150 Jahre Ludwig Thoma (4): Thoma spielt Tarock
Anlässlich seines 150. Geburtstages veröffentlichen wir eine kleine Blogreihe zu Ludwig Thoma. Diesmal präsentiert Harald Beck einen Strauß von Erinnerungen von Walter Ziersch (1874-1943).
*
Am Tegernsee ist schlechtes Wetter. Die Wolkenfetzen hängen um die Berge und der Regen rieselt eintönig hernieder. Schlecht gelaunt hocken die Sommerfrischler auf ihren Zimmern, die aufgeweichten Straßen sind wie ausgestorben.
An der Besitzung Ludwig Thomas oben in Tuften bei Rottach knarrt von Zeit zu Zeit die Gartenpforte, um verwitterte Gestalten, wohlverwahrt gegen die Nässe in derbem Loden, einzulassen. Der Tarock geht zusammen, es ist das richtige Wetter dazu.
Gespielt wird in dem großen, zu ebener Erde gelegenen Wohnzimmer des Hauses, der ganz in ungebeiztem Fichtenholz gehaltenen sogenannten Bauernstube, die aber mit dem Rechen voll sauber geputzter Büchsen und Flinten und den vielen Jagdtrophäen an den Wänden eher wie das Wohnzimmer eines Forstmannes aussieht. Ludwig Thoma und sein brüderliches Faktotum Peter, der tagsüber stets zu Hause ist, warten schon an dem wuchtigen Ecktisch im Herrgottswinkel auf die Tarocker. Mein Nachbar Emil Ganghofer, der Bruder des Dichters [Ludwig Ganghofer, Anm. der Red.] und ich sind die Ersten. Wir haben den nächsten Weg von Egern herauf. Kaum haben wir nach lustiger Begrüßung Platz genommen, mahnt Peter ungeduldig: „Fang’ma an, wenn die andern kemma, muaß i do wieder zuschaug’n.“ Er teilt, zunächst offen, rundum Karten aus: „Ganghofer, du hast d’erste Sau. Du gibst an.“
Die Pfeifen sind in Brand gesetzt, das Spiel beginnt. „Hast auch ordentlich Geld eingesteckt? Heut wirst ausgesackelt, Tünnes“, verkündet mir Ludwig Thoma, indem er mich, den Rheinländer, nach einer der Figuren des Kölner Hänneschen Theaters benamst. Er schiebt mit gekrümmtem Armen die Fäuste gegeneinander: „Hin mußt werden.“ Ich habe durchaus keine Angst vor dem Verlieren. Peter und Emil spielen mittelmäßig und sind so gut wie bares Geld. Besonders der letztere. So steht in meinem „Andreas Vöst“ als Widmung: „s/l Walter Ziersch zur Erinnerung an einen fürchterlichen Tarock gegen Emilio. Egern, den 16. Juni 1911, früh 3½ Uhr. Ludwig Thoma.“
Der Tarock geht gemächlich seinen Gang, bis Ganghofer und ich durch grobe Fehler Peters nacheinander einige Spiele gewinnen. Da fliegt der Hausherr auf: „Himmelherrgottsakrament, Peter, du spielst scho, daß an Hund jammert. Tu doch dei Assen außer, dees Assenschonen is scho des Allerschlechtst. I sag’s, wie’s is.“ Peter nusselt in seinem Bart: „So, und wenn i eahna d’Zehner freispüll, dann schimpfst du a.“ “Geh, hör auf, Peter. Nix is so schlimm, wie des Assenschonen, dees feige Gspiel! Wenn du dir dees nur amal abgewöhnen tätst.“ Peter stellt den scharf hervorspringenden Gesichtserker schräg in die Luft: „Ach wos, dees kenn i scho, wie i’s moch, is‘s net recht …“ Er ist widerborstig wie ein alter Dachkater und Bruder Ludwig ist grantig und schimpft … Kurz, die beiden hackeln sich, und keiner gibt nach. Da, grad im rechten Moment, öffnet sich die Türe, und Michl Dengg, der Direktor des Tegernseer Bauerntheaters, steckt den Kopf ins Zimmer: „Grüaß God, beinand. Leut, heute spiel’n ma an Talerblock.“ Er macht dazu ein Gesicht wie als „Dusterer“ m „G’wissenswurm“ und schiebt sich langsam näher. Ludwig Thoma ist gleich Feuer und Flamme: „Leut, dees is g’scheit. Dees tan ma, mir spiel’n jetz‘ recht an scharfen Tarock. Peter, du schaugst vielleicht a wen‘g zu, und du Emilio …“ Er stockt. Mit Dengg ist Pauli Kiem, der rassige, blonde Gitarrenvirtuose des Ensembles, erschienen, ein Tarockmatador, den Thoma den Professor nennt, und den er gerne dabei haben möchte. Emil hat schon verstanden und da er sein Geld wieder hat, tritt er willig aus.
Ludwig Thoma während seines Sommeraufenthaltes beim Six-Bauer in Finsterwald, 1902. V.l.n.r.: Frau Six, Bertha Thoma, Sixbauer, Viktoria Pröbstl, Frau von Xylander, Ludwig Thoma, Peter Thoma, zwei Kinder des Sixbauern, Rudolf Wilke (Archiv Monacensia)
Der scharfe Tarock hat sich konstituiert. Ludwig Thoma ist wie umgewandelt. Er ist lustig und sprüht von übermütiger Laune. Dabei ist er ganz bei der Sache und denkt über jede Karte, die er spielen will, reiflich und angestrengt nach, um schließlich mit einem energischen: „So wirds gemacht und net anders,“ zum Entschluß zu kommen und auszuspielen. Manchmal haut er triumphierend auf den Tisch, daß die Aschenbecher und Geldschalen tanzen, und gibt jeder Karte ein lautes Kraftwort mit: „Trumpf … ihr damischen Tröpf übereinander … Trumpf und nochmal Trumpf, ihr Schlawiner, ihr ganz abscheilichen. G’wunna … Tünnes, deine grüne Aß kannst dir an den Hut stecken, die hast verschunden!“ Er schmunzelt: “Oes seits g’schlengt! So spielt man in Vendig und den umliegenden Bierdörfern.“ Manchmal aber legt er mit listigem Lächeln zart und behutsam eine Karte nach der andern hin: „Michl, du Bazi, i moan all weil i hör die geh’n. Aber mi stimmst.“ Oder er pfiff durch die Finger: „Zweiun’sechzig, Pauli, hin wirst! Hab i di dawischt? Ja, was wär denn dös? Sogar der Herr Professor hat sich amal verspekuliert.“ Wenn Thoma ein Spiel verliert, schiebt er ein wenig verlegen die Karten beiseite: „Jetzt bin i eingangen. Oes Räubersbuam, ös ganz ausg’schamten. Aber wart, euch kim i.“ Wenn er geben und passen muß, blickt er interessiert in die Karten seiner Nachbarn. Er sieht auch den Skat an und sagt vielverheißend: „Der Skat brüllt“ oder ähnliches, ganz gleich, was darin liegt. Dem Spieler schiebt er die drei Karten einzeln zu, die besten zuletzt, um ihn zu necken. Und kein Spiel vergeht ohne Leichenreden. Jeder Fehler wird erbarmungslos ans Licht gezogen. Auch hier verficht der Hausherr temperamentvoll seine Ansichten, läßt aber auch die anderen zu Wort kommen. Dabei fallen derbe Worte, die nicht gerade für Damenohren bestimmt sind, und Aestheten mit zarten Organen würden bei diesen Diskussionen verlieren. Dazu wird gequalmt, daß man den Tabakrauch mit Messern schneiden kann. Wir merken nichts davon. Blockade folgt auf Blockade …
Endlich erklärt der Hausherr: „Leut, jetzt machen ma Pause. Jetzt wird erst Kaffee getrunken. Die Theres hat schon zweimal durch’s Türl g’linst.“ Er weist auf die Klappe zur Küche. Gehorsam helfen wir alle abräumen. Ein junges Landmädl deckt den Tisch mit blütenweißen, hausgewebten Linnen und bringt den Kaffee, der nirgendswo so gut ist wie im Hause Thoma. Es gibt dazu frisch abgekochten Rahm und selbstgemachte Butter von eigenen Kühen und ein köstliches Bauernbrot. Und nirgendswo habe ich die Poesie gemütlicher Kaffeestunden so stark empfunden, wie in Ludwig Thomas Bauernstube. Der Hausherr sitzt behäbig und schneidet Brot vor. Er sorgt dafür, daß jeder zu „sei’m Sach“ kommt, auch die beiden Hunde. Wastl, der Schnauzbart, und Lump, der Dackel, werden reichlich bedacht. Der Jäger kommt zum Rapport und erhält auch eine Tasse. Die Sonne scheint freundlich ins Zimmer und alles blitzt und blinkt vor Sauberkeit. Jedes Blättchen des Efeus, dessen Ranken von einem Fensterkasten her an den Wänden entlang gezogen sind, ist gewaschen und leuchtet in frischem Grün. Launig plätschert die Unterhaltung. Michl Dengg hat Peter vor, der allein brummig ist: Was hat der Anonymus neulich g’schrieb‘. Beim Dr. Thoma sitzt so so an älterner Mensch, der wo die Leut anraunzt und sie ’nausteufelt.“ Peter grunzt ablehnend, aber Michl frozzelt weiter mit seinem harmlos liebenswürdigen Humor. Der gute Michl Dengg, ein Prachtkerl und ein Anzengruber-Spieler von Klasse. Er hat als erster die Reise in das dunkle Land angetreten. Kurz vor dem Krieg, ein Vorbote für viele.
Auch während des Krieges haben wir bei Ludwig Thoma viel Tarock gespielt. Ich war oft tagelang droben. Aber nun spielte Thoma mehr, um die schwere Zeit zu vergessen, nicht wie sonst, um sich zu messen in lustigem Kampfspiel. Mann gegen Mann, wie er es auch mit dem Stutzen auf der Schießstatt liebte, oder im Winter beim Eisschießen auf dem See.
Josef Wagner-Höhenberg (1870-1939): Die Skatpartie. Öl auf Leinwand
Wenn Thoma zur Redaktionssitzung des „Simplicissimus“ nach München kam, war er oft zum Skat im „Café Hoftheater“, wo die Herren vom Bau verkehrten. Besonders mit Dreