Fragment Wolframs-Eschenbach und Abenberg
Ritter
Wollt ein Ritter sein,
wie vor mir einer war.
Wie Parzival es wollt
und der Kaspar Hauser auch.
Wollt im Glanze sein,
wie Artus’ Tafelrunde
vor langer, langer Zeit
die Herren Gawain und Lancelot.
Wollt ein Ritter sein,
weil ich nicht wusste,
dass es Blut war, das Rot
und nicht von Scharlach.
1995 wurde ich mit dem Kulturförderpreis des Bezirks Mittelfranken ausgezeichnet. Die Verleihung findet traditionsgemäß in Wolframs-Eschenbach statt. Meine damaligen Kenntnisse über den Dichter waren eher oberflächlich, weshalb ich mich auf Wolframs Spuren begab. Je tiefer ich in sein Werk eindrang, desto mehr faszinierte mich dieser mutige frühe Humanist. Es entstand ein Gedichtzyklus und ein Essay über Wolfram, eine Grafikreihe und eine großformatige bibliophile Edition in der Freipresse Bludenz. Die illustrierenden Holzschnitte dazu schuf Wilhelm Schramm, allerdings schnitt er sie nicht, sondern schlug sie mit einer Axt in das Holz. Damit spielte er auf Wappen und Helmzier des Poetenritters an: zwei Äxte.
Meine Arbeiten zeigte das Museum in Wolframs-Eschenbach in einer vielfältigen Ausstellung.
Faszinierend finde ich, dass Fragmente meines Gedichts Toleranz aus dem Wolfram von Eschenbach-Zyklus eigene Wege gegangen sind: Der erste Abschnitt wurde ein eigener Text, der seit einigen Jahren illustriert durchs World Wide Web wandert, der letzte reüssierte als Motto für das Jugendforum „denk!mal ‘12“ des Abgeordnetenhauses Berlin auf Plakat, Broschüren und CDs: „Weil wir sind wie die Finger einer Hand: Jeder verschieden, jeder für sich und doch eins.“
Jahre später entstand in der Wolfram-Stadt ein Literaturweg. Auf 15 Tafeln werden Autoren vom Mittelalter bis heute vorgestellt, die sich in ihrem Werk mit Franken befassen. Der Weg führt um die gesamte Stadtmauer herum und dann in die Stadt hinein, wo meine Tafel als letzte des Weges direkt am Museum steht.
Im Jahr 2007 erhielt ich das Turmschreiber-Stipendium von Abenberg.
Voll Erwartungen bezog ich auf der Burg das oberste, Fachwerk gesäumte Stockwerk des Schottenturms. Ein einziger großer, unmöblierter Raum, in der Mitte ein neu geschaffenes Zimmerchen mit Schlafstelle, Nasszelle und rundum im Gebälk mit Nistkästen für Mauersegler. Dafür aber mit 22 Fenstern mit freiem Blick auf und über die Stadt und die Umgebung.
Zwischen meinem alten Bauernhaus in Binzwangen und dem Schottenturm auf Burg Abenberg lag die Luftlinie der Realität. Eine fränkischer Ereignishorizont formte sich und bildete eine historische Kulisse, bunt bevölkert wie ein Märchenbasar: Streitbare Minnesänger, allgegenwärtige Ortsheilige, Alice im Wunderland von Dürrenmungenau, der Klosteigkönig und sein amerikanischer Truck, den man eigentlich zum „national monument“ der USA ernennen müsste, ein bogenschießender Inder, ein falscher Jakob im Dorfkirchlein, die Veteranen von Woodstock auf dem Turnieranger, der zur friedlichen Konzertstätte mutierte, träumende steinerne Engel, Einrad fahrende rote Teufel, die sich von Ponys ziehen lassen und viele mehr. Und ich hoch über allem, umgeben von Dutzenden geschwätziger Mauersegler in „meinem“ Turm.
Es war schön, sich immer wieder hierher zurückzuziehen, um alles, was mir begegnete zu verarbeiten. Jedes der 22 Fenster der Türmerwohnung einfach schließen und die Welt draußen lassen. Meine Frau Friederike mit einem Buch, ich mit einer Kladde und einem Stift und die Mauersegler in ihrer üblichen Unterhaltung mit ihrem Nachwuchs.
Das waren jene Momente, in denen man als Turmschreiber über den Dingen schweben konnte. Kein Haus weit und breit, nicht einmal ein Horizont, nur Weite, endlose Weite.
Nachricht an Wolfram von Eschenbach
Verehrter Kollege,
manche Zeilen, die wir schreiben, wirken wahrhaft lange nach. Hättest Du gedacht, dass Dein Vergleich des Turnierangers der Gralsburg mit dem Abenberger noch nach achthundert Jahren Wirkung zeigt? Dass die wackren Franken immer noch darunter leiden, dass Du geschrieben hast, bei ihnen sei nichts los? Ich habe mir erlaubt, Deine berühmten Zeilen über den Anger der Gralsburg »alsô der anger z‘Abenberc, selten vroelîchiu werc« ins Fränkische zu übertragen: »Wäi der Anger zu Abenberch, seldn a fröhlichs Gwerch.«
Dabei waren erst letzthin hier vier Konzerte innert fünf Tagen. Na ja, von dem kurzen, grünen Gras ist auf dem Anger danach natürlich nichts mehr übrig geblieben, eher könnte der Henglein jetzt hier die Kartoffeln für seinen Kloßteig pflanzen. Aber den Bezug zur Gralsburg haben die Abenberger noch immer, auch wenn er ganz anders aussieht als zu Deiner Zeit, der Gral. Es gab ein Konzert des Barden John Fogerty, der schon auf dem berühmten Anger von Woodstock im fernen Westland Amerika gespielt hat. Danach schrieben die Tagblätter vom »Flanellhemd der ewigen Jugend« und meinten damit das blaukarierte Kleidungsstück, das seinen Träger anscheinend nicht altern lässt. Seiner Zeit zu Deiner Zeit war der Jugend spendende Gral noch ein Stein oder vielleicht ein Kelch, heutzutage kommt er als das Gewand eines Holzfällers daher und der singt von stolzen stampfenden Schiffen namens Maria und fragt, wer an seine Hintertür klopft und wer den Regen aufhält.
Du siehst, es wird wieder viel gesungen auf Deinem Anger und Dir gefällt es sicher auch besser, wenn Lieder statt Lanzen regieren. Ich versuche derweil wieder die flinken, Haken schlagenden Wort-Hasen zu erwischen, um sie einem geneigten Publikum zu servieren.
Ich denke oft an Dich, hier auf der Burg, und manchmal meine ich, Dich im Zwielicht zu sehen, wenn die Dämmerung die Stadt einhüllt und das Srie Srie der Mauersegler langsam verstummt. Wenn es nur noch die Nacht gibt und mich, in meinem Turm über Abenberg.
Mit herzlichen Grüßen durch die Strudel der Zeit.
Das Abenberger Stipendium erwies sich für mich als eine „Expedition ins unbekannte Franken“, eine Erkundung abseits der Trampelpfade der Eventkultur. Das daraus resultierende Buch Der Turm der geschwätzigen Vögel ist nicht zuletzt eine Hommage an die Menschen und ein Land, in dem es noch so viel zu entdecken gibt.
Ritter
Wollt ein Ritter sein,
wie vor mir einer war.
Wie Parzival es wollt
und der Kaspar Hauser auch.
Wollt im Glanze sein,
wie Artus’ Tafelrunde
vor langer, langer Zeit
die Herren Gawain und Lancelot.
Wollt ein Ritter sein,
weil ich nicht wusste,
dass es Blut war, das Rot
und nicht von Scharlach.
1995 wurde ich mit dem Kulturförderpreis des Bezirks Mittelfranken ausgezeichnet. Die Verleihung findet traditionsgemäß in Wolframs-Eschenbach statt. Meine damaligen Kenntnisse über den Dichter waren eher oberflächlich, weshalb ich mich auf Wolframs Spuren begab. Je tiefer ich in sein Werk eindrang, desto mehr faszinierte mich dieser mutige frühe Humanist. Es entstand ein Gedichtzyklus und ein Essay über Wolfram, eine Grafikreihe und eine großformatige bibliophile Edition in der Freipresse Bludenz. Die illustrierenden Holzschnitte dazu schuf Wilhelm Schramm, allerdings schnitt er sie nicht, sondern schlug sie mit einer Axt in das Holz. Damit spielte er auf Wappen und Helmzier des Poetenritters an: zwei Äxte.
Meine Arbeiten zeigte das Museum in Wolframs-Eschenbach in einer vielfältigen Ausstellung.
Faszinierend finde ich, dass Fragmente meines Gedichts Toleranz aus dem Wolfram von Eschenbach-Zyklus eigene Wege gegangen sind: Der erste Abschnitt wurde ein eigener Text, der seit einigen Jahren illustriert durchs World Wide Web wandert, der letzte reüssierte als Motto für das Jugendforum „denk!mal ‘12“ des Abgeordnetenhauses Berlin auf Plakat, Broschüren und CDs: „Weil wir sind wie die Finger einer Hand: Jeder verschieden, jeder für sich und doch eins.“
Jahre später entstand in der Wolfram-Stadt ein Literaturweg. Auf 15 Tafeln werden Autoren vom Mittelalter bis heute vorgestellt, die sich in ihrem Werk mit Franken befassen. Der Weg führt um die gesamte Stadtmauer herum und dann in die Stadt hinein, wo meine Tafel als letzte des Weges direkt am Museum steht.
Im Jahr 2007 erhielt ich das Turmschreiber-Stipendium von Abenberg.
Voll Erwartungen bezog ich auf der Burg das oberste, Fachwerk gesäumte Stockwerk des Schottenturms. Ein einziger großer, unmöblierter Raum, in der Mitte ein neu geschaffenes Zimmerchen mit Schlafstelle, Nasszelle und rundum im Gebälk mit Nistkästen für Mauersegler. Dafür aber mit 22 Fenstern mit freiem Blick auf und über die Stadt und die Umgebung.
Zwischen meinem alten Bauernhaus in Binzwangen und dem Schottenturm auf Burg Abenberg lag die Luftlinie der Realität. Eine fränkischer Ereignishorizont formte sich und bildete eine historische Kulisse, bunt bevölkert wie ein Märchenbasar: Streitbare Minnesänger, allgegenwärtige Ortsheilige, Alice im Wunderland von Dürrenmungenau, der Klosteigkönig und sein amerikanischer Truck, den man eigentlich zum „national monument“ der USA ernennen müsste, ein bogenschießender Inder, ein falscher Jakob im Dorfkirchlein, die Veteranen von Woodstock auf dem Turnieranger, der zur friedlichen Konzertstätte mutierte, träumende steinerne Engel, Einrad fahrende rote Teufel, die sich von Ponys ziehen lassen und viele mehr. Und ich hoch über allem, umgeben von Dutzenden geschwätziger Mauersegler in „meinem“ Turm.
Es war schön, sich immer wieder hierher zurückzuziehen, um alles, was mir begegnete zu verarbeiten. Jedes der 22 Fenster der Türmerwohnung einfach schließen und die Welt draußen lassen. Meine Frau Friederike mit einem Buch, ich mit einer Kladde und einem Stift und die Mauersegler in ihrer üblichen Unterhaltung mit ihrem Nachwuchs.
Das waren jene Momente, in denen man als Turmschreiber über den Dingen schweben konnte. Kein Haus weit und breit, nicht einmal ein Horizont, nur Weite, endlose Weite.
Nachricht an Wolfram von Eschenbach
Verehrter Kollege,
manche Zeilen, die wir schreiben, wirken wahrhaft lange nach. Hättest Du gedacht, dass Dein Vergleich des Turnierangers der Gralsburg mit dem Abenberger noch nach achthundert Jahren Wirkung zeigt? Dass die wackren Franken immer noch darunter leiden, dass Du geschrieben hast, bei ihnen sei nichts los? Ich habe mir erlaubt, Deine berühmten Zeilen über den Anger der Gralsburg »alsô der anger z‘Abenberc, selten vroelîchiu werc« ins Fränkische zu übertragen: »Wäi der Anger zu Abenberch, seldn a fröhlichs Gwerch.«
Dabei waren erst letzthin hier vier Konzerte innert fünf Tagen. Na ja, von dem kurzen, grünen Gras ist auf dem Anger danach natürlich nichts mehr übrig geblieben, eher könnte der Henglein jetzt hier die Kartoffeln für seinen Kloßteig pflanzen. Aber den Bezug zur Gralsburg haben die Abenberger noch immer, auch wenn er ganz anders aussieht als zu Deiner Zeit, der Gral. Es gab ein Konzert des Barden John Fogerty, der schon auf dem berühmten Anger von Woodstock im fernen Westland Amerika gespielt hat. Danach schrieben die Tagblätter vom »Flanellhemd der ewigen Jugend« und meinten damit das blaukarierte Kleidungsstück, das seinen Träger anscheinend nicht altern lässt. Seiner Zeit zu Deiner Zeit war der Jugend spendende Gral noch ein Stein oder vielleicht ein Kelch, heutzutage kommt er als das Gewand eines Holzfällers daher und der singt von stolzen stampfenden Schiffen namens Maria und fragt, wer an seine Hintertür klopft und wer den Regen aufhält.
Du siehst, es wird wieder viel gesungen auf Deinem Anger und Dir gefällt es sicher auch besser, wenn Lieder statt Lanzen regieren. Ich versuche derweil wieder die flinken, Haken schlagenden Wort-Hasen zu erwischen, um sie einem geneigten Publikum zu servieren.
Ich denke oft an Dich, hier auf der Burg, und manchmal meine ich, Dich im Zwielicht zu sehen, wenn die Dämmerung die Stadt einhüllt und das Srie Srie der Mauersegler langsam verstummt. Wenn es nur noch die Nacht gibt und mich, in meinem Turm über Abenberg.
Mit herzlichen Grüßen durch die Strudel der Zeit.
Das Abenberger Stipendium erwies sich für mich als eine „Expedition ins unbekannte Franken“, eine Erkundung abseits der Trampelpfade der Eventkultur. Das daraus resultierende Buch Der Turm der geschwätzigen Vögel ist nicht zuletzt eine Hommage an die Menschen und ein Land, in dem es noch so viel zu entdecken gibt.