Englischer Garten (Aumeister)
Der Spaziergang von der Prinzregentenstraße durch den Englischen Garten zum Gasthaus Aumeister beträgt sechs Kilometer und dauert etwa anderthalb Stunden – das war etwa das tägliche Maß, das sich der Autor Thomas Mann seit seinen Aufenthalten im Reformsanatorium Dr. Hartungen in Riva am Gardasee angewöhnt hatte.[24] Der Englische Garten, der bereits 1789 in einem ersten Teil nord-östlich vom Hofgarten der Bevölkerung erst als parzellierter Militärgarten, dann als ausgedehnter Landschaftspark zur Verfügung gestellt wurde,[25] [Abb. 11] gewann im 19. Jahrhundert eine Ausdehnung von 12 Quadratkilometern und ist in München bis heute der Inbegriff für Erholung und Entspannung. In der Novelle dient diese künstliche Gartenlandschaft dazu, ein gewisses ‚falsches‘ Klima vorzustellen und zugleich die Strecke zum „Aumeister“[26] [Abb. 12] und weitere zwei Kilometer bis zum Nordfriedhof abzumessen:
Es war Anfang Mai und, nach naßkalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der Nähe der Stadt voller Wagen und Spaziergänger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten Wirtsgarten überblickt, an dessen Rand einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sinne seinen Heimweg außerhalb des Parks über die offene Flur genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über Föhring Gewitter drohte, am Nördlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte.[27]
Abb. 12: Aumeister, heute. Foto: N. P. Holmes, 2008.
Das ist die Situation; der „falsche Hochsommer“ wird sich in der Novelle zweimal auf einer menschlichen Ebene wiederholen, wenn Aschenbach in einem geschminkten Geck auf dem Schiff nach Venedig erkennt, dass „der Jüngling falsch war“[28] und tatsächlich ein Greis ist, und wenn er selbst zuletzt sich in dieser Manier des Alten schminken und zum „blühenden Jüngling“[29] verwandeln lässt. Zugleich enthält diese Landschaftsbeschreibung auch etwas von der ‚falschen‘ Witterung, die in München den Föhn auszeichnet, bei dem Fallwinde von den Alpen Tiefdruckgebiete mit schönem Wetter überstrahlen.
[24] Vgl. Dirk Heißerer: Tristan im Sanatorium – Thomas Mann. In: ders.: Meeresbrausen, Sonnenglanz. Poeten am Gardasee. München 1999, S. 153-173, hier bes. S. 162-165 (Ein Tag am See).
[25] Vgl. Theodor Dombart: Der Englische Garten zu München. Geschichte seiner Entstehung und seines Ausbaues zur großstädtischen Parkanlage. München 1972, S. 46f.; Elmar D. Schmid: Die Entstehung des Englischen Gartens in München. In: Offizielle Festschrift 200 Jahre Englischer Garten München 1789-1989, zusammengestellt von Pankraz Frhr. Von Freyberg. München o. J. [1989], S. 50-62, hier S. 53.
[26] Vgl. „Der Aumeister“, in: Christl Karnehm: Bauten und Denkmäler im Englischen Garten von A-Z. In: Offizielle Festschrift (wie Anm. 25), S. 114-137, hier S. 115.
[27] Vgl. GKFA 2.1, S. 501f.
[28] Ebd., S. 518-522.
[29] Ebd., S. 585f.
Der Spaziergang von der Prinzregentenstraße durch den Englischen Garten zum Gasthaus Aumeister beträgt sechs Kilometer und dauert etwa anderthalb Stunden – das war etwa das tägliche Maß, das sich der Autor Thomas Mann seit seinen Aufenthalten im Reformsanatorium Dr. Hartungen in Riva am Gardasee angewöhnt hatte.[24] Der Englische Garten, der bereits 1789 in einem ersten Teil nord-östlich vom Hofgarten der Bevölkerung erst als parzellierter Militärgarten, dann als ausgedehnter Landschaftspark zur Verfügung gestellt wurde,[25] [Abb. 11] gewann im 19. Jahrhundert eine Ausdehnung von 12 Quadratkilometern und ist in München bis heute der Inbegriff für Erholung und Entspannung. In der Novelle dient diese künstliche Gartenlandschaft dazu, ein gewisses ‚falsches‘ Klima vorzustellen und zugleich die Strecke zum „Aumeister“[26] [Abb. 12] und weitere zwei Kilometer bis zum Nordfriedhof abzumessen:
Es war Anfang Mai und, nach naßkalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der Nähe der Stadt voller Wagen und Spaziergänger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten Wirtsgarten überblickt, an dessen Rand einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sinne seinen Heimweg außerhalb des Parks über die offene Flur genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über Föhring Gewitter drohte, am Nördlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte.[27]
Abb. 12: Aumeister, heute. Foto: N. P. Holmes, 2008.
Das ist die Situation; der „falsche Hochsommer“ wird sich in der Novelle zweimal auf einer menschlichen Ebene wiederholen, wenn Aschenbach in einem geschminkten Geck auf dem Schiff nach Venedig erkennt, dass „der Jüngling falsch war“[28] und tatsächlich ein Greis ist, und wenn er selbst zuletzt sich in dieser Manier des Alten schminken und zum „blühenden Jüngling“[29] verwandeln lässt. Zugleich enthält diese Landschaftsbeschreibung auch etwas von der ‚falschen‘ Witterung, die in München den Föhn auszeichnet, bei dem Fallwinde von den Alpen Tiefdruckgebiete mit schönem Wetter überstrahlen.
[24] Vgl. Dirk Heißerer: Tristan im Sanatorium – Thomas Mann. In: ders.: Meeresbrausen, Sonnenglanz. Poeten am Gardasee. München 1999, S. 153-173, hier bes. S. 162-165 (Ein Tag am See).
[25] Vgl. Theodor Dombart: Der Englische Garten zu München. Geschichte seiner Entstehung und seines Ausbaues zur großstädtischen Parkanlage. München 1972, S. 46f.; Elmar D. Schmid: Die Entstehung des Englischen Gartens in München. In: Offizielle Festschrift 200 Jahre Englischer Garten München 1789-1989, zusammengestellt von Pankraz Frhr. Von Freyberg. München o. J. [1989], S. 50-62, hier S. 53.
[26] Vgl. „Der Aumeister“, in: Christl Karnehm: Bauten und Denkmäler im Englischen Garten von A-Z. In: Offizielle Festschrift (wie Anm. 25), S. 114-137, hier S. 115.
[27] Vgl. GKFA 2.1, S. 501f.
[28] Ebd., S. 518-522.
[29] Ebd., S. 585f.