime mit der Reichskristallnacht die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung. Damit beginnt die systematische Vertreibung, Enteignung und Vernichtung der Juden.  

 


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Verfasst von: TELITO / Dr. Ingvild Richardsen

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