https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2020/klein/Abb_11_Lena_Christ1_164.jpg
Abb. 11: Waldfriedhof München. Grabstätte Lena Christ. Foto: Dirk Heißerer

Lena Christ (WAT 44-3-14)

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2020/klein/Abb_12_Lena_Christ2_500.jpg
Abb. 12: Waldfriedhof München. Grabstätte Lena Christ (Detail). Foto: Literaturportal Bayern

Beim Schicksal der Schriftstellerin Lena Christ (1881-1920) lässt sich kaum noch entscheiden, welches Maß größer war, das des ungeheuren Lebensunglücks oder das des schriftstellerischen Talents, mit dem sie dieses Unglück bannte. Der Vergleich drängt sich auf mit der ähnlich zerprügelten Jugend des späteren „Provinzschriftstellers“ Oskar Maria Graf (1894-1967) aus einer Bäckerei in Berg am Starnberger See. Doch Graf hatte Glück, überlebte alle familiären und provinziellen Widrigkeiten, schlug sich in der Großstadt ebenso durch wie im Exil und ist heute im literarischen München mit Denkmal, Brasserie und der Graf-Gesellschaft erfreulich präsent. Anders seine ältere Kollegin Lena Christ, die sich am 30. Juni 1920 auf dem Waldfriedhof mit Gift (Zyankali) das Leben genommen hat und in einem Grab liegt, auf dem ihr Grabkreuz den faschen, gar nicht existierenden Todestag angibt, den „31. Juni 1920“. (Abb. 11 und 12)

Das Gift besorgt hatte ihr zweiter Ehemann, der Autor Peter Jerusalem (ab 1933: Benedix, 1877-1954), mit dem sie seit 1912 verheiratet gewesen war. Er gilt als Lena Christs literarischer ‚Entdecker‘. Die grauenvolle Kindheit in Glonn bei Haar, die außereheliche Geburt in Glonn bei Haar, die Tyrannei der Mutter in einer Münchner Wirtschaft (heute „Deutsche Eiche“, Sandstraße 45), die furchtbare erste Ehe mit einem gewalttätigen Säufer, lassen die Mutter zweier Töchter und eines Sohnes immer mehr im Elend versinken. Eine Stellung als Sekretärin bei dem Schriftsteller Peter Jerusalem bringt 1911 die Wende – die beiden werden ein paar, heiraten 1912, und der Mann ermutigt seine Frau, sich ihr Leid von der Seele zu schreiben. Die Erinnerungen einer Überflüssigen (1912) erscheinen dank der Unterstützung Ludwig Thomas zwar im Verlag Albert Langen, aber ein größerer Erfolg kann sich aufgrund dieser kaum glaublichen Unglücksgeschichte noch nicht einstellen. Mit den Lausdirndlgeschichten (1913) hängt sich Lena Christ an Ludwig Thomas viel gelesene Lausbubengeschichten (1905) an, aber erst die in den Hurra-Patriotismus des Ersten Weltkriegs einstimmenden Erzählungen Unsere Bayern anno 1914/15 lohnen sich auch finanziell und führen zu gesellschaftlicher Beachtung selbst in höchsten Kreisen. Mit der Rumplhanni (1916) befestigt Lena Christ ihren literarischen Rang. Doch nach einer Affäre Lenas mit einem Kabarettsänger trennt sich das Ehepaar, der letzte Roman, Madam Bäuerin (1920), kann die wirtschaftliche Misere der alleinstehenden Frau nicht mehr bremsen, ein Betrugsskandal um gefälschte Signaturen auf Ölgemälden und die öffentliche Bezeichnung in der Presse als „Bilderfälscherin“ geben ihr den Rest.

Am Vormittag des 30. Juni 1920, einem Mittwoch, vergiftet sich Lena Christ auf dem Waldfriedhof mit Blausäure, ein Friedhofswärter hat sie tot aufgefunden.[22] Der Grabtafel zufolge fanden hier auch Lena Christs Tochter Alexandra, deren Halbbruder Friedrich Isaak und dessen Frau Berta die letzte Ruhe. (Abb. 12) Die Beziehung zwischen Lena Christ und Peter Jerusalem ist Thema des Romans In den Gärten des Herzens (2002) von Asta Scheib.

 


Zur Station 7 von 8 Stationen


 

[22] Vgl. N.N.: Selbstmord der Schriftstellerin Lena Christ. In: Salzburger Volksblatt (Salzburg), Nr. 148 vom 2. Juli 1920, S. 3.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer