Theresienstraße 34: Max Halbes Kegelbahn
Ab Frühjahr 1911 erwähnt Erich Mühsam in seinem Tagebuch häufig Besuche auf Max Halbes Privatkegelbahn. Der seit 1895 in München lebende naturalistische Schriftsteller Halbe ist ein zentrale Größe im dortigen literarischen Leben. Seine Kegelgesellschaft „Unterströmung“ bietet Netzwerk, Diskussion und Austausch für zahlreicher Münchner Schriftsteller. In seiner Autobiographie Jahrhundertwende erklärt Halbe die Namensgebung:
Mit dem Namen hat es vielmehr folgende Bewandtnis. Als seinerzeit Joseph Ruederers „Nebenregierung“, von der schon früher die Rede war, den Weg aller Vereine ging, indem sie sich nämlich auflöste, gründeten einige ihrer früheren Mitglieder, zu denen auch ich gehörte, gewissermaßen als Fortsetzung dieser „Nebenregierung“ und nicht ohne persiflierenden Beigeschmack unsere brave „Unterströmung“, aber nicht mehr als literarischen Verein, sondern als einfache Kegelgesellschaft. [...] ein tüchtiger, hemdärmeliger, ganz seinem Sport ergebener Männerverein, der über das Kegeln hinaus nur noch das eine Ziel hat, die gegenseitige Freundschaft und Kameradschaft zu pflegen. (Max Halbe, Jahrhundertwende)
Mühsam ist „viele Jahre hindurch treuer Besucher“ und es gelingt ihm trotz seiner „nicht alltäglichen Ungeschicklichkeit in allen manuellen Verrichtungen, sogar, die Kunst des Kegelschiebens bis zu anerkannten Graden“ (Erich Mühsam, Unpolitische Erinnerungen, S. 140) zu entwickeln. Er zählt die Kegelbahn in seinen Unpolitischen Erinnerungen zu den „Brutstätten der Münchner Kultur“, sie ist für ihn ein „Sammelplatz ausgezeichneter Menschen“. Anlässlich eines Fests der Kegelbahn entsteht auch das Foto, das die Gesellschaft zeigt:
Abends war Kegelbahn – und zwar Sommerfest. Es gab herrliche Schinken, Sardellen, Käse, Caviar und Gänseleberpastete. Ferner setzte Halbe eine ganz vorzügliche Pfirsichbowle an, und ich trank davon genug, um einigermaßen betrunken zu sein. [...] Übrigens ist das festliche Ereignis für die Ewigkeit fixiert worden. Ein Photograph kam und nahm die ganze Kegelgesellschaft für die Sportnummer der „Münchner Illustrierten Zeitung“ auf. (Erich Mühsam, Tagebücher, 13. Juli 1911)
Das Bild und den dazugehörigen Artikel nimmt auch die politische Polizei des Königreichs Preußen in die Erich-Mühsam-Akte auf. Der Artikel der Münchner Illustrierten Zeitung zeigt, wer auf der Kegelbahn verkehrt:
Im Vordergrund sehen wir links den modernen Fabeldichter Theodor Etzel, neben ihm den Allerweltsmitarbeiter Roda Roda, friedlich benachbart von dem „Anarchisten“ Erich Mühsam, der statt der Bombe den Maßkrug in der Hand hat und damit auch keineswegs zu werfen gedenkt. Der Bühnenschriftsteller O. Anthes denkt vielleicht daran, ein Kegeldrama zu schreiben, in dem August Weigert im Schauspielhaus die Hauptrolle spielen wird, [...] Dr. Max Halbe, der sich nunmehr, wie es scheint, ganz dem Roman gewidmet hat, kann hier treffliche Studien machen. Außerdem sehen wir noch Professor A. Kutscher und den Maler Hubert Wilm, [...].
Mühsam findet, dass Bild sei mit „einem recht dummen Text“ abgedruckt, vor allem stört ihn, dass ‚Anarchist‘ bei seiner Beschreibung nur in Anführungsstrichen steht.
Außenansicht Theresienstraße 34 (Pension Helene), 1921, Stadtarchiv München, DE-1992-FS-PK-STB-03150
In den Kriegsjahren überschatten häufig politische Uneinigkeiten die Stimmung auf der Kegelbahn. Mühsam behält die Gesellschaft jedoch in guter Erinnerung und wird noch aus der Festungshaft heraus 1922 einen Brief Ernst Tollers an Halbe mit einem Gruß ergänzen: „Ich denke umso heftiger unserer alten Theresienbahn.“ (Ernst Toller an Max Halbe, 29. Juli 1922)
Diese Notiz ist vor allem von Bedeutung, da sie Informationen für die strittige Frage nach dem Ort der Kegelbahn bringt. Verschiedene Kellerräumlichkeiten der Maxvorstadt tauchen hier in der Forschung auf, häufig die Türkenstraße 33 oder 34. Anhand von Mühsams Erinnerungen lässt die Bahn sich entweder in der Theresienstraße 34 oder im Eckhaus Türkenstraße 34 (hin zur Theresienstraße) verorten.
Während Mühsam die Kegelbahn in guter Erinnerung behält, erwähnt Max Halbe den politischen Schriftsteller Mühsam in seinen Lebenserinnerungen bei der Beschreibung der Kegelbahn nicht. Halbe gehört im Oktober 1933 zu den Schriftstellern, die das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ gegenüber Adolf Hitler unterzeichnen.
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Ab Frühjahr 1911 erwähnt Erich Mühsam in seinem Tagebuch häufig Besuche auf Max Halbes Privatkegelbahn. Der seit 1895 in München lebende naturalistische Schriftsteller Halbe ist ein zentrale Größe im dortigen literarischen Leben. Seine Kegelgesellschaft „Unterströmung“ bietet Netzwerk, Diskussion und Austausch für zahlreicher Münchner Schriftsteller. In seiner Autobiographie Jahrhundertwende erklärt Halbe die Namensgebung:
Mit dem Namen hat es vielmehr folgende Bewandtnis. Als seinerzeit Joseph Ruederers „Nebenregierung“, von der schon früher die Rede war, den Weg aller Vereine ging, indem sie sich nämlich auflöste, gründeten einige ihrer früheren Mitglieder, zu denen auch ich gehörte, gewissermaßen als Fortsetzung dieser „Nebenregierung“ und nicht ohne persiflierenden Beigeschmack unsere brave „Unterströmung“, aber nicht mehr als literarischen Verein, sondern als einfache Kegelgesellschaft. [...] ein tüchtiger, hemdärmeliger, ganz seinem Sport ergebener Männerverein, der über das Kegeln hinaus nur noch das eine Ziel hat, die gegenseitige Freundschaft und Kameradschaft zu pflegen. (Max Halbe, Jahrhundertwende)
Mühsam ist „viele Jahre hindurch treuer Besucher“ und es gelingt ihm trotz seiner „nicht alltäglichen Ungeschicklichkeit in allen manuellen Verrichtungen, sogar, die Kunst des Kegelschiebens bis zu anerkannten Graden“ (Erich Mühsam, Unpolitische Erinnerungen, S. 140) zu entwickeln. Er zählt die Kegelbahn in seinen Unpolitischen Erinnerungen zu den „Brutstätten der Münchner Kultur“, sie ist für ihn ein „Sammelplatz ausgezeichneter Menschen“. Anlässlich eines Fests der Kegelbahn entsteht auch das Foto, das die Gesellschaft zeigt:
Abends war Kegelbahn – und zwar Sommerfest. Es gab herrliche Schinken, Sardellen, Käse, Caviar und Gänseleberpastete. Ferner setzte Halbe eine ganz vorzügliche Pfirsichbowle an, und ich trank davon genug, um einigermaßen betrunken zu sein. [...] Übrigens ist das festliche Ereignis für die Ewigkeit fixiert worden. Ein Photograph kam und nahm die ganze Kegelgesellschaft für die Sportnummer der „Münchner Illustrierten Zeitung“ auf. (Erich Mühsam, Tagebücher, 13. Juli 1911)
Das Bild und den dazugehörigen Artikel nimmt auch die politische Polizei des Königreichs Preußen in die Erich-Mühsam-Akte auf. Der Artikel der Münchner Illustrierten Zeitung zeigt, wer auf der Kegelbahn verkehrt:
Im Vordergrund sehen wir links den modernen Fabeldichter Theodor Etzel, neben ihm den Allerweltsmitarbeiter Roda Roda, friedlich benachbart von dem „Anarchisten“ Erich Mühsam, der statt der Bombe den Maßkrug in der Hand hat und damit auch keineswegs zu werfen gedenkt. Der Bühnenschriftsteller O. Anthes denkt vielleicht daran, ein Kegeldrama zu schreiben, in dem August Weigert im Schauspielhaus die Hauptrolle spielen wird, [...] Dr. Max Halbe, der sich nunmehr, wie es scheint, ganz dem Roman gewidmet hat, kann hier treffliche Studien machen. Außerdem sehen wir noch Professor A. Kutscher und den Maler Hubert Wilm, [...].
Mühsam findet, dass Bild sei mit „einem recht dummen Text“ abgedruckt, vor allem stört ihn, dass ‚Anarchist‘ bei seiner Beschreibung nur in Anführungsstrichen steht.
Außenansicht Theresienstraße 34 (Pension Helene), 1921, Stadtarchiv München, DE-1992-FS-PK-STB-03150
In den Kriegsjahren überschatten häufig politische Uneinigkeiten die Stimmung auf der Kegelbahn. Mühsam behält die Gesellschaft jedoch in guter Erinnerung und wird noch aus der Festungshaft heraus 1922 einen Brief Ernst Tollers an Halbe mit einem Gruß ergänzen: „Ich denke umso heftiger unserer alten Theresienbahn.“ (Ernst Toller an Max Halbe, 29. Juli 1922)
Diese Notiz ist vor allem von Bedeutung, da sie Informationen für die strittige Frage nach dem Ort der Kegelbahn bringt. Verschiedene Kellerräumlichkeiten der Maxvorstadt tauchen hier in der Forschung auf, häufig die Türkenstraße 33 oder 34. Anhand von Mühsams Erinnerungen lässt die Bahn sich entweder in der Theresienstraße 34 oder im Eckhaus Türkenstraße 34 (hin zur Theresienstraße) verorten.
Während Mühsam die Kegelbahn in guter Erinnerung behält, erwähnt Max Halbe den politischen Schriftsteller Mühsam in seinen Lebenserinnerungen bei der Beschreibung der Kegelbahn nicht. Halbe gehört im Oktober 1933 zu den Schriftstellern, die das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ gegenüber Adolf Hitler unterzeichnen.
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