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Erich Mühsam, Festungshaftanstalt Ansbach, 1919

Georgenstraße 105 / IV: Wohnung von Zenzl und Erich Mühsam

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Georgenstraße 105, 1905 (3. Gebäude), Stadtarchiv München, DE-1992-FS-HB-II-c-0347

Als während der Kriegsjahre Mühsams Verzweiflung über die politische Lage und das Misslingen seiner antimilitaristischen Aktivitäten wächst, sehnt er sich auch privat nach Geborgenheit. Im Laufe des Jahres 1914 wird das Verhältnis zwischen ihm und Zenzl Elfinger immer enger. Er beschreibt sie als „schöne zärtliche Frau mit der derben bayerischen Mundart, den praktischen Händen und Augen und dem herrlichen Haar und Wuchs“. Sie ist ganz anders als seine sonstigen Bohemebekanntschaften, aber gerade das macht sie ihm so besonders. Sie hat schwere Jahre hinter sich. Als einfache Bauerntochter aus der Holledau hat sie sich in München als Dienstmädchen unter schlechter Behandlung und Bezahlung bei verschiedenen Arbeitgebern durchgeschlagen. Sie hat einen unehelichen Sohn und ist zunehmend unglücklich mit dem mittellosen Bildhauer Ludwig Engler liiert.

Im Frühjahr 1915 nun reift bei ihr und Mühsam der Entschluss zusammenzuziehen:

Ob es möglich sein wird, bei der Geldknappheit uns einzurichten oder eine möblierte Wohnung zu mieten, oder wie wir uns sonst mit den Schwierigkeiten zurechtfinden werden, steht ganz dahin. Ich vertraue auf Zenzls praktischen Sinn. Ihr werde ich auch meine Gelder zur Verfügung stellen, wenn wir erst zusammen sind. Dann weiß ich, wird es keine Not geben im Hause. (Erich Mühsam, Tagebücher, 12. Mai 1915)

Die Suche gestaltet sich nicht nur wegen des engen finanziellen Spielraums schwierig. Am 16. Juni 1915 gibt Mühsam eine Annonce in den Münchner Neuesten Nachrichten auf: „Gesucht zum 1. Juli kleinere möblierte Wohnung (2–3 Zimmer) in oder bei München. Angebote mit Preisangabe an die Exped.“ Doch mehrere mögliche Mietverhältnisse scheitern daran, dass das Paar nicht verheiratet ist. Deshalb und auch, um sich gesellschaftlichen und behördlichen Angriffen zu entziehen, entschließen sie sich schließlich – gegen jegliche Grundsätze Mühsams – zur Ehe. Am 15. September wird geheiratet und wenig später ist endlich Zeit für die langersehnte Wohnung. Am 28. September 1915 notiert Mühsam: „Abschluß des Mietvertrags (Georgenstr. 105IV: eine reizende 3 Zimmer-Wohnung).“ Einen Monat später folgt die erste ausführliche Beschreibung des neuen Domizils:

Die ersten Worte in der neuen Wohnung und am neuen Schreibtisch. [...] Die Lübecker Sachen wirken in ihrer altväterlichen Solidität sehr gemütlich und schön. Bin ich froh, daß wir keine „moderne“ Stilisierung haben! [...] Zenzl hat in diesen Tagen für ein Dutzend gearbeitet, gescheuert, genäht, alles prachtvoll hergerichtet [...](Erich Mühsam, Tagebücher, 26. Oktober 1915)

Das Paar kann nun auch Zenzls 13-jährigen Sohn Siegfried zu sich nehmen. Zeitgenössischen Beschreibungen nach herrscht stets eine gastfreundliche Stimmung bei den Mühsams, der befreundete Schriftsteller Martin Andersen Nexö liefert eine detailreiche Beschreibung:

In dem hohen Mietshaus in der Georgenstraße hausten hoch unter dem Himmel mit weiter Aussicht über Gärten und lehmige Bauplätze als zwei freie Vögel Erich und Zenzl Mühsam. Zenzl, selber groß und hell, hielt sich meist in ihrer großen hellen Küche auf, da hantierte sie und kochte und briet und buk. [...] Und zutiefst in der Stube saß zwischen verstaubten Büchern im Halbdunkel Erich Mühsam und kommentierte die Weltereignisse, während Gäste kamen und gingen, deren jeder das seine zum Haushalt beitrug. [...] Sie verließ ihre Küche ebenso ungern wie er sein Studierzimmer; ihre Mahlzeiten waren ebenso anregend und würzreich wie seine Anmerkungen; ihr Geist war ebenso revolutionär wie seiner. Aus der Küche warf sie wie helle Funken ihre Bemerkungen in die Diskussion, deren Teilnehmer waren revolutionäre Künstler, revolutionäre Arbeiter, dieser und jener aufrührerische Soldat. [...] unbewußt hatten er und Zenzl um sich eine Welt geschaffen, in der man die Luft einer neuen Zeit schon atmete. (Martin Andersen Nexö, Die braune Bestie)

Ein abruptes Ende findet dieses Zusammenleben mit der Revolution 1918. Schon bald nach der Ausrufung der Republik spitzen sich die Verhältnisse in München so zu, dass Erich Mühsam wegen seines politischen Engagements in den Räten ständig mit Verhaftungen und Angriffen rechnet und kaum noch zu Hause schläft. Am 13. April 1919 wird er schließlich im Rahmen eines gegenrevolutionären Putschversuchs aus seinem Bett heraus verhaftet. Ab da bleibt er in Haft und wird im Juni 1919 zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. Die Wohnung wird in den Tagen der blutigen Niederschlagung der Räterepublik im Mai 1919 verwüstet:

Meine Wohnung ist demoliert und ausgeplündert. Alle Wäsche und alles Silber geraubt. Die arme, arme Zenzl. [...] Man hatte Zenzl erklärt, ich sei irgendwo auswärts erschossen worden, und sie selbst wäre zweifellos umgebracht, wenn nicht Freunde sie rechtzeitig veranlaßt hätten, die Wohnung zu verlassen. (Erich Mühsam, Tagebücher, 28. Mai 1919)

Zenzl Mühsam, die ihrem Mann auch in den Jahren der Haft treu zur Seite steht, muss immer wieder Anfeindungen ertragen und zieht schließlich Ende 1920 aus der Wohnung aus:

Vorgestern ist Zenzl von der Georgenstrasse 105 weggezogen nach der Adalbertstrasse 37. Wieviel Glück, Freude, Liebe war in der alten Wohnung – und wieviel Jammer hat sie erlebt! Es gibt mir doch einen Stich zu denken, daß ich mein erstes eigenes wirkliches Heim nicht wiedersehn werde. (Erich Mühsam, Tagebücher, 3. Dezember 1920)

 

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Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Laura Mokrohs