Thomas Lang über seinen neuen Roman „Freinacht“
Das Literaturportal Bayern ist mit Thomas Lang im Englischen Garten gewesen und hat sich mit ihm über seinen neuen Roman Freinacht unterhalten, der am 5. August im Berlin Verlag erschienen ist. Erfahren Sie mehr über das interaktive Schreibprojekt, das seinen Weg zum Roman gefunden hat.
*
Der Netzroman Der gefundene Tod
Literaturportal Bayern: Herr Lang, fünfzehn Monate lang haben Sie an dem Netzroman gearbeitet. Sie haben mit Usern im Internet und Schülern einer neunten Klasse auf unterschiedlichste Weise für die Entstehung des Romans zusammengearbeitet. Inwieweit war das Projekt für Sie das kalte Wasser?
Lang: Kaltes Wasser war es zur Hälfte. Schon seit Ende der neunziger Jahre habe ich mich an Netzliteratur ausprobiert. Angefangen habe ich zu der Zeit, als man dachte, dass Hypertext die große Innovation der Literatur sei. Man kann nicht-lineare Texte produzieren, in denen man dann mit Links springen kann und Varianten hat. Das habe ich alles miterlebt und ansatzweise mitgemacht. In der Hauptsache habe ich aber immer auf, besser gesagt, für Papier geschrieben.
Kaltes Wasser war das Projekt insofern, weil ich nicht Teil von einem größeren Ganzen war, sondern gesagt habe: Ich mache ein ganzes Projekt, einen längeren Text und versuche ihn so aufzubereiten, dass man etwas aus dem Netz mitnehmen und auch etwas zurückgeben kann. Es geht ziemlich schnell im Netz. Die Leute kommen, interessieren sich für etwas, finden das toll, aber eine Woche später, manchmal schon zwei Stunden später, sind sie schon ganz woanders. Kann man also Leute finden, die Lust haben, auch über eine längere Strecke dabei zu bleiben? Nehmen es die Leute an, dass man kein horizontales Projekt macht? Denn das sollte es nicht sein. Aufgrund der Erfahrungen, die ich gemacht habe, wollte ich die Fäden in der Hand behalten. Ich wollte keine Schreibgruppe, in der jeder gleichberechtigt irgendetwas macht.
Dann habe ich mich vorgetastet. Was wollen die User überhaupt haben? In meinem Fall hat sich gezeigt, dass sie gar nicht so sehr selber mitschreiben wollten, obwohl ich das auch angeboten habe. Dabei kam fast nichts zurück. Stattdessen hatten sie große Lust den Stoff zu entwickeln, die Figuren. Ich habe mit ihnen zusammen ganz von vorne angefangen. Es gab den Stoff, eine wahre Begebenheit, das, was in den Nullerjahren in Bayern passiert ist. Hierüber haben wir uns ausgetauscht. Was ist dort los gewesen? Was löst es bei euch aus? Was löst es bei mir aus? Ich stellte ihnen ein paar Figuren vor und fragte, wie sie die finden.
Das war für mich das kalte Wasser, das Ausprobieren mit der Community und dass ich diese Arbeit nicht alleine im Kämmerchen gemacht habe.
Wo hatten Ihre Mitschaffenden den größten Einfluss auf das fertige Buch, auf Sie?
Im Vorfeld gab es Auseinandersetzungen über die Figuren. Hier hatten wir heiße Diskussionen über Psychologie und auch über Äußerlichkeiten. Wie wäre ein sechzehnjähriges Mädchen – retropunk, mit rosa Haaren und schwarzen Klamotten? Von den Vorschlägen habe ich viel profitiert und auch angenommen.
Ich habe zudem mit Schulklassen gearbeitet. Das war wahnsinnig wichtig, weil ich versucht habe Jugendliche zu zeichnen und selber schon über fünfzig bin – ein bisschen weiter weg von diesem Alter und dieser Generation. Unter den Schülern gab es häufig Diskussionen, ob etwas an einer Figur ein Klischee ist oder nicht. Daraus entstand bei mir die Idee, eine Figur zu erfinden, die jedem Trend nachläuft und immer alles macht, was die anderen machen. Was ist heute ein Klischee, was ist kein Klischee?“ Daraus ist eine ganz eigene Figur entstanden.
… Corinna.
Ja genau, das wurde Corinna – das Klischee. Da gab es großen Einfluss auf mich. Ansonsten war es eher ein Anregen. Es ist schwer zu sagen, dass etwas Bestimmtes von der Community oder von mir kam. Dieser Prozess, als solcher, ist ein Kommunikationsprozess mit unterschiedlichen Einflüssen. Man regt sich gegenseitig an.
Sie verwenden oft jugendlichen Slang. „Brilli“ für Brillianten auf den Zähnen, „Tausi“ für tausend Euro, „catchen“ für fangen, „tío“ für toller Hecht oder „Phone“ für das Handy. Haben Sie sich diese Sprache bei der Arbeit mit den Schülern angeeignet?
Ich fand mich eigentlich sehr zurückhaltend und bin etwas erstaunt darüber, dass das auffällt. Bei dem „Phone“, gut, da mache ich ein Zugeständnis. Smartphone oder Handy zu sagen, klingt im Zusammenhang mit den Jugendlichen komisch. Aber ich habe den Jugendlichen in der Endfassung des Buches die Jugendsprache weitgehend genommen und sie eher in literarisch stilisierter Sprache reden lassen. Gut, einer ist dabei, der nuschelt. Aber der Junis beispielsweise, eine Figur, redet fast nur in ganzen Sätzen. Es ist ganz selten, dass er etwas verkürzt.
Jugendsprache ist nicht abzubilden. Sie funktioniert darüber, dass sie andere ausschließt. Ich habe demnach versucht die Balance zu finden und habe nicht so getan, als ob ich Jugendsprache drauf hätte. Klar, ich habe Kinder in dem Alter und höre, wie die reden. Ich könnte dennoch nicht ganz den Ton treffen. Das will ich auch gar nicht. Stattdessen will ich zusehen, dass der Text nicht steif wird. Deshalb gibt es Stellen, die Jugendsprache anklingen lassen. Ich habe konzediert, dass es eine Welt gibt, die es vor zwanzig oder dreißig Jahren so nicht gab. Das „Phone“ ist wohl das Auffälligste an dem Ganzen. Es deutet in meinem Buch auf diese neue Welt.
Gibt es etwas, das Ihnen an der Arbeit besonders Spaß gemacht hat?
Im Netzroman haben mir die Auseinandersetzungen, die Diskussionen, die es teilweise gab, sehr viel Spaß gemacht. Ich kam ins Rätseln über manche User, die länger dabei blieben. Ich habe mich gefragt, wer die sind. Einer gab unglaublich professionelle Kommentare über das Schreiben ab. War das reine Angeberei oder steckte da mehr dahinter? Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und natürlich, dass das Projekt etwas geworden ist, dass es jetzt ein Buch ist. Wenn man ein großes Prosaprojekt macht und nicht von vornherein weiß, ob es gelingt, ist es immer wieder großartig, wenn man merkt, dass es gelingen wird. Aber das ist nicht spezifisch für diesen Roman (lacht). Das ist bei jedem Buch so. Und doch ist es das Beste.
Eine wahre Begebenheit als Materie
Kommen wir zu ernsteren Themen, zur Materie des Romans: Der Stoff für den Roman entstammt einer wahren Begebenheit, der Schändung einer Leiche durch Jugendliche nahe Traunreut, Bayern. In einem früheren Interview haben Sie gesagt, dass Sie sich damals, 2006, gefragt haben, wie es sein muss, wenn man, Zitat: „so einen irrsinnigen Mist gebaut hat und von der Gesellschaft für einen schlechten Menschen gehalten wird.“ Inwieweit sind Sie der Antwort ein Stück näher gekommen?
Ich habe eine These gebildet. Dabei habe ich nicht in dem Sinne recherchiert, dass ich versucht hätte herauszufinden, wer das war. Mit Beteiligten zu reden wäre eine Möglichkeit gewesen, mit dem Stoff umzugehen – eine psychologische Erklärung zu finden, eine weitere. Dass die Situation in einer Gruppe eskalieren kann, ist keine überraschende Erklärung. Ich habe eher nachzuforschen versucht, was die Vorkommnisse mit meinem Kopf und mit den Köpfen der Anderen machen. Das sind die Mittel, mit denen ich gearbeitet habe.
Zu Beginn gab es jemanden, der sich das Leben genommen hat und den die Jugendlichen gefunden haben. Ich habe mich mit diesem Mann beschäftigt und kam darauf, dass er Opfer eines sozialen Todes wurde. Diese Person war, obwohl sie noch lebte, obwohl ihr Herz noch schlug, für die Gesellschaft nicht mehr existent. Hierfür gibt es krasse Beispiele. Denn das gibt es bei uns, dass man über Leute… Ich spreche von einer Obdachlosen in Berlin, die mit erfrorenen Füßen auf dem Gehweg lag. Stundenlang sind die Leute über Sie hinweggestiegen. Keinen hat das gekümmert. Das ist ein Beispiel für den sozialen Tod. Ich habe mich mit diesem Phänomen beschäftigt und mir gedacht, dass die Jugendlichen etwas weiter getrieben haben, das in der Gesellschaft bereits existiert, das aber nicht in dieser Art und Weise ausagiert wird. Jugendliche haben teilweise etwas Aufdeckendes in ihren Handlungen. Die machen etwas, das irgendwie da ist, worüber aber niemand spricht. Das war eine Erkenntnis, die ich hatte oder eine These, die ich jetzt dazu habe.
Was damals passiert ist, hat mit unserer Gesellschaft zu tun und mit der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Ich stelle mir vor, ohne diese Jugendlichen zu kennen – ich bin dann nur bei meinen literarischen Figuren – dass sie alle bis zu einem gewissen Grad sich selbst überlassen sind. Die Eltern sind viel mit sich selbst beschäftigt. Sie arbeiten viel, sind alleinerziehend und in ihren eigenen Kontexten gefangen. Es gibt kaum Raum, in dem sich die Jugendlichen mit weniger krassen Sachen beschäftigen, sich ausdrücken können. So kann es zu solchen Handlungen kommen.
Hatten Sie Kontakt mit den Beteiligten?
Nein, das wollte ich nicht. Ich hatte zunächst darüber nachgedacht, ob es überhaupt gut ist, das Thema nochmal aufzurühren. Es stecken Menschen dahinter, Schicksale, Lebensläufe. Aber ich habe auch gedacht, dass die Geschichte schon in der Welt ist. Ich arbeite ohnehin nur mit dem, was öffentlich ist: Pressemeldungen, das, was damals in der Süddeutschen oder im Stern stand, oder dem, was im Fernsehen, im BR oder im Report mitgeteilt wurde. Ich habe damals recherchiert, was in Foren diskutiert wurde. Das ist mein Material gewesen. Von hier aus fand ich es spannender, nicht semi-dokumentarisch, sondern vollkommen fiktional zu arbeiten. Deswegen schreibe ich Romane und bin kein Journalist. Ich glaube über dieses Verfahren, indem man sich versenkt und dabei nicht nur meditiert – es ist ja schon auch Ratio mit dabei, Nachdenken und Lesen von Texten, die sich mit solchen Themen beschäftigen – dass man darüber zu einer Wahrheit kommt.
Auch das macht Literatur aus. Sie vermag es, über einen anderen Weg Wahrheit zu erzeugen. Sie recherchiert nicht nur, sondern findet, indem sie nachspürt. Das war das Verfahren, mit dem ich gearbeitet habe und das ich auf wunderbare Weise in der Kommunikation mit anderen Leuten erweitert fand.
Warum haben Sie sich für das Mädchen „Elle“ als Protagonistin entschieden, obwohl ein Großteil der Beteiligten damals männlich war?
Das ist die Frage, die ich nicht beantworten kann (lacht). „Elle“ ist eine Figur, die von Anfang an da war. Ich wollte damals schon etwas aus diesem Stoff machen. Ich habe zunächst ganz wenig daran gearbeitet, aber diese Figur war damals schon zugegen. Sie war Teil dessen, was auf mich zukam, innerlich. Mir war von Anfang an klar, dass es ein Mädchen gibt, dass sie die Hauptfigur ist und dass sie „Elle“ heißt. Mehr weiß ich dazu nicht.
Der Roman Freinacht
Kommen wir zum fertigen Roman, der nun Freinacht heißt. Im laufenden Projekt war der Buchtitel noch Der gefundene Tod. Warum haben Sie den fertigen Roman schließlich Freinacht genannt?
Mein allererster Name für das Projekt war „Elle“, wie der Name der Protagonistin. Der war sehr unspezifisch. Man denkt da vielleicht, wenn es sie überhaupt noch gibt, an die gleichnamige Zeitschrift. Darüber habe ich viel nachgedacht und mit anderen diskutiert. Der gefundene Tod war dann der treffendste Titel. Den Tod finden hieß früher, dass man stirbt, dass man loszieht, auszieht, eine Heldentat vollbringt oder ein Abenteuer erleben will und dabei den Tod findet. Der gefundene Tod ist aber auch der gefundene Tote im Buch. Der Titel spielt auf den Inhalt an und steht gleichzeitig für das Thema des Netzromans. Es ist ein sehr programmatischer Titel, aber eben auch einer, der etwas sprachspielerisch ist, der ein literarisches Element enthält – ein guter Titel für das Schreibprojekt im Netz.
Die Überlegung, den Titel nochmal zu verändern, hat damit zu tun, dass sich das Projekt für mich noch einmal verändert hat. Ich habe nach Abschluss der Netzphase mit dem Schreiben nochmal von vorne angefangen und alles umgearbeitet, überarbeitet, anders eingearbeitet, sodass ich einen eigenen Titel für den Roman wollte. Es sollte den Netzroman Der gefundene Tod und das Buch Freinacht geben.
Persönlich gefällt mir der Titel, weil er Elemente meines Buches trägt. Das Überschreiten, das Befreiende steckt darin. Es liegt in den Handlungen der Jugendlichen, wenn man diese nicht bloß moralisch betrachtet. Außerdem steckt das Dunkel in dem Titel. Der Text enthält auch dieses Element. Er enthält es nicht nur, aber auch. Deshalb finde ich den Titel sehr passend.
Das passt ganz gut zur nächsten Frage. Tod und Gewalt sind in Ihrem Roman tragende Motive. Es wird ein Salamander gequält, ein Hase verendet, Elles Opa stirbt, ein Mann begeht Selbstmord – es herrscht ein tödlich kalter Winter. Welche Perspektive auf Tod und Gewalt hat Ihr Roman?
Das klingt ziemlich massiv. Natürlich ist der Tod Thema meines Textes. Man kommt nicht darum herum, wenn man sich mit dem Buch auseinandersetzt. Es gibt den Mann, der sich erfrieren ließ. Es gibt das, was die Jugendlichen getan haben, die Leichenschändung, die Manipulation an einem toten Körper. Dazwischen gibt es den kleine Vale, der ein zwiespältiges Verhältnis zu Tieren hat: Er versucht sie zu heilen, aber sie sterben dennoch. Vielleicht ist gerade er ein Beispiel für den Versuch meinerseits, bei meinen Figuren etwas zu finden, das vor der Tat schon da war. Letztendlich denken wir natürlich nicht ständig über den Tod nach. Zum Glück müssen wir das auch nicht. Dennoch ist der Tod immer da. Das Leben ist ohne den Tod nicht denkbar. Dieses Element schwingt in meinem Buch mit und tritt im Text stärker nach vorne.
Die Gewalt hingegen finde ich nicht überbordend. Die Kinder haben keine übermäßige Neigung dazu. Ein Junge tritt schon so auf, der „Hell“. Er hat den Ruf, dass er gerne mal hinlangt. Er ist aber kein schwerer Schläger. Er haut nicht alle gleich zusammen und kann gar nichts anderes. Die Gewalt existiert demnach auch, aber im Grunde sind die Kinder brav. Sie sind keine „Absturzkinder“, wie man es nennt. Sie sind rebellisch und wollen mal blau machen und nehmen schlechte Noten in Kauf. Ich halte aber alle Figuren meines Buches für weitgehend normal. Das sollen sie auch unbedingt sein.
Man sympathisiert den Roman über mit der Protagonistin „Elle“ und dann begeht sie eine schlimme Tat. Versteht der Leser wie das geschehen konnte oder bleibt das Warum offen?
Das Warum wird in meinem Buch nicht in einem psychologischen oder logischen Sinne auserklärt. Ich habe in dem Roman eine Auseinandersetzung mit dem geführt, was es in der Gesellschaft gibt und versucht einen Zugang hierzu zu finden. Ich glaube aber nicht, dass man die Vorkommnisse in irgendeiner Art und Weise auserklären kann oder dass das überhaupt interessant ist.
Ich sehe das so: Die Jugendlichen, meine Figuren, sind mit einem Thema, mit Tod, mit Gewalt konfrontiert. Das geschieht sehr jäh. Sie sind auf dem Bahngelände und feiern Elles sechzehnten und finden diesen Toten. Wenn sie ihn nicht gefunden hätten, dann wäre auch nichts passiert. Nun kann man da unheimlich viel individualpsychologisch deuten, aber das finde ich nicht spannend. Was es mit den Jugendlichen im Nachhinein gemacht hat, das finde ich interessant. Darauf liegt ein sehr starker Akzent im Roman. Wie fühlen die sich nachher? Wie reagieren sie? Wie hilflos reagiert die Umwelt darauf? Wie ignorant reagieren diejenigen darauf, die nicht damit umgehen wollen? Das war für mich wichtiger als das: Woher kommt es? Letztendlich würde etwas Vergleichbares nicht jedem von uns passieren, aber ich glaube, es könnte in der einen oder anderen Form vielen passieren. Man kann mit sowas in Berührung kommen. Auch deshalb gibt es dieses Buch.
Zuletzt: Gibt es ein Detail über das Sie sich freuen würden, wenn es jemandem beim Lesen von Freinacht aufgefallen wäre?
Da muss ich nachdenken … Alle! Alle Details sollen allen auffallen! Ich habe viele kleine Freuden, die ich subtil im Text eingearbeitet habe. Dadurch wird auch das Lektorat zu einer spannenden Arbeit – festzustellen, wo es Irritationen gibt, wenn man das erste professionelle Feedback kriegt. Oft stelle ich mir vor, dass ein Textabschnitt einen bestimmten Effekt hat, aber manchmal habe ich ihn gar nicht erzeugt. Den gibt es vielleicht nur für mich. Ein einzelnes Detail fällt mir da gerade leider nicht ein. Denken Sie an etwas?
Ich denke an den Jungen „Vale“. Er kümmert sich rührend um seine Tiere und kriegt sie dennoch nicht gerettet. Er ist ein wenig jünger, kommt von woanders her und hat ein sehr warmes Herz. Diese Figur schlittert geradezu in das Ereignis hinein und steht von dort an in der Schwebe. Er hat eine abseitige Rolle und große Probleme damit, sich in die Gruppe und später in sein eigenes Leben einzufinden…
Ihn trifft es am schlimmsten. Er ist noch unter vierzehn. Das ist zwar strafrechtlich ein Vorteil, psychisch aber nicht. Er ist emotional nicht ausgereift. Vielleicht fehlt ihm ein guter Umgang mit der Sühne.
Man könnte demnach sagen, dass die Konsequenzen für die Tat viel weitreichender sind, als es die Rechtsprechung vermuten lässt.
Ja, genau.
Gutes Schlusswort von mir.
(Lacht) Ja! Danke!
Thomas Lang über seinen neuen Roman „Freinacht“>
Das Literaturportal Bayern ist mit Thomas Lang im Englischen Garten gewesen und hat sich mit ihm über seinen neuen Roman Freinacht unterhalten, der am 5. August im Berlin Verlag erschienen ist. Erfahren Sie mehr über das interaktive Schreibprojekt, das seinen Weg zum Roman gefunden hat.
*
Der Netzroman Der gefundene Tod
Literaturportal Bayern: Herr Lang, fünfzehn Monate lang haben Sie an dem Netzroman gearbeitet. Sie haben mit Usern im Internet und Schülern einer neunten Klasse auf unterschiedlichste Weise für die Entstehung des Romans zusammengearbeitet. Inwieweit war das Projekt für Sie das kalte Wasser?
Lang: Kaltes Wasser war es zur Hälfte. Schon seit Ende der neunziger Jahre habe ich mich an Netzliteratur ausprobiert. Angefangen habe ich zu der Zeit, als man dachte, dass Hypertext die große Innovation der Literatur sei. Man kann nicht-lineare Texte produzieren, in denen man dann mit Links springen kann und Varianten hat. Das habe ich alles miterlebt und ansatzweise mitgemacht. In der Hauptsache habe ich aber immer auf, besser gesagt, für Papier geschrieben.
Kaltes Wasser war das Projekt insofern, weil ich nicht Teil von einem größeren Ganzen war, sondern gesagt habe: Ich mache ein ganzes Projekt, einen längeren Text und versuche ihn so aufzubereiten, dass man etwas aus dem Netz mitnehmen und auch etwas zurückgeben kann. Es geht ziemlich schnell im Netz. Die Leute kommen, interessieren sich für etwas, finden das toll, aber eine Woche später, manchmal schon zwei Stunden später, sind sie schon ganz woanders. Kann man also Leute finden, die Lust haben, auch über eine längere Strecke dabei zu bleiben? Nehmen es die Leute an, dass man kein horizontales Projekt macht? Denn das sollte es nicht sein. Aufgrund der Erfahrungen, die ich gemacht habe, wollte ich die Fäden in der Hand behalten. Ich wollte keine Schreibgruppe, in der jeder gleichberechtigt irgendetwas macht.
Dann habe ich mich vorgetastet. Was wollen die User überhaupt haben? In meinem Fall hat sich gezeigt, dass sie gar nicht so sehr selber mitschreiben wollten, obwohl ich das auch angeboten habe. Dabei kam fast nichts zurück. Stattdessen hatten sie große Lust den Stoff zu entwickeln, die Figuren. Ich habe mit ihnen zusammen ganz von vorne angefangen. Es gab den Stoff, eine wahre Begebenheit, das, was in den Nullerjahren in Bayern passiert ist. Hierüber haben wir uns ausgetauscht. Was ist dort los gewesen? Was löst es bei euch aus? Was löst es bei mir aus? Ich stellte ihnen ein paar Figuren vor und fragte, wie sie die finden.
Das war für mich das kalte Wasser, das Ausprobieren mit der Community und dass ich diese Arbeit nicht alleine im Kämmerchen gemacht habe.
Wo hatten Ihre Mitschaffenden den größten Einfluss auf das fertige Buch, auf Sie?
Im Vorfeld gab es Auseinandersetzungen über die Figuren. Hier hatten wir heiße Diskussionen über Psychologie und auch über Äußerlichkeiten. Wie wäre ein sechzehnjähriges Mädchen – retropunk, mit rosa Haaren und schwarzen Klamotten? Von den Vorschlägen habe ich viel profitiert und auch angenommen.
Ich habe zudem mit Schulklassen gearbeitet. Das war wahnsinnig wichtig, weil ich versucht habe Jugendliche zu zeichnen und selber schon über fünfzig bin – ein bisschen weiter weg von diesem Alter und dieser Generation. Unter den Schülern gab es häufig Diskussionen, ob etwas an einer Figur ein Klischee ist oder nicht. Daraus entstand bei mir die Idee, eine Figur zu erfinden, die jedem Trend nachläuft und immer alles macht, was die anderen machen. Was ist heute ein Klischee, was ist kein Klischee?“ Daraus ist eine ganz eigene Figur entstanden.
… Corinna.
Ja genau, das wurde Corinna – das Klischee. Da gab es großen Einfluss auf mich. Ansonsten war es eher ein Anregen. Es ist schwer zu sagen, dass etwas Bestimmtes von der Community oder von mir kam. Dieser Prozess, als solcher, ist ein Kommunikationsprozess mit unterschiedlichen Einflüssen. Man regt sich gegenseitig an.
Sie verwenden oft jugendlichen Slang. „Brilli“ für Brillianten auf den Zähnen, „Tausi“ für tausend Euro, „catchen“ für fangen, „tío“ für toller Hecht oder „Phone“ für das Handy. Haben Sie sich diese Sprache bei der Arbeit mit den Schülern angeeignet?
Ich fand mich eigentlich sehr zurückhaltend und bin etwas erstaunt darüber, dass das auffällt. Bei dem „Phone“, gut, da mache ich ein Zugeständnis. Smartphone oder Handy zu sagen, klingt im Zusammenhang mit den Jugendlichen komisch. Aber ich habe den Jugendlichen in der Endfassung des Buches die Jugendsprache weitgehend genommen und sie eher in literarisch stilisierter Sprache reden lassen. Gut, einer ist dabei, der nuschelt. Aber der Junis beispielsweise, eine Figur, redet fast nur in ganzen Sätzen. Es ist ganz selten, dass er etwas verkürzt.
Jugendsprache ist nicht abzubilden. Sie funktioniert darüber, dass sie andere ausschließt. Ich habe demnach versucht die Balance zu finden und habe nicht so getan, als ob ich Jugendsprache drauf hätte. Klar, ich habe Kinder in dem Alter und höre, wie die reden. Ich könnte dennoch nicht ganz den Ton treffen. Das will ich auch gar nicht. Stattdessen will ich zusehen, dass der Text nicht steif wird. Deshalb gibt es Stellen, die Jugendsprache anklingen lassen. Ich habe konzediert, dass es eine Welt gibt, die es vor zwanzig oder dreißig Jahren so nicht gab. Das „Phone“ ist wohl das Auffälligste an dem Ganzen. Es deutet in meinem Buch auf diese neue Welt.
Gibt es etwas, das Ihnen an der Arbeit besonders Spaß gemacht hat?
Im Netzroman haben mir die Auseinandersetzungen, die Diskussionen, die es teilweise gab, sehr viel Spaß gemacht. Ich kam ins Rätseln über manche User, die länger dabei blieben. Ich habe mich gefragt, wer die sind. Einer gab unglaublich professionelle Kommentare über das Schreiben ab. War das reine Angeberei oder steckte da mehr dahinter? Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und natürlich, dass das Projekt etwas geworden ist, dass es jetzt ein Buch ist. Wenn man ein großes Prosaprojekt macht und nicht von vornherein weiß, ob es gelingt, ist es immer wieder großartig, wenn man merkt, dass es gelingen wird. Aber das ist nicht spezifisch für diesen Roman (lacht). Das ist bei jedem Buch so. Und doch ist es das Beste.
Eine wahre Begebenheit als Materie
Kommen wir zu ernsteren Themen, zur Materie des Romans: Der Stoff für den Roman entstammt einer wahren Begebenheit, der Schändung einer Leiche durch Jugendliche nahe Traunreut, Bayern. In einem früheren Interview haben Sie gesagt, dass Sie sich damals, 2006, gefragt haben, wie es sein muss, wenn man, Zitat: „so einen irrsinnigen Mist gebaut hat und von der Gesellschaft für einen schlechten Menschen gehalten wird.“ Inwieweit sind Sie der Antwort ein Stück näher gekommen?
Ich habe eine These gebildet. Dabei habe ich nicht in dem Sinne recherchiert, dass ich versucht hätte herauszufinden, wer das war. Mit Beteiligten zu reden wäre eine Möglichkeit gewesen, mit dem Stoff umzugehen – eine psychologische Erklärung zu finden, eine weitere. Dass die Situation in einer Gruppe eskalieren kann, ist keine überraschende Erklärung. Ich habe eher nachzuforschen versucht, was die Vorkommnisse mit meinem Kopf und mit den Köpfen der Anderen machen. Das sind die Mittel, mit denen ich gearbeitet habe.
Zu Beginn gab es jemanden, der sich das Leben genommen hat und den die Jugendlichen gefunden haben. Ich habe mich mit diesem Mann beschäftigt und kam darauf, dass er Opfer eines sozialen Todes wurde. Diese Person war, obwohl sie noch lebte, obwohl ihr Herz noch schlug, für die Gesellschaft nicht mehr existent. Hierfür gibt es krasse Beispiele. Denn das gibt es bei uns, dass man über Leute… Ich spreche von einer Obdachlosen in Berlin, die mit erfrorenen Füßen auf dem Gehweg lag. Stundenlang sind die Leute über Sie hinweggestiegen. Keinen hat das gekümmert. Das ist ein Beispiel für den sozialen Tod. Ich habe mich mit diesem Phänomen beschäftigt und mir gedacht, dass die Jugendlichen etwas weiter getrieben haben, das in der Gesellschaft bereits existiert, das aber nicht in dieser Art und Weise ausagiert wird. Jugendliche haben teilweise etwas Aufdeckendes in ihren Handlungen. Die machen etwas, das irgendwie da ist, worüber aber niemand spricht. Das war eine Erkenntnis, die ich hatte oder eine These, die ich jetzt dazu habe.
Was damals passiert ist, hat mit unserer Gesellschaft zu tun und mit der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Ich stelle mir vor, ohne diese Jugendlichen zu kennen – ich bin dann nur bei meinen literarischen Figuren – dass sie alle bis zu einem gewissen Grad sich selbst überlassen sind. Die Eltern sind viel mit sich selbst beschäftigt. Sie arbeiten viel, sind alleinerziehend und in ihren eigenen Kontexten gefangen. Es gibt kaum Raum, in dem sich die Jugendlichen mit weniger krassen Sachen beschäftigen, sich ausdrücken können. So kann es zu solchen Handlungen kommen.
Hatten Sie Kontakt mit den Beteiligten?
Nein, das wollte ich nicht. Ich hatte zunächst darüber nachgedacht, ob es überhaupt gut ist, das Thema nochmal aufzurühren. Es stecken Menschen dahinter, Schicksale, Lebensläufe. Aber ich habe auch gedacht, dass die Geschichte schon in der Welt ist. Ich arbeite ohnehin nur mit dem, was öffentlich ist: Pressemeldungen, das, was damals in der Süddeutschen oder im Stern stand, oder dem, was im Fernsehen, im BR oder im Report mitgeteilt wurde. Ich habe damals recherchiert, was in Foren diskutiert wurde. Das ist mein Material gewesen. Von hier aus fand ich es spannender, nicht semi-dokumentarisch, sondern vollkommen fiktional zu arbeiten. Deswegen schreibe ich Romane und bin kein Journalist. Ich glaube über dieses Verfahren, indem man sich versenkt und dabei nicht nur meditiert – es ist ja schon auch Ratio mit dabei, Nachdenken und Lesen von Texten, die sich mit solchen Themen beschäftigen – dass man darüber zu einer Wahrheit kommt.
Auch das macht Literatur aus. Sie vermag es, über einen anderen Weg Wahrheit zu erzeugen. Sie recherchiert nicht nur, sondern findet, indem sie nachspürt. Das war das Verfahren, mit dem ich gearbeitet habe und das ich auf wunderbare Weise in der Kommunikation mit anderen Leuten erweitert fand.
Warum haben Sie sich für das Mädchen „Elle“ als Protagonistin entschieden, obwohl ein Großteil der Beteiligten damals männlich war?
Das ist die Frage, die ich nicht beantworten kann (lacht). „Elle“ ist eine Figur, die von Anfang an da war. Ich wollte damals schon etwas aus diesem Stoff machen. Ich habe zunächst ganz wenig daran gearbeitet, aber diese Figur war damals schon zugegen. Sie war Teil dessen, was auf mich zukam, innerlich. Mir war von Anfang an klar, dass es ein Mädchen gibt, dass sie die Hauptfigur ist und dass sie „Elle“ heißt. Mehr weiß ich dazu nicht.
Der Roman Freinacht
Kommen wir zum fertigen Roman, der nun Freinacht heißt. Im laufenden Projekt war der Buchtitel noch Der gefundene Tod. Warum haben Sie den fertigen Roman schließlich Freinacht genannt?
Mein allererster Name für das Projekt war „Elle“, wie der Name der Protagonistin. Der war sehr unspezifisch. Man denkt da vielleicht, wenn es sie überhaupt noch gibt, an die gleichnamige Zeitschrift. Darüber habe ich viel nachgedacht und mit anderen diskutiert. Der gefundene Tod war dann der treffendste Titel. Den Tod finden hieß früher, dass man stirbt, dass man loszieht, auszieht, eine Heldentat vollbringt oder ein Abenteuer erleben will und dabei den Tod findet. Der gefundene Tod ist aber auch der gefundene Tote im Buch. Der Titel spielt auf den Inhalt an und steht gleichzeitig für das Thema des Netzromans. Es ist ein sehr programmatischer Titel, aber eben auch einer, der etwas sprachspielerisch ist, der ein literarisches Element enthält – ein guter Titel für das Schreibprojekt im Netz.
Die Überlegung, den Titel nochmal zu verändern, hat damit zu tun, dass sich das Projekt für mich noch einmal verändert hat. Ich habe nach Abschluss der Netzphase mit dem Schreiben nochmal von vorne angefangen und alles umgearbeitet, überarbeitet, anders eingearbeitet, sodass ich einen eigenen Titel für den Roman wollte. Es sollte den Netzroman Der gefundene Tod und das Buch Freinacht geben.
Persönlich gefällt mir der Titel, weil er Elemente meines Buches trägt. Das Überschreiten, das Befreiende steckt darin. Es liegt in den Handlungen der Jugendlichen, wenn man diese nicht bloß moralisch betrachtet. Außerdem steckt das Dunkel in dem Titel. Der Text enthält auch dieses Element. Er enthält es nicht nur, aber auch. Deshalb finde ich den Titel sehr passend.
Das passt ganz gut zur nächsten Frage. Tod und Gewalt sind in Ihrem Roman tragende Motive. Es wird ein Salamander gequält, ein Hase verendet, Elles Opa stirbt, ein Mann begeht Selbstmord – es herrscht ein tödlich kalter Winter. Welche Perspektive auf Tod und Gewalt hat Ihr Roman?
Das klingt ziemlich massiv. Natürlich ist der Tod Thema meines Textes. Man kommt nicht darum herum, wenn man sich mit dem Buch auseinandersetzt. Es gibt den Mann, der sich erfrieren ließ. Es gibt das, was die Jugendlichen getan haben, die Leichenschändung, die Manipulation an einem toten Körper. Dazwischen gibt es den kleine Vale, der ein zwiespältiges Verhältnis zu Tieren hat: Er versucht sie zu heilen, aber sie sterben dennoch. Vielleicht ist gerade er ein Beispiel für den Versuch meinerseits, bei meinen Figuren etwas zu finden, das vor der Tat schon da war. Letztendlich denken wir natürlich nicht ständig über den Tod nach. Zum Glück müssen wir das auch nicht. Dennoch ist der Tod immer da. Das Leben ist ohne den Tod nicht denkbar. Dieses Element schwingt in meinem Buch mit und tritt im Text stärker nach vorne.
Die Gewalt hingegen finde ich nicht überbordend. Die Kinder haben keine übermäßige Neigung dazu. Ein Junge tritt schon so auf, der „Hell“. Er hat den Ruf, dass er gerne mal hinlangt. Er ist aber kein schwerer Schläger. Er haut nicht alle gleich zusammen und kann gar nichts anderes. Die Gewalt existiert demnach auch, aber im Grunde sind die Kinder brav. Sie sind keine „Absturzkinder“, wie man es nennt. Sie sind rebellisch und wollen mal blau machen und nehmen schlechte Noten in Kauf. Ich halte aber alle Figuren meines Buches für weitgehend normal. Das sollen sie auch unbedingt sein.
Man sympathisiert den Roman über mit der Protagonistin „Elle“ und dann begeht sie eine schlimme Tat. Versteht der Leser wie das geschehen konnte oder bleibt das Warum offen?
Das Warum wird in meinem Buch nicht in einem psychologischen oder logischen Sinne auserklärt. Ich habe in dem Roman eine Auseinandersetzung mit dem geführt, was es in der Gesellschaft gibt und versucht einen Zugang hierzu zu finden. Ich glaube aber nicht, dass man die Vorkommnisse in irgendeiner Art und Weise auserklären kann oder dass das überhaupt interessant ist.
Ich sehe das so: Die Jugendlichen, meine Figuren, sind mit einem Thema, mit Tod, mit Gewalt konfrontiert. Das geschieht sehr jäh. Sie sind auf dem Bahngelände und feiern Elles sechzehnten und finden diesen Toten. Wenn sie ihn nicht gefunden hätten, dann wäre auch nichts passiert. Nun kann man da unheimlich viel individualpsychologisch deuten, aber das finde ich nicht spannend. Was es mit den Jugendlichen im Nachhinein gemacht hat, das finde ich interessant. Darauf liegt ein sehr starker Akzent im Roman. Wie fühlen die sich nachher? Wie reagieren sie? Wie hilflos reagiert die Umwelt darauf? Wie ignorant reagieren diejenigen darauf, die nicht damit umgehen wollen? Das war für mich wichtiger als das: Woher kommt es? Letztendlich würde etwas Vergleichbares nicht jedem von uns passieren, aber ich glaube, es könnte in der einen oder anderen Form vielen passieren. Man kann mit sowas in Berührung kommen. Auch deshalb gibt es dieses Buch.
Zuletzt: Gibt es ein Detail über das Sie sich freuen würden, wenn es jemandem beim Lesen von Freinacht aufgefallen wäre?
Da muss ich nachdenken … Alle! Alle Details sollen allen auffallen! Ich habe viele kleine Freuden, die ich subtil im Text eingearbeitet habe. Dadurch wird auch das Lektorat zu einer spannenden Arbeit – festzustellen, wo es Irritationen gibt, wenn man das erste professionelle Feedback kriegt. Oft stelle ich mir vor, dass ein Textabschnitt einen bestimmten Effekt hat, aber manchmal habe ich ihn gar nicht erzeugt. Den gibt es vielleicht nur für mich. Ein einzelnes Detail fällt mir da gerade leider nicht ein. Denken Sie an etwas?
Ich denke an den Jungen „Vale“. Er kümmert sich rührend um seine Tiere und kriegt sie dennoch nicht gerettet. Er ist ein wenig jünger, kommt von woanders her und hat ein sehr warmes Herz. Diese Figur schlittert geradezu in das Ereignis hinein und steht von dort an in der Schwebe. Er hat eine abseitige Rolle und große Probleme damit, sich in die Gruppe und später in sein eigenes Leben einzufinden…
Ihn trifft es am schlimmsten. Er ist noch unter vierzehn. Das ist zwar strafrechtlich ein Vorteil, psychisch aber nicht. Er ist emotional nicht ausgereift. Vielleicht fehlt ihm ein guter Umgang mit der Sühne.
Man könnte demnach sagen, dass die Konsequenzen für die Tat viel weitreichender sind, als es die Rechtsprechung vermuten lässt.
Ja, genau.
Gutes Schlusswort von mir.
(Lacht) Ja! Danke!