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Franziska zu Reventlow 1905 © Münchner Stadtmuseum, Fotomuseum

Amalienstr. 14 (heute 25): Café Stefanie

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Café Stefanie, Amalienstraße 14 © Stadtarchiv München, Signatur DE-1992-FS-STB-6952

Wie viele andere sitzt auch der Literat Josef Ruederer (1861-1915) im Café Stefanie:

Von außen wie jedes andere der zahllosen Lokale, von innen ein wesentlich anderes Bild. Schon der Geruch ist verschieden. Keine Zigarren, nur Zigaretten, kein Bier, nur Stefan George. Nicht, als ob der gefeierte Dichter in eigener Person zugegen wäre: seine Jünger, seine Bekenner, seine Verehrer sitzen herum. In allen Altern, in allen Typen, in allen Geschlechtern. (Ruederer, S. 81)

Einer der Stammgäste ist der Arzt und Psychoanalytiker Otto Gross. Er hat ein massives Vaterproblem (wie Mühsam, so wie Franziska Reventlow ein Mutter-Problem hat, das aber nicht als solches thematisiert wird). Nach einer Ausbildung bei Sigmund Freud predigt er die Wiedereinführung des Mutterrechts, die Befreiung von patriarchalen Strukturen. Laut Leonhard Frank hat er

[...] ein Bild von der Zukunft der Menschheit, die den komplexfreien Menschen gehören würde, und in welcher die Menschen in Gruppen zu viert, zwei Männer, zwei Frauen, zusammenleben sollten, um jede Art von Verdrängung radikal zu beseitigen. Ein paradiesischer Zustand würde eintreten, wo es weder „Vater“ noch „Mutter“, weder „Söhne“ noch „Töchter“ gäbe, denn alle Kinder würden der Gemeinschaft gehören, ihr ausschließlich. (Frank, S. 34)

Gross hält im „Stefanie“ therapeutische Sitzungen ab. Franziska zu Reventlow dürfte ihm als „Patientin“ besonders interessant erscheinen. Sie erzählt Erich Mühsam eines Tages, „worüber alles sie Auskunft hätte geben sollen. Sie hatte den Doktor ausgelacht und ihn gefragt, ob er denn wirklich meine, von sehr vielen seiner Patienten die Wahrheit zu hören [...]“. (Liebe, Treue ..., S. 176)

Diese „Sitzungen“ mit Otto Gross, ihre lebenslange finanzielle Not, die Erfahrungen aus Aufenthalten in Sanatorien gießt sie ebenso in den Roman Der Geldkomplex (1916) wie die Scheinehe und die erhoffte Erbschaft in Ascona. Die Protagonistin und weitere Personen befinden sich in einem Sanatorium und sollen eine Therapie durchlaufen. Sie schreibt einer Freundin über den Aufenthalt, die anderen Insassen, das Thema Geld.

Es begann sich an mir zu rächen, und das Infame an dieser Rache war, daß es mich nicht nur mied, sondern eben durch seine völlige Abwesenheit all meine Gedanken und Gefühle ausschließlich erfüllte, mich vollständig in Anspruch nahm und sich nicht mehr ins Unterbewußtsein verdrängen ließ. (Geldkomplex, S. 68)

Über etwas mehr als 60 Seiten wird der Komplex auf höchst amüsante Weise abgehandelt.

Ein begeisterter Theodor Heuss schreibt im Erscheinungsjahr für die Zeitschrift März eine Rezension:

[...] eine Reihe graziöser, witziger, unkorrekter Frauenbriefe aus dem Sanatorium. Eine entzückende Laune beherrscht das Buch [...]. Stilistisch durchsichtig und bewegt, in der Haltung geistreich und ungemein unterhaltend. Der Geldkomplex ist der Zwang, an das Geld denken zu müssen, vor allem an jenes, das man nicht hat, aber doch irgendwoher erwartet. Diese „Zwangsvorstellung“ wird zum Arbeitsfeld der Psychiatrie und hier, in diesem Büchlein, ergibt sich die Verspottung der Adepten der Freudschen Psychoanalyse. (zit. n. Kubitschek, S. 456)

 


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Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Adelheid Schmidt-Thomé