Barerstraße 53: Bunter Vogel
Im September 1911 beschreibt Mühsam im Tagebuch, dass er bummeln geht, „in ein neu aufgemachtes Schwoflokal, ‚zum bunten Vogel’“. Hedi König eröffnet gemeinsam mit ihren Schwestern Trude und Liese die Künstler- und Studentenkneipe, die ab da ein Konkurrenzlokal zur bekannten Künstlerkneipe Simplicissimus ist. Das Werbeplakat für den Bunten Vogel stammt von Albert Weisgerber. Dieser ist nicht nur ein Schachkollege Mühsams, sondern vor allem als Künstler im Umfeld des Blauen Reiters, um Wassily Kandinsky und Franz Marc, aktiv. Er verkörpert also die enge Verbindung zwischen literarischer Boheme und den avantgardistischen Strömungen der bildenden Kunst.
Der Bunte Vogel zählt bald zu den zahlreichen Cafés und Kneipen, in denen Mühsam diskutiert, sich amüsiert und die Nächte durchzecht. Für die Lebensanschauung der Boheme sind solche Lokale zentrale Orte – hier werden neue Gedanken ausgetauscht, weitergesponnen, in der teils hitzigen Diskussion verteidigt oder überdacht. Bei allem politischen Gehalt der Ideen und Diskussionen kommt es jedoch selten wegen unterschiedlicher Meinungen zum Bruch. Etwa mit dem Bibliophilen Carl Georg von Maassen verbindet Erich Mühsam trotz vehementer politischer Differenzen eine langjährige Freundschaft. Im April 1912 notiert Mühsam im Tagebuch:
Nachher im Bunten Vogel stieß dann mein Anarchismus mit dem Patriotismus des Herrn v. Maaßen zusammen. Wilm und Schwaiger sekundierten ihm, B. v. Jacobi in zurückhaltendem Maße mir. [...]. Nachher ging ich mit Maßen [Maaßen] friedlich zusammen fort. (Erich Mühsam, Tagebuch, 11. April 1912)
Auch seine zahlreichen Damenbekanntschaften pflegt Mühsam an solchen Abenden. Im Bunten Vogel verkehrt auch die Schriftstellerin Emmy Hennings. Unter dem Titel „Der rote Strich“ wird im Lokal ein Kabarettabend von ihr aufgeführt. Ab 1910 erwähnt Mühsam sie regelmäßig in seinen Tagebüchern, immer wieder ist er angezogen von ihr. Emmy Hennings zählt zu den Frauen, die zu dieser Zeit ein selbstbestimmtes Künstlerleben – fern der bürgerlichen Konvention – führen.
Auch ein Stück, an dessen Entstehung Mühsam beteiligt ist, wird hier aufgeführt. Aus einem „Ulk“ heraus gründet er mit Carl Georg von Maassen, den Malern Albert Weisgerber und Max Unold den „Verein süddeutscher Bühnenkünstler“ und verfasst gemeinsam mit Maassen und Reinhard Koester „in zwei alkoholdurchseelten Nächten“ das Drama Im Nachthemd durchs Leben. Dieses Stück erscheint 1914 in kleiner Auflage als bibliophiler Druck und wird auf einem Faschingsfest mit von Weisgerber, Unold und Krautheimer „geschnitzten Figuren auf dem Kasperltheater des Bunten Vogels, der ‚Freien Holzbühne’, aufgeführt.“ Auch Joachim Ringelnatz (Hans Gustav Bötticher) ist an der Aufführung beteiligt. Der Abend bringt so viel ein, dass davon der Druck und eine „gewaltige Pfirsichbowle“ für den Verein bezahlt werden können.
Der Bunte Vogel wird auch aus anderen Gründen zu einem wichtigen Ort für Erich Mühsam, denn hier feiern im September 1915 er und Zenzl Elfinger Hochzeit. Die Feier im kleinen Kreis muss aus finanziellen Gründen bescheiden ausfallen, und ein Freund der Konvention des Heiratens ist Mühsam ohnehin nicht. Als Mühsams Trauzeuge ist Carl Georg von Maassen dabei.
Ich hatte ein unangenehmes Gefühl im Schlund, da diese alberne Szene nun plötzlich imstande sein sollte, mein Zusammenleben mit der lieben Frau vor der Welt anständig zu machen und sie in einer Weise in meine Abhängigkeit zu geben, die, wie ich ihr kürzlich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorlas, ganz abscheulich ist und unwürdig für selbständige Menschen. Bei Hedi König gabs im Bunten Vogel das Hochzeitsmahl für 6 Personen (außer uns und den Zeugen noch Frau Anthes und Maaßens Freundin Magda Peters). Es wurde bei gutem Wein sehr lustig. (Erich Mühsam, Tagebücher, 16. September 1915)
Im Verlauf der Kriegsjahre wird auch im Bunten Vogel die Verschärfung der allgemeinen Stimmung deutlich spürbar, die ersten Hungerproteste in München werden unter den Gästen diskutiert:
Das Volk steht auf! – Gestern erlebten wir den Auftakt der Revolution. – Mittags brachte meine Frau das Gerücht nach Hause, am Marienplatz sei etwas los gewesen, ein Butterkrawall oder dergleichen. Abends waren wir im „Bunten Vogel“, wo erzählt wurde, um 7 Uhr habe es am Marienplatz Krach gegeben, die Leute ständen noch da. (Erich Mühsam, Tagebücher, 18. Juni 1916)
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Im September 1911 beschreibt Mühsam im Tagebuch, dass er bummeln geht, „in ein neu aufgemachtes Schwoflokal, ‚zum bunten Vogel’“. Hedi König eröffnet gemeinsam mit ihren Schwestern Trude und Liese die Künstler- und Studentenkneipe, die ab da ein Konkurrenzlokal zur bekannten Künstlerkneipe Simplicissimus ist. Das Werbeplakat für den Bunten Vogel stammt von Albert Weisgerber. Dieser ist nicht nur ein Schachkollege Mühsams, sondern vor allem als Künstler im Umfeld des Blauen Reiters, um Wassily Kandinsky und Franz Marc, aktiv. Er verkörpert also die enge Verbindung zwischen literarischer Boheme und den avantgardistischen Strömungen der bildenden Kunst.
