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Plakat zur Ausstellung "Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung 1894-1933" (2018)

München, Café Luitpold, Brienner Straße 11

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Café Luitpold um 1900 (c) Archiv Monacensia

Es ist das Café Luitpold, in dem am 18. Oktober 1899 der Erste Allgemeine Bayerische Frauentag eröffnet wird. Im „Schlachtensaal“ des Cafés werden die Gäste begrüßt. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten eine kleine gestreifte blauweiße Ansteckschleife mit der Aufschrift „Erster allgemeiner bayerischer Frauentag“.

Möglich macht den Ersten Bayerischen Frauentag eine neue Rechtslage: 1898 hat der Gesetzgeber den Artikel 15 des bayerischen Vereinsgesetzes geändert, der Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen und die Teilnahme an politischen Veranstaltungen untersagt. Zwar heißt es in besagtem Artikel noch immer: „Frauenspersonen und Minderjährige können weder Mitglieder politischer Vereine seyn, noch den Versammlungen derselben beiwohnen.“ Die Lockerung besteht darin, dass es volljährigen weiblichen Personen fortan erlaubt ist, an Vereinen oder Versammlungen teilzunehmen, die „den Berufs- und Standesinteressen bestimmter Personenkreise oder den Zwecken der Erziehung, des Unterrichts und der Armen- und Krankenpflege dienen“.

An diesem 1899 in München stattfindenden Kongress, der ersten großen frauenpolitischen Zusammenkunft in Bayern überhaupt, nehmen über 50 Frauen aus 14 bayerischen Städten teil, um den Dialog über die gesellschaftliche Rolle der Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu eröffnen.

Im „Prinzensaal“ spricht Ika Freudenberg, die Präsidentin des Vereins, über Die idealen Gesichtspunkte der heutigen Frauenbewegung. Die Künstlerin und Lehrerin Clementine von Braunmühl, die in München den Künstlerinnenverein gegründet hat und auch leitet, referiert im Anschluss Über den Zweck des Mädchengymnasiums. Als Ziel stellt sie die Vorbereitung seiner Absolventinnen auf ein Studium vor.

Alle weiteren Vorträge, Diskussionsrunden und Veranstaltungen des Ersten bayerischen Frauentages finden dann im alten Saal des Alten Rathauses statt, den der Magistrat zur Verfügung gestellt hat.

Das Café Luitpold wird zum öffentlichen Lieblingsveranstaltungsort des Vereins für Fraueninteressen. Zwischen 1903 und 1905 veranstaltet er hier seine fünf öffentlichen Jugendabende und im Jahr 1904 feiert er hier sogar sein 10-jähriges Bestehen. Auch seine große Versammlungen lässt der Verein hier stattfinden. 1907 zum Thema Der Eintritt der Frau in die gemeindliche Armenpflege und 1913 eine große öffentliche Kundgebung von 20 Münchner Frauenvereinen zum Thema Fraueneinfluss in der Mädchenschule.

Im Café Luitpold treten die Frauenrechtlerinnen und Schriftstellerinnen des Vereins für Fraueninteressen und des 1913 gegründeten Schriftstellerinnenvereins auch immer wieder mit öffentlichen Vorträgen in Erscheinung. An vorderster Front die Schriftstellerin Carry Brachvogel.

1911 hält sie im Prinzensaal des Café Luitpold den öffentlichen Vortrag Hebbel und die moderne Frau, der 1912 auch veröffentlicht wird. In ihm rechnet sie nicht nur mit den klassischen Dichtern ab, sondern poetisch verdichtet findet sich hier auch die geradezu klassische Definition des neuen Typus der modernen, selbstbestimmten Frau, so wie sie auch der Verein für Fraueninteressen vertritt.

Carry Brachvogel geht in dem Vortrag der Frage nach, woher die Reduktion der Frau auf das Gefühl, die Liebe und den Mann als alleiniger Lebenssinn eigentlich kommt. Unter den Schuldigen macht sie auch die deutschen Dichter der Klassik mit dem von ihnen in ihren Dramen propagierten Frauenbild aus. Die Stationen ihres „literarischen Spaziergangs“ bilden Lessing (1729-1781), Goethe (1749-1823), Schiller (1759-1805), Kleist (1777-1811) und Hebbel (1813-1863). Schlagfertig trägt Brachvogel ihre Ansichten zur Psychologie der Frauencharaktere im klassischen deutschen Drama vor, dies immer auch mit einem boshaften Seitenblick auf die Ehen von Lessing, Goethe, Schiller und Kleist. Anhand der von ihnen entworfenen Frauenfiguren zeigt sie, dass die urklassischen Dichter – abgesehen von wenigen Ausnahmen – als Lebenszweck der Frau immer nur die Liebe hingestellt hätten. Seit Lessing Ende des 18. Jahrhunderts aus der französischen Heldentragödie das bürgerliche deutsche Drama geschaffen habe, hat Brachvogel zufolge das „Gefühl“ auf Deutschlands Bühnen Einzug gehalten und die Festlegung der Frau auf die Liebe stattgefunden:

Lange ehe Goethe es niederschrieb, schluchzte schon die ganze Welt betränten Auges und gehobenen Herzens: „Gefühl ist alles“. Und welch schöneres Gefühl könnte es wohl geben, als die Liebe, und welch edleres Gefühl für dies Gefühl, als die Frau?! Da beginnt denn mit dem klassischen Drama der Reigen jener Frauen, oder vielmehr jener Mädchen zu schreiten, die ganz Liebe, ganz auf Liebe gestellt sind, die Gretchen, Klärchen, Luisen, Kätchen und wie sie noch alle heißen, die verschiedene Namen tragen und doch immer den gleichen Typ darstellen. Liebe erfaßte, verzehrte, verbrannte diese Mädchengestalten, daß nichts von ihnen bleibt als immerfort Liebe. Wenn aber doch einmal in einer Gestalt ein Unverbrennbares, Unlösliches bleiben wollte, dann erschien es nicht wie ein wertvoller, astbestener Kern, sondern wie eine garstige Schlacke, welche die Frau, die nicht restlos in Liebesflammen aufging, vom höchsten Erdenglück, der Mannesliebe, ausschloß. Das ganze Wesen der Frau durfte nur aus  e i n er  Quelle fließen, der aus der Liebe. [...] Liebe war das Schicksal, Jungfräulichkeit der höchste Wert, der einzige, der nicht in den Liebesflammen zugrunde gehen durfte, dessen Verlust nur mit dem Tode gebüßt werden konnte.

Und so lastet Carry Brachvogel denn auch der Klassik das überkommene realitätsferne Frauenbild an, dass sie seither in der deutschen Kultur propagiert sieht. Einzig Friedrich Hebbel sei mit seinen Dramen der modernen Frau gerecht geworden. Dem Frauenbild der urklassischen Dichter – Reduktion der Frauen auf Liebe als Lebensinhalt – stellt Carry Brachvogel programmatisch den Typus der modernen, selbstbestimmten Frau entgegen:

Modern sein heißt für die Frau ja nicht etwa, nur einen Beruf haben, promovieren oder an Wahltagen einen Stimmzettel abgeben wollen, nein, modern sein heißt für die Frau, ihr Leben nicht ausschließlich auf die Liebe festlegen, heißt, dem Manne nicht die Gewalt zu binden und zu lösen zugestehn. Modern sein heißt für die Frau ein eigenes Gesetz in der Brust tragen, dessen Erfüllung ihr vielleicht nicht banales Glück, gewiß aber das höchste Glück der Erdenkinder gewährt: die Persönlichkeit. Modern sein heißt für die Frau wohl lieben bis zum höchsten Opfermut, nicht aber bis zur Selbstvernichtung, heißt sich nur fürstlich, nie aber närrisch verschwenden, heißt ein Unlösbares in sich tragen, das nie zerstört werden kann, sozusagen ein Fideikommiß der Seele, das ewig unveräußerlich bleibt.

Überliefert ist auch, dass Carry Brachvogel im Prinzensaal des Café Luitpold während des Ersten Weltkrieges am 29. Januar 1915 einen Vortrag über Die Frau in Waffen gehalten hat, den der Verein für Fraueninteressen im Vereins-Anzeiger des Stadtbundes Münchner Frauenvereine ankündigte.

 


Zur Station 20 von 26 Stationen


 

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Richardsen, Ingvild (2018): Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung. 1894-1933. Volk Verlag, München.

Verein für Fraueninteressen (Hg.) (1994): Renate Lindemann: 100 Jahre Verein für Fraueninteressen. München.