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17.08.2017, 07:48 Uhr
Gernot Eschrich
Ludwig Thoma-Reihe
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Gernot Eschrich

Thoma, Taschner, Haushofer: „Bayerische Schicksale auf der Bühne"

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(c) Allitera Verlag

In der aktuellen Ausgabe der  Literatur in Bayern, die ihren Schwerpunkt nach Ludwig Thoma nun Oskar Maria Graf widmet, schreibt Gernot Eschrich über Norbert Göttlers Bayerische Schicksale auf der Bühne. Der Artikel erschien in Ausgabe 128 (2017).

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Geschichtsforschung und -schreibung sind unverzichtbar. Eindrucks- und wirkungsvoller ist aber oft theatralisch aufbereitete Geschichte – siehe zum Beispiel Wallenstein.

Einer, der sein Handwerk auf beiden Gebieten beherrscht, ist Norbert Göttler, der, als Bezirksheimatpfleger gut beschäftigt, noch Zeit findet, literarisch und in allerhand (Ehren-)Ämtern tätig zu sein. Und dass seine neue Veröffentlichung nichts Provinzielles an sich haben würde, war schon aufgrund seines geistigen Hintergrundes und seiner ganzen Aktivitäten zu erwarten: in jungen Jahren u.a. Gründung einer amnesty-Gruppe, dann auch Ausbildung als Regisseur, Lehrbeauftragter an einer Hochschule etc.

Plausibel ist, dass unter den fünf Protagonisten des Dachauers Norbert Göttler Ludwig Thoma, Ignatius Taschner und Amalie Hohenester sind, welch letztere in Mariabrunn bei Dachau von 1863 bis 1878 als „Wunderheilerin“ gewirkt hat.

In dem Die Pfuscherin betitelten Stück, basierend auf Göttlers mehrfach aufgelegtem gleichnamigen Roman und einer Verfilmung im Bayerischen Fernsehen, steckt die bauernschlaue, bis zur Grobheit resolute, psychologisch gewiefte „Doktorbäuerin“ ihre Kundschaft, die bis in höchste Adelskreise reichte, spielend in die Tasche, gerichtliche Verfolgung gerissen abwehrend.

Im Unterschied zu dieser prallen Komödie mit gesellschaftlich entlarvendem Hintergrund dominiert bei den vier männlichen Figuren das Tragische, wie es beim Thoma-Stück schon der Untertitel treffsicher formuliert: Von der Selbstzerstörung des Bayerndichters. Wer von dem noch nicht viel weiß, erfährt eine Menge über Leben und Werk und bekommt ihn in seiner ganzen Knorrigkeit und Knurrigkeit lebendig vorgeführt, während der Thoma-Kenner seine Freude vor allem an den atmosphärisch dichten und sprachlich täuschend echt erfundenen Dialogen haben wird, wie etwa gleich am Anfang in dem 1920 angesiedelten fiktiven Gespräch zwischen dem verzweifelnden Thoma und dem begütigenden Hofmiller, oder wenn der Bär Gulbransson mit seinem norwegisch gefärbten Deutsch den Depressiven aufzumuntern versucht. Dabei bedeutet der puzzleartige Collagecharakter des Stücks mit eingestreuten Teilen aus den Werken des Dichters für den Thoma-Laien gelegentlich vielleicht eine gewisse Schwierigkeit, für den Informierten jedoch eine vergnügliche Herausforderung.

Welchen Effekt so ein Stück noch fast hundert Jahre nach Thomas Tod machen kann, zeigte sich im April 2017 in Dachau, wo es, mit positiver Besprechung im Fernsehen, vor zahlreichem Publikum gespielt wurde und erstmals zu einer differenziert-kritischen Auseinandersetzung mit dem quasi Lokalmatador führte.

Kann man sich hier innerlich noch halbwegs distanzieren – „War der bockige Thoma nicht selber schuld an seiner Misere?“ −, so ist das bei Albrecht Haushofer und Leonhard Roth nicht mehr möglich, beide Opfer des Widerstands gegen das Hitlerregime.

