Fürth, Hirschenstraße 35
Mit dem allgemeinen Wachstum von Fürth im 19. Jahrhundert steigen auch die Schülerzahlen. Deshalb beschließt die Stadt einen Neubau, der in den Jahren 1867-69 an der Ecke Hirschenstraße/Mathildenstraße errichtet wird. Das dreigeschossige, im spätklassizistischen Stil gehaltene Haus mit Uhrgiebel und Glockenturm gilt wegen seiner Modernität und Kindgerechtheit bald als Vorzeigeschule. Nicht einmal zehn Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten folgt die Erweiterung um einen dritten Flügel an der süd-östlich gelegenen Ottostraße. Nun findet auch die Königliche Realschule Platz in dem Gebäude.
Im Jahr 1883, da ist er zehn Jahre alt, tritt der junge Jakob Wassermann in die Königliche Realschule ein, die er bis 1889 besucht. Dass die Schule ihm wenig Freude bereitet hat, daraus macht der Schriftsteller später keinen Hehl. Immer wieder sind die schrecklichen Erfahrungen von Pennälern Thema in seinen Erzählungen und Romanen. Am ausführlichsten wohl in dem autobiografischen Roman Engelhart Ratgeber. Darin heißt es:
Von Woche zu Woche nahm in Engelhart der Abscheu gegen die Schule zu. Er verachtete die Auszeichnungen, die dem stumpfen Fleiß, dem tierischen Gehorsam, der gedankenlosen Aufmerksamkeit zuteil wurden, angewidert von dieser ungeschmückten Welt, der aufreibenden Wiederholung mechanischer Geschäftigkeiten […] Keine wohlmeinende und freundliche Gestalt trat ihm unter seinen Lehrern entgegen. Es waren Männer, die nicht einen Beruf erfüllten, sondern ein Amt innehatte. Sie kümmerten sich nicht um die Seele, sondern nur um die Kenntnis der Knaben. Sie hatten der höheren Stelle, der sie untergeordnet waren, nur den Beweis zu erbringen, dass sie ein vorgeschriebenes Pensum erledigten, so wie die Kellner dem Wirt die Ablieferung der Zahlmarken schuldig sind. Sie nährten den Wissensdurst mit Regeln und belohnten den Fleiß durch Zensuren, das unterweisende Wort war nur eine Grimasse, der Geist der Belehrung eine Mumie, vertrocknet durch viele Jahre eines wesenlosen Treibens. Ihre Belebtheit war aufgedunsen, ihre Vertraulichkeit voll falscher Töne, ihre Strenge lieblos und zynisch.[…]Was sie lehrten, blieb tot: Regeln, Formeln, Zahlen, Register. Da sie nicht Teilnahme erwecken konnten, hielten sie die Furcht in Atem, Drohung und Strafe waren ihre Büttel. Sie wussten nichts vom Geiste, und der Sache waren sie entfremdet; ihr Ziel: Dressur. Sie waren beherrscht von jenem Parade- und Uniforminstinkt, der die Glieder des jugendlichen Reichs für immer verkrüppelt hat.
Doch Wassermann bedauert nicht nur die Schüler, sondern auch die wenigen Lehrer, die lieber Güte und Intellekt walten lassen. In dem Roman Die Juden von Zirndorf begehrt der junge Agathon Geyer in einem Aufsatz zum Thema „Was soll uns die Schule sein?“ – wofür sich sein Lehrer Erich Bojesen vor dem Kollegium verteidigen muss:
Das was ich anstrebte, war, die Schüler von selbst zum Denken zu bringen, aus Andeutungen und Anschauungen ein Gesetz zu konstruieren. Ich habe ihnen aus der Wissenschaft immer ein schmackhaftes Stück Brot gemacht, nicht ein Pensum für das Gedächtnis. Aber was Sie, meine Herren, unternehmen, ist aussichtslos. Sie machen aus der Schule eine Verdummungsanstalt, und kein munter fließendes Wasser wird aus diesem Sumpf herauskommen. Alle bleiben unglückselige Marionetten, oder wie Sie es nennen, faule Schüler. Aber faul sind nur Ihre Einrichtungen. Wer dem Geist der Jugend etwas nahe bringen will, muss es mit dem Herzen tun, nicht mit dem Vocabularium.
Bojesen muss den Dienst quittieren und verfällt in der Folge zusehends.
In die sechs Jahre seiner Schulzeit fällt auch die erste Veröffentlichung von Jakob Wassermann: In seiner Autobiografie Mein Weg als Deutscher und Jude berichtet er von einem Roman, „ein unsäglich dürftiges und abgeschmacktes Ding“, das er einem Redakteur der lokalen Zeitung vorstellte, welcher den Text abdruckte – wofür der fünfzehnjährige Jakob nur Ärger bekommt: „Es gab schlimme Szenen, Vorwürfe, Drohungen, Beschimpfungen, Hohn. Auch in der Schule wurde ich zur Rechenschaft gezogen, vor den Rektor zitiert und wegen verbotener Publikation zu zwölfstündigem Karzer verurteilt.“
Anfang des 21. Jahrhunderts wird das ehemalige Schulhaus saniert und in eine edle Wohnanlage verwandelt. Ins Erdgeschoss des Gebäudes zieht das neue Stadtmuseum, das bisher im Schloss Burgfarrnbach beheimatet war und nun den Beinamen „Ludwig Erhard“ – der in der Ottostraße ebenfalls die Schulbank drückte – erhält.
Mit dem allgemeinen Wachstum von Fürth im 19. Jahrhundert steigen auch die Schülerzahlen. Deshalb beschließt die Stadt einen Neubau, der in den Jahren 1867-69 an der Ecke Hirschenstraße/Mathildenstraße errichtet wird. Das dreigeschossige, im spätklassizistischen Stil gehaltene Haus mit Uhrgiebel und Glockenturm gilt wegen seiner Modernität und Kindgerechtheit bald als Vorzeigeschule. Nicht einmal zehn Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten folgt die Erweiterung um einen dritten Flügel an der süd-östlich gelegenen Ottostraße. Nun findet auch die Königliche Realschule Platz in dem Gebäude.
Im Jahr 1883, da ist er zehn Jahre alt, tritt der junge Jakob Wassermann in die Königliche Realschule ein, die er bis 1889 besucht. Dass die Schule ihm wenig Freude bereitet hat, daraus macht der Schriftsteller später keinen Hehl. Immer wieder sind die schrecklichen Erfahrungen von Pennälern Thema in seinen Erzählungen und Romanen. Am ausführlichsten wohl in dem autobiografischen Roman Engelhart Ratgeber. Darin heißt es:
Von Woche zu Woche nahm in Engelhart der Abscheu gegen die Schule zu. Er verachtete die Auszeichnungen, die dem stumpfen Fleiß, dem tierischen Gehorsam, der gedankenlosen Aufmerksamkeit zuteil wurden, angewidert von dieser ungeschmückten Welt, der aufreibenden Wiederholung mechanischer Geschäftigkeiten […] Keine wohlmeinende und freundliche Gestalt trat ihm unter seinen Lehrern entgegen. Es waren Männer, die nicht einen Beruf erfüllten, sondern ein Amt innehatte. Sie kümmerten sich nicht um die Seele, sondern nur um die Kenntnis der Knaben. Sie hatten der höheren Stelle, der sie untergeordnet waren, nur den Beweis zu erbringen, dass sie ein vorgeschriebenes Pensum erledigten, so wie die Kellner dem Wirt die Ablieferung der Zahlmarken schuldig sind. Sie nährten den Wissensdurst mit Regeln und belohnten den Fleiß durch Zensuren, das unterweisende Wort war nur eine Grimasse, der Geist der Belehrung eine Mumie, vertrocknet durch viele Jahre eines wesenlosen Treibens. Ihre Belebtheit war aufgedunsen, ihre Vertraulichkeit voll falscher Töne, ihre Strenge lieblos und zynisch.[…]Was sie lehrten, blieb tot: Regeln, Formeln, Zahlen, Register. Da sie nicht Teilnahme erwecken konnten, hielten sie die Furcht in Atem, Drohung und Strafe waren ihre Büttel. Sie wussten nichts vom Geiste, und der Sache waren sie entfremdet; ihr Ziel: Dressur. Sie waren beherrscht von jenem Parade- und Uniforminstinkt, der die Glieder des jugendlichen Reichs für immer verkrüppelt hat.
Doch Wassermann bedauert nicht nur die Schüler, sondern auch die wenigen Lehrer, die lieber Güte und Intellekt walten lassen. In dem Roman Die Juden von Zirndorf begehrt der junge Agathon Geyer in einem Aufsatz zum Thema „Was soll uns die Schule sein?“ – wofür sich sein Lehrer Erich Bojesen vor dem Kollegium verteidigen muss:
Das was ich anstrebte, war, die Schüler von selbst zum Denken zu bringen, aus Andeutungen und Anschauungen ein Gesetz zu konstruieren. Ich habe ihnen aus der Wissenschaft immer ein schmackhaftes Stück Brot gemacht, nicht ein Pensum für das Gedächtnis. Aber was Sie, meine Herren, unternehmen, ist aussichtslos. Sie machen aus der Schule eine Verdummungsanstalt, und kein munter fließendes Wasser wird aus diesem Sumpf herauskommen. Alle bleiben unglückselige Marionetten, oder wie Sie es nennen, faule Schüler. Aber faul sind nur Ihre Einrichtungen. Wer dem Geist der Jugend etwas nahe bringen will, muss es mit dem Herzen tun, nicht mit dem Vocabularium.
Bojesen muss den Dienst quittieren und verfällt in der Folge zusehends.
In die sechs Jahre seiner Schulzeit fällt auch die erste Veröffentlichung von Jakob Wassermann: In seiner Autobiografie Mein Weg als Deutscher und Jude berichtet er von einem Roman, „ein unsäglich dürftiges und abgeschmacktes Ding“, das er einem Redakteur der lokalen Zeitung vorstellte, welcher den Text abdruckte – wofür der fünfzehnjährige Jakob nur Ärger bekommt: „Es gab schlimme Szenen, Vorwürfe, Drohungen, Beschimpfungen, Hohn. Auch in der Schule wurde ich zur Rechenschaft gezogen, vor den Rektor zitiert und wegen verbotener Publikation zu zwölfstündigem Karzer verurteilt.“
Anfang des 21. Jahrhunderts wird das ehemalige Schulhaus saniert und in eine edle Wohnanlage verwandelt. Ins Erdgeschoss des Gebäudes zieht das neue Stadtmuseum, das bisher im Schloss Burgfarrnbach beheimatet war und nun den Beinamen „Ludwig Erhard“ – der in der Ottostraße ebenfalls die Schulbank drückte – erhält.