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Erich Mühsam, Festungshaftanstalt Ansbach, 1919

Friedrichstraße 21: Wohnung von Carl Georg von Maassen

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Friedrichstraße 21, 1920, Stadtarchiv München, DE-1992-FS-PK-STR-00433

Im März 1916 hilft Erich Mühsam dem Freund Carl Georg von Maassen (1880-1940) beim Umzug in seine neue Wohnung in der Friedrichstraße 21. Seit 1912 zählt Maassen zu Mühsams Freundeskreis, er hält ihn für einen „ganz prächtige[n] Mensch[en]“.

Der in Hamburg geborene wohlhabende Maassen kommt 1901 zum Studium der Rechtswissenschaft und Germanistik nach München. Als Privatgelehrter, Literaturwissenschaftler, E.T.A. Hoffmann-Forscher und vor allem Bibliophiler wird er Teil der Münchner Boheme. 1907 gründet er mit Karl Wolfskehl, Ernst Schulte-Strathaus, Hans von Weber, Franz Blei und Emil Hirsch die „Gesellschaft der Münchner Bibliophilen“.

Schon in seiner Wohnung in der Adalbertstraße 88 bewirtet er oft spätnachts, wenn alle Lokale schließen, seine Gäste mit „Kaffee, Schnaps und Grammophonvorträgen“ (Erich Mühsam, Tagebücher, 23. Februar 1912) oder etlichen „Flaschen exquisiten Burgunderweins“ (Erich Mühsam, Tagebücher, 3. September 1914):

Nach Schluß der Lokale natürlich noch Vereinigung in Maaßens prachtvoller Bibliotheksstube. (Erich Mühsam, Tagebücher, 2. April 1915)

Besonders während des Krieges wird die Wohnung Maassens zu einem wichtigen Treffpunkt. In den Lokalen nimmt die Bespitzelung durch Polizei und Militärbehörden zu, weshalb man sich lieber in privaten Kreisen trifft. Die Gästebücher Maassens zeugen von lustigen Runden. Mit dem Umzug in die Friedrichstraße wird ein neuer Band begonnen, auf dessen Titelzeichnung auch Mühsam verewigt ist. Zum Dank für seine Hilfe beim Umzug erhält Mühsam eine bibliophile Gabe:

Meine Bücherei hat eine wundervolle Bereicherung erfahren. C. G. v. Maaßen hat mir zum Dank für meine Arbeit bei seinem Umzug eine alte Goethe-Ausgabe geschenkt: Ausgabe letzter Hand von 1828. 40 Oktavbände mit Kupfern. Das ist jetzt mein schönster Bücherbesitz. (Erich Mühsam, Tagebücher, 11. März 1916)

Zum engen Kreis um Maassen zählen neben Mühsam etwa Max Halbe, der Zeichner Rolf  von Hoerschelmann, der Technikhistoriker Carl Graf von Klinckowstroem, die Schriftsteller Otto Anthes und Walter Ziersch. Gerade in der Kriegszeit fehlen jedoch viele Bekannte, die an die Front müssen. Gefallenenmeldungen und die Hoffnung auf baldige Rückkehr anderer prägen die Unterhaltungen. Auch Maassen selbst muss zeitweise an die Front. Im Juli 1917 heißt es in seinem Gästebuch: „Sonntag, am 8. Juli 1917, 12 Uhr nachts (Heimaturlaub, 2. Tag)“. Erich Mühsam versieht die Seite mit einigen Versen:

Zu Ende geht die große Zeit,
indem die Welt nach Frieden schreit.
Ein Urlaub deutet sinnig an,
was hernach sich begeben kann.
Die Sehnsucht hält die Sinne hell –
wir träumen von Bordeaux-, Bordell,
beim Siebenborner Saarwein. –
und das soll wahr sein!

Titelseite des Gästebuchs von C. G. Maassen in der Friedrichstraße, 1916-1924, Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, Album 12

In diesen Jahren gerät Mühsam oft wegen dessen patriotischer Haltung mit Maassen in Streit. Dennoch hat die Freundschaft Bestand.

Aber ich fühlte wieder, wie tief er trotz aller Gegensätzlichkeit sämtlicher Anschauungen begründet ist. Dieser adlige konservative preußische Offizierssohn und Hurrahpatriot ist mir einer der nächsten Menschen und wird es bleiben. (Erich Mühsam, Tagebücher, 1. März 1915)

Auch aus der Zeit der Revolution findet sich im Gästebuch eine Eintragung Mühsams:

Mittwoch, d. 8. Januar 1919
(nach der Kegelbahn)

Der Tannenbaum steht würdevoll und grau,
enthaart, verwittert und mit müden Zweigen.
Glaskugeln, Nüsse hängen dran und neigen
sich vor dem Schwan, dem Schwein und der papiernen Frau.

Sind das die Tage, da die Bolschewisten
den Grund aufrühren von den Reiches Bau?
Sanft strömen Verse, doch die Zeit ist rauh,
und niemand weiß, was bergen unsrer Zukunft Kisten?

Hart ist die Zeit und wird noch täglich härter.
Sie nimmts mit keinem Schicksal mehr genau.
Der Tannenbaum steht würdevoll und grau
und schweigend unter ihm im Glas glänzt der Château du Tertre.

Als Erich und Zenzl Mühsam im Anschluss an die Festungshaft, die er wegen der Beteiligung an Revolution und Räterepublik von 1919 bis 1924 absitzen muss, beschließen Bayern zu verlassen und nach Berlin zu ziehen, vertraut Mühsam dem Tagebuch an: „München ist passé für mich, und nur C. G. v. Maaßen und die Familie Schollenbruch werde ich wohl vermissen.“ (Erich Mühsam, Tagebücher, 4. Dezember 1923)

 


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Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Laura Mokrohs