Die Geschichte des Verfassers der Moabiter Sonette wird von Göttler samt tragischem familiären Hintergrund bewegend vergegenwärtigt und mit weniger bekannten Details angereichert, wie etwa Carl Friedrich v. Weizsäckers Beziehung zu Haushofer mit der einprägsamen Charakterisierung des Freundes: Er habe „von keinem anderen Menschen so haarscharf richtige politische Voraussagen gehört wie von ihm. […] Ein Elefant: Gewichtig, klug, sehr klug, und wenn es sein musste, listig, von langem Gedächtnis für Gutes und Böses, treu in der Freundschaft, auch treu im Hass.“ Göttlers „Chronistin“ teilt mit, Albrecht Haushofer habe „das Satanische in Hitlers System früher erkannt als Weizsäcker. Es spricht aber für den Physiker, dass er diese schmerzliche Erkenntnis später unumwunden zugibt.“

Wenn all dies zumindest in Umrissen weithin bekannt sein dürfte, so wird das Hörbild über den KZ-Pater Leonhard Roth (1902­1960) für viele eine betroffen machende Entdeckung sein. Zu den Entdeckern dieses singulären Menschen gehörte übrigens in den 1980er-Jahren Nobert Göttler selbst, der gegen anfängliche Widerstände der Kirche in deren Archiven forschte und dann seine Erkenntnisse in einem Dokumentarfilm, einem Sachbuch und einem Hörspiel verwertete.

Auf Leser bzw. Hörer überträgt sich unmittelbar Göttlers empathische Anteilnahme am Schicksal des Dominikaterpaters, des nach Einschätzung der Nationalsozialisten ‚größten Kanzelredners Deutschlands‘, der sie mit Sätzen wie „Die Ungeistigkeit hat weithin den Geist ausgelöscht“ alarmierte, zumal er damit auf junge Menschen wirkte. 1937 wegen ungeklärter „sittlicher Verfehlungen“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, flieht er in die Schweiz und kehrt, von dort ausgewiesen, nach vier Jahren zurück, tritt seine Gefängnisstrafe an und kommt dann ins KZ Dachau, wo er unter unmenschlichen Strapazen seelsorgerlich wirkt und kranke Mithäftlinge pflegt. Nach der Befreiung durch die Amerikaner bleibt er aber im Lager, um sich um Displaced Persons zu kümmern sowie um ehemalige SS-Angehörige, seine früheren Peiniger, von denen er viele zum Glauben und zur Kirche bekehrt, während das Gewissen anderer „vom NS-Geist völlig verschüttet“ ist. Dabei reibt er sich gesundheitlich und nervlich auf, übrigens auch im Widerstand gegen braune Restbestände in der Bundesrepublik und im Kampf um eine Gedenkstätte im Dachauer Lager, bis er als Störenfried von der Kirche in Urlaub geschickt wird, aus dem er, in den Vorarlberger Bergen vermutlich durch Freitod gestorben, nicht mehr zurückkehrt. Soweit ein notwendigerweise lückenhafter Überblick.

War dieser Mann, der sich Savonarola zum Vorbild genommen hat, ein Heiliger oder ein Fanatiker mit psychopathischen Zügen? Dass es schwer, ja wohl unmöglich ist, hier eindeutige Aussagen zu treffen, dass dies aber auch fast unwichtig ist angesichts einer solchen Aufopferung für die leidenden Mitmenschen, bringt einem Göttlers dramatischer Text nahe, nicht zuletzt durch Einwürfe eines „Chors“ aus dem Off, der entscheidende Begriffe eindringlich wiederholt. Man spürt wieder einmal: Das geht uns an. Und was können Literatur und Theater Besseres erreichen?

Für solche Heimatpflege kann man dankbar sein.

Gernot Eschrich wurde 1938 geboren und wuchs in Landshut auf. Er studierte die Fächer Deutsch, Latein und Griechisch in München und Freiburg. Von 1964 bis 2001 war er Gymnasiallehrer in Tegernsee und Gilching.

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