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Abb. 9: Waldfriedhof München. Grabmal Otto Julius Bierbaum (Walther Schmarje, 1911). Foto: Dirk Heißerer

Otto Julius Bierbaum (WAT 43-W-22)

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Abb. 10: Waldfriedhof München. Grabmal Otto Julius Bierbaum (Walther Schmarje, 1911) (Detail). Foto: Dirk Heißerer. Das Grabmal „hat die Form einer antiken Stele und enthält im oberen Teil in einer Nische die sprechend ähnliche Porträtbüste des Verstorbenen“ (Salzburger Wacht, Salzburg, Nr. 210 vom 20. März 1911, S. 5).

Von Paul Heyse ist es nicht weit zu seinem Dichterkollegen Otto Julius Bierbaum (1865-1910).[20] Der Sohn eines Konditormeisters aus Grünberg in Schlesien musste nach dem Konkurs des Vaters ein Studium von Philosophie, Jura und Sinologie abbrechen und sich durch journalistische Arbeit selbst versorgen. Schon 1890 zog er nach München, nahm Verbindungen mit Verlagen auf, und veröffentlichte 1892 seinen ersten Gedichtband Erlebte Gedichte. Sein Liebesglück findet er bei einem Aufenthalt in Dießen am Ammersee in der Tochter eines Zinngießers. Zwar werden der Verbindung mit Auguste Rathgeber, genannt Gusti, von Seiten der Mutter alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt, doch die Liebenden weichen nach London aus und heiraten dort am 16. August 1892. Später wohnen sie auf der sogenannten Öd über St. Heinrich am Starnberger See.  Die turbulenten Erlebnisse dieser Liebes- und Hochzeitsgeschichte bilden den Stoff zu Bierbaums Roman Die Freiersfahrten und Freiersmeinungen des weiberfeindlichen Herrn Pankrazius Graunzer (1895). Der Vorbehalt war leider angebracht: Ein Treuebruch Gustis mit dem Komponisten Oscar Fried führte 1899 zur Scheidung und zu Bierbaums Lamento „Ach, mein Schatz ist durchgegangen...“.

Zwischen diesen beiden Eckdaten von Glück und Trübsal liegt die Zeit Bierbaums als vielgelesener und vielvertonter Dichter. Zwei Komponisten der Münchener Schule, Ludwig Thuille (1861-1907) und Felix Mottl (1856-1911), vertonen seine Singspiele Lobetanz (1895;1898) und Gugeline (1899) sowie Pan im Busch (1900) mit großem Erfolg. Sein Kabarett-Roman Stilpe. Roman aus der Froschperspektive (1897) bereitet dann die Sammlung Deutsche Chansons (1900) vor, die im Vorwort das Stichwort des Stilpe wieder aufnimmt: „Angewandte Lyrik – da haben Sie unser Schlagwort.“ Das Buch ist die erste imaginäre deutsche Brettl-Bühne, und ihre Lieder werden ab 1901 in Berlin und München auf den tatsächlichen Brettln vorgetragen. Bierbaums „Münchner Studentenlied“ stehe hier für seinen, im Vergleich mit Wedekind, etwas naiven Ton:

Ein Geschpusi muß ich haben! / Alles wankt, doch das steht fest: / So ein liebes, kleines Mädchen, / Das sich gerne haben läßt. / Ein Geschpusi möcht ich haben. // Denn ich bin nun so geschaffen, / Daß ich Mädchen lieben muß; / Nulla dies sine linea / Heißt: kein Tag sei ohne Kuß; / Denn ich bin nun so geschaffen // (...) // Zwar ich habe nur ein Zimmer, / Und das Zimmer ist sehr klein, / Doch es können darin zweie / Ganz unbändig glücklich sein, / In dem einen kleinen Zimmer. // Also komm und laß nicht warten! / Auf dem Tisch steht schon ein Strauß, / Und das kahle, kleine Zimmer / Sieht heut ganz verwegen aus. / Also komm und laß nicht warten!

Als Herausgeber der Zeitschrift Die Insel (1899-1902) heiratet Bierbaum Ende November 1901 die um zwölf Jahre jüngere Florentinerin Gemma Pruneti Lotti (1877-1925). Nach der Hochzeit spielt Italien auch im Werk Bierbaums eine besondere Rolle. Erwähnenswert ist vor allem das erste deutsche Autoreisebuch, die zusammen mit seiner Frau im Frühjahr und Sommer 1902 unternommene und aus Briefen an Freunden zusammengestellte Empfindsame Reise im Automobil von Berlin nach Sorrent und zurück an den Rhein (1903). Die modernisierte Form von Laurence Sternes Sentimental Journey through France and Italy (1768) hat in all ihrer Flüchtigkeit des Erlebens bis heute nichts von ihrem Charme des neuartigen Abenteuers verloren. Ein ‚Klassiker‘ ist und bleibt auch Bierbaums Adaption von Carlo Collodis lügenhaftem Holzbengel Pinocchio, dem Bierbaum unter dem Titel Zäpfels Kerns Abenteuer in 43 Kapiteln und mit Zeichnungen von Arpad Schmidhammer 1905 eine erste deutsche Bühne bereitete.

Nach Aufenthalten in Berlin und Südtirol kehrten Bierbaum und seine Frau nach München zurück und wohnten zwischen 1906 und 1908 in der Pasinger Hermannstraße 13 (heute Wehnerstraße). Zu Beginn dieser Zeit erscheint Bierbaums Schlüsselroman Prinz Kuckuck. Leben, Taten, Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings (1906/07), ein Schlüsselroman über den Mäzen der Insel, den jungen, reichen Dichter Alfred Walter Heymel (1876-1914). Bierbaum starb 1910 in Dresden, fand sein Urnengrab aber im September 1911 auf dem Waldfriedhof, wo sein leicht grünspaniges Porträt noch heute aus dem Grabstein des Bildhauers Walther Schmarje (1872-1921) seine Besucher begrüßt.[21] (Abb. 9 und 10)

 


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[20] Vgl. Heißerer 2008 (wie Anm. 13), S. 118-127.

[21] Vgl. Wolf 1928 (wie Anm. 1), S. 25.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer