Frank Wedekind (WAT 17-W-88)
Vorbei am Grab der Zirkusfamilie Krone („Unsre Gunst, unser Streben“ (WAT 13-W-1) geht es zu dem Lyriker, Dramatiker und Satiriker Frank Wedekind (1864-1964). Er hat wie kein zweiter deutscher Autor seine Epoche mit Humor, Satire und Ironie über die diversen Praktiken erotischer, finanzieller und politischer „Moral“ aufgeklärt. Zirkus und Tingel-Tangel machte er salonfähig. In seiner Sammlung Schauspielkunst (1910) bilden die „Zirkusgedanken“, die Studien „Im Zirkus“ und Überlegungen zu der Kunstreiterin Ella Belling ein eigenes Programm; der „Tierbändiger“ im Prolog zur Lulu-Tragödie Erdgeist (1895) ist kein Zufall. Und so passt der auf einer Zirkuskugel balancierende Pegasus auf der Säule über Wedekinds Grab ganz besonders gut. (Abb. 5 und 6)
Als politischer Dichter des Simplicissimus musste Wedekind wegen „Majestätsbeleidigung” ins Gefängnis, seine Stücke Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie (1891) und die Lulu-Dramen Erdgeist (1895) und Büchse der Pandora (1902) standen lange unter Zensur. Im Kabarett der Elf Scharfrichter trat er nicht, wie die anderen Mitstreiter, unter Pseudonym auf, sondern unter seinem eigenen Namen und trug seine eigenwilligen Lieder zur Laute vor: „Der Tod kommt bald und sicher, / Hält stets sich in der Näh. / Er ist ein fürchterlicher / Tröster im Erdenweh. // Ich hasse ihn nicht aus Liebe, / ich liebe ihn heiß aus Haß. / wenn man unsterblich bliebe, / Wie grauenvoll wäre das.“[12] Im Seminar des „Theaterprofessors“ Artur Kutscher (1878-1960, WAT 136-W-1) lernte der junge Bert Brecht sein dramatisches Vorbild Wedekind persönlich kennen – und so wundert es kaum, dass die Beerdigung Frank Wedekinds wie eine absurde Theaterszene vor sich ging. Wedekind starb am 9. März 1918 mit 53 Jahren; seine Beerdigung drei Tage später ist durch ihre tragisch-grotesken Züge schnell zur Legende geworden.[13] Erich Mühsam, Kurt Martens und Otto Falckenberg geben die besten und eindringlichsten Schilderungen, besonders vom Ausbruch der Geisteskrankheit bei dem Dichter Heinrich Lautensack (1881-1919), einst Faktotum und Henkersknecht bei den Elf Scharfrichtern. Lautensack versuchte mit einem Helfer, die Beerdigung zu filmen, hatte auch ein genaues Exposé entworfen, und brach in der Aufregung mit dem Schrei „Frank Wedekind! Dein letzter Schüler – Lautensack!“ am offenen Grab zusammen. Erich Mühsam erinnert sich: „Der Wahnsinn war ausgebrochen. Es war die erschütterndste Szene, die ich erlebt habe. Mir brachen die Tränen hervor, daß ich gestützt werden mußte. Lautensack kam einige Tage danach ins Irrenhaus, wo er nur noch wenige Monate lebte“.[14] An der Beerdigung nahm auch der junge Brecht teil, der in einem Artikel für die Augsburger Neueste Nachrichten Wedekind „zu den großen Erziehern des neuen Europa“ gezählt hatte: „Sein größtes Werk war seine Persönlichkeit“.[15]
Im Jahr darauf erhielt das Grab ein beeindruckendes Denkmal durch den deutsch-jüdischen Bildhauer Benno Elkan (1877-1960). Auf einer 4.50 Meter hohen ovalen Säule aus Untersberger Marmor tanzt ein Pegasus aus Bronze auf einer vergoldeten Zirkuskugel; die Säule selbst trägt das ebenfalls von Benno Elkan gefertigte Bronzerelief-Porträt Frank Wedekinds (Bronze, 1914).[16] Darunter sind angebracht die Namen und Lebensdaten des Dramatikers, seiner Frau, der Schauspielerin Tilly, geb. Newes (1886-1970), und der zweiten Tochter, der Schriftstellerin Kadidja Wedekind (1911-1994), die beide hier ebenfalls bestattet sind. Die erste Tochter, die Schauspielerin, Sängerin und Übersetzerin Pamela Wedekind Regnier (1906-1986), hat auf dem Friedhof von Holzhausen bei Münsing am Starnberger ihre letzte Ruhe gefunden.
[12] Wedekind, Frank: Trost, in: ders: Die Vier Jahreszeiten (1905), hier zit. n. Wedekind, Frank: Werke. Bd. 1. München 1990, S. 96.:
[13] Vgl. Heißerer, Dirk: Wo die Geister wandern. Literarische Spaziergänge durch Schwabing. München 2008, S. 42f.
[14] Mühsam, Erich: Unpolitische Erinnerungen. Düsseldorf 1961, S. 294.
[15] Brecht, Bertolt: Frank Wedekind, in: ders., Werke. Schriften I. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 21, Berlin und Weimar, Frankfurt a. M. 1992, S. 36.
[16] Vgl. Wolf 1928 (wie Anm. 1), S. 26 und Tafel 18.
