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Franziska zu Reventlow 1905 © Münchner Stadtmuseum, Fotomuseum

Georgenstr. 29: Rolf, das geliebte Kind

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Franziska zu Reventlow mit Baby Rolf 1898. Atelier Georg Düll © Archiv Monacensia, Sign. FR F 27

Im Juli 1897 bezieht Franziska zu Reventlow ihre achte Münchner Wohnung. Sie ist schwanger und leidet an Krankheiten, Ängsten und einer schweren Depression bis hin zu Selbstmordphantasien. (In die Monate der Schwangerschaft fallen das Scheidungsverfahren und zwei weitere Prozesse sowie die Zurückweisung jeden Kontakts durch Walter Lübke.)

Am 1. September kommt Rolf Reventlow zur Welt. Niemand soll erfahren, wer der Vater ist, Franziska möchte sich nie mehr in Abhängigkeiten begeben. „Mein Kind soll keinen Vater haben nur mich. Und mich ganz.“ (Tagebuch, S. 60) Für Rolf, das Götterkind, Bubi und Mausi, wie sie ihn gerne nennt, geht sie leichten Herzens die einzige feste Bindung ihres Lebens ein. Rolfs spätere Ehefrau Else beschreibt 1948 diese symbiotische Beziehung:

Vom ersten Augenblick an, wo sie seine Existenz verspürt bis zu ihrem Tod ist und bleibt dieses Kind Mittelpunkt und Hauptinhalt ihres Lebens. Was sich sonst darin ergibt, Freundschaft, Flirt, erotisches Abenteuer, Liebeskonflikte, läuft letztendlich daneben her. (zit. n. Kargl, S. 8)

Mit Rolf kann sie nachholen, was sie immer vermisst hat: „Ich habe nie Mutterliebe gehabt, ich habe alles andere verloren, und jetzt soll das Kind mir das alles ersetzen.“ (26. Juli 1897 an Paul Schwabe; Briefe, S. 283) Auch Erich Mühsam erlebt eine liebende Mutter:

Unter allen reichen Eigenschaften, die Franziska zu Reventlow auszeichneten, dem herrlichen Lebensmut trotz ewiger Krankheit, Mißgeschick und quälendster Armut [...] unter allen diesen Tugenden ruhte der seelische Halt der Frau ganz und gar in ihrer Mutterliebe. (Namen, S. 149)

Rainer Maria Rilke hilft Reventlow durch die schwere Zeit der Schwangerschaft mit einem täglichen Gedicht. Nach der Geburt am 1. September 1897 widmet er ihr ein Gedicht und dem Sohn eine Rede an die Mutter.

Bis 1915 leben Mutter und Sohn fast ununterbrochen zusammen. 1916 wird Rolf einberufen, woran Franziska zu Reventlow fast mehr leidet als er selbst. Deshalb nimmt sie es im August 1917 in die Hand, anlässlich eines Fronturlaubs von Rolf in Konstanz seine Desertion zu organisieren. Die gelungene Flucht in die Schweiz schildert sie in einem Bericht für den Schriftsteller Henri-Pierre Roché (s. Station 12), der in New York in diplomatischer Mission weilt. In Die Kehrseite des deutschen Wunders schreibt sie auch über ihre Familie, den reaktionären Bruder, wie verändert sie München nach 1914 erlebte, über die Deutschen im Krieg, die verlogene Rede vom Vaterland.

Im guten Glauben akzeptierte ich die Version von einem Deutschland, das ‚gezwungen war, sich gegen die bösen Nachbarn zu verteidigen‘. Und trotz der geringen Sympathie, die ich für meine ehemaligen Mitbürger empfand, brauchte ich Zeit, um ihre enorme Lüge aufzudecken. (Kargl, S. 15f.)

Dieser Text unterscheidet sich völlig von allem, was Reventlow bis dahin geschrieben hat: Er ist ernst, politisch, kritisch gegenüber Deutschtum und die „Seuche des preußischen Militarismus“ (Kargl, S. 20). Am Ende resümiert sie: „Ich hatte dem Kaiser meinen Sohn weggenommen.“ (Kargl, S. 74) Und Rolf schreibt in seinen Erinnerungen: „Nun brauchte sie nur noch Mutter sein.“ (Literatur in Bayern, S. 34) Rolf äußerst später in einem Interview:

Meine Mutter war ein sehr unpolitischer Mensch. Den Krieg hat sie nur wahrgenommen als Bedrohung, daß man ihr den Sohn wegnehmen könne. Sie war antimilitaristisch von Grund auf [...] (zit. n. Frauen um Erich Mühsam, S. 119)

Rolf Reventlow kehrt 1919 nach München zurück und arbeitet für den Zentralverband der Angestellten in Heidelberg und als Redakteur der Breslauer Volkswacht. 1933 geht er ins Exil und nimmt ab Herbst 1936 am Spanischen Bürgerkrieg teil. Über die Jahre ab 1939 in Algier ist wenig bekannt. Waldemar von Knoeringen holt ihn 1953 nach München, er ist für die SPD tätig. Er stirbt am 12. Januar 1981 und ruht mit seiner Mutter in einem Grab in Locarno.

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Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Adelheid Schmidt-Thomé