Der Bunte Vogel zählt bald zu den zahlreichen Cafés und Kneipen, in denen Mühsam diskutiert, sich amüsiert und die Nächte durchzecht. Für die Lebensanschauung der Boheme sind solche Lokale zentrale Orte – hier werden neue Gedanken ausgetauscht, weitergesponnen, in der teils hitzigen Diskussion verteidigt oder überdacht. Bei allem politischen Gehalt der Ideen und Diskussionen kommt es jedoch selten wegen unterschiedlicher Meinungen zum Bruch. Etwa mit dem Bibliophilen Carl Georg von Maassen verbindet Erich Mühsam trotz vehementer politischer Differenzen eine langjährige Freundschaft. Im April 1912 notiert Mühsam im Tagebuch:
Nachher im Bunten Vogel stieß dann mein Anarchismus mit dem Patriotismus des Herrn v. Maaßen zusammen. Wilm und Schwaiger sekundierten ihm, B. v. Jacobi in zurückhaltendem Maße mir. [...]. Nachher ging ich mit Maßen [Maaßen] friedlich zusammen fort. (Erich Mühsam, Tagebuch, 11. April 1912)
Auch seine zahlreichen Damenbekanntschaften pflegt Mühsam an solchen Abenden. Im Bunten Vogel verkehrt auch die Schriftstellerin Emmy Hennings. Unter dem Titel „Der rote Strich“ wird im Lokal ein Kabarettabend von ihr aufgeführt. Ab 1910 erwähnt Mühsam sie regelmäßig in seinen Tagebüchern, immer wieder ist er angezogen von ihr. Emmy Hennings zählt zu den Frauen, die zu dieser Zeit ein selbstbestimmtes Künstlerleben – fern der bürgerlichen Konvention – führen.
Auch ein Stück, an dessen Entstehung Mühsam beteiligt ist, wird hier aufgeführt. Aus einem „Ulk“ heraus gründet er mit Carl Georg von Maassen, den Malern Albert Weisgerber und Max Unold den „Verein süddeutscher Bühnenkünstler“ und verfasst gemeinsam mit Maassen und Reinhard Koester „in zwei alkoholdurchseelten Nächten“ das Drama Im Nachthemd durchs Leben. Dieses Stück erscheint 1914 in kleiner Auflage als bibliophiler Druck und wird auf einem Faschingsfest mit von Weisgerber, Unold und Krautheimer „geschnitzten Figuren auf dem Kasperltheater des Bunten Vogels, der ‚Freien Holzbühne’, aufgeführt.“ Auch Joachim Ringelnatz (Hans Gustav Bötticher) ist an der Aufführung beteiligt. Der Abend bringt so viel ein, dass davon der Druck und eine „gewaltige Pfirsichbowle“ für den Verein bezahlt werden können.
Der Bunte Vogel wird auch aus anderen Gründen zu einem wichtigen Ort für Erich Mühsam, denn hier feiern im September 1915 er und Zenzl Elfinger Hochzeit. Die Feier im kleinen Kreis muss aus finanziellen Gründen bescheiden ausfallen, und ein Freund der Konvention des Heiratens ist Mühsam ohnehin nicht. Als Mühsams Trauzeuge ist Carl Georg von Maassen dabei.
Ich hatte ein unangenehmes Gefühl im Schlund, da diese alberne Szene nun plötzlich imstande sein sollte, mein Zusammenleben mit der lieben Frau vor der Welt anständig zu machen und sie in einer Weise in meine Abhängigkeit zu geben, die, wie ich ihr kürzlich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorlas, ganz abscheulich ist und unwürdig für selbständige Menschen. Bei Hedi König gabs im Bunten Vogel das Hochzeitsmahl für 6 Personen (außer uns und den Zeugen noch Frau Anthes und Maaßens Freundin Magda Peters). Es wurde bei gutem Wein sehr lustig. (Erich Mühsam, Tagebücher, 16. September 1915)
Im Verlauf der Kriegsjahre wird auch im Bunten Vogel die Verschärfung der allgemeinen Stimmung deutlich spürbar, die ersten Hungerproteste in München werden unter den Gästen diskutiert:
Das Volk steht auf! – Gestern erlebten wir den Auftakt der Revolution. – Mittags brachte meine Frau das Gerücht nach Hause, am Marienplatz sei etwas los gewesen, ein Butterkrawall oder dergleichen. Abends waren wir im „Bunten Vogel“, wo erzählt wurde, um 7 Uhr habe es am Marienplatz Krach gegeben, die Leute ständen noch da. (Erich Mühsam, Tagebücher, 18. Juni 1916)
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