Vorbei am Grab der Zirkusfamilie Krone („Unsre Gunst, unser Streben“ (WAT 13-W-1) geht es zu dem Lyriker, Dramatiker und Satiriker Frank Wedekind (1864-1964). Er hat wie kein zweiter deutscher Autor seine Epoche mit Humor, Satire und Ironie über die diversen Praktiken erotischer, finanzieller und politischer „Moral“ aufgeklärt. Zirkus und Tingel-Tangel machte er salonfähig. In seiner Sammlung Schauspielkunst (1910) bilden die „Zirkusgedanken“, die Studien „Im Zirkus“ und Überlegungen zu der Kunstreiterin Ella Belling ein eigenes Programm; der „Tierbändiger“ im Prolog zur Lulu-Tragödie Erdgeist (1895) ist kein Zufall. Und so passt der auf einer Zirkuskugel balancierende Pegasus auf der Säule über Wedekinds Grab ganz besonders gut. (Abb. 5 und 6)
Als politischer Dichter des Simplicissimus musste Wedekind wegen „Majestätsbeleidigung” ins Gefängnis, seine Stücke Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie (1891) und die Lulu-Dramen Erdgeist (1895) und Büchse der Pandora (1902) standen lange unter Zensur. Im Kabarett der Elf Scharfrichter trat er nicht, wie die anderen Mitstreiter, unter Pseudonym auf, sondern unter seinem eigenen Namen und trug seine eigenwilligen Lieder zur Laute vor: „Der Tod kommt bald und sicher, / Hält stets sich in der Näh. / Er ist ein fürchterlicher / Tröster im Erdenweh. // Ich hasse ihn nicht aus Liebe, / ich liebe ihn heiß aus Haß. / wenn man unsterblich bliebe, / Wie grauenvoll wäre das.“[12] Im Seminar des „Theaterprofessors“ Artur Kutscher (1878-1960, WAT 136-W-1) lernte der junge Bert Brecht sein dramatisches Vorbild Wedekind persönlich kennen – und so wundert es kaum, dass die Beerdigung Frank Wedekinds wie eine absurde Theaterszene vor sich ging. Wedekind starb am 9. März 1918 mit 53 Jahren; seine Beerdigung drei Tage später ist durch ihre tragisch-grotesken Züge schnell zur Legende geworden.[13] Erich Mühsam, Kurt Martens und Otto Falckenberg geben die besten und eindringlichsten Schilderungen, besonders vom Ausbruch der Geisteskrankheit bei dem Dichter Heinrich Lautensack (1881-1919), einst Faktotum und Henkersknecht bei den Elf Scharfrichtern. Lautensack versuchte mit einem Helfer, die Beerdigung zu filmen, hatte auch ein genaues Exposé entworfen, und brach in der Aufregung mit dem Schrei „Frank Wedekind! Dein letzter Schüler – Lautensack!“ am offenen Grab zusammen. Erich Mühsam erinnert sich: „Der Wahnsinn war ausgebrochen. Es war die erschütterndste Szene, die ich erlebt habe. Mir brachen die Tränen hervor, daß ich gestützt werden mußte. Lautensack kam einige Tage danach ins Irrenhaus, wo er nur noch wenige Monate lebte“.[14] An der Beerdigung nahm auch der junge Brecht teil, der in einem Artikel für die Augsburger Neueste Nachrichten Wedekind „zu den großen Erziehern des neuen Europa“ gezählt hatte: „Sein größtes Werk war seine Persönlichkeit“.[15]
Im Jahr darauf erhielt das Grab ein beeindruckendes Denkmal durch den deutsch-jüdischen Bildhauer Benno Elkan (1877-1960). Auf einer 4.50 Meter hohen ovalen Säule aus Untersberger Marmor tanzt ein Pegasus aus Bronze auf einer vergoldeten Zirkuskugel; die Säule selbst trägt das ebenfalls von Benno Elkan gefertigte Bronzerelief-Porträt Frank Wedekinds (Bronze, 1914).[16] Darunter sind angebracht die Namen und Lebensdaten des Dramatikers, seiner Frau, der Schauspielerin Tilly, geb. Newes (1886-1970), und der zweiten Tochter, der Schriftstellerin Kadidja Wedekind (1911-1994), die beide hier ebenfalls bestattet sind. Die erste Tochter, die Schauspielerin, Sängerin und Übersetzerin Pamela Wedekind Regnier (1906-1986), hat auf dem Friedhof von Holzhausen bei Münsing am Starnberger ihre letzte Ruhe gefunden.
[12] Wedekind, Frank: Trost, in: ders: Die Vier Jahreszeiten (1905), hier zit. n. Wedekind, Frank: Werke. Bd. 1. München 1990, S. 96.:
[13] Vgl. Heißerer, Dirk: Wo die Geister wandern. Literarische Spaziergänge durch Schwabing. München 2008, S. 42f.
[14] Mühsam, Erich: Unpolitische Erinnerungen. Düsseldorf 1961, S. 294.
[15] Brecht, Bertolt: Frank Wedekind, in: ders., Werke. Schriften I. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. 21, Berlin und Weimar, Frankfurt a. M. 1992, S. 36.
[16] Vgl. Wolf 1928 (wie Anm. 1), S. 26 und Tafel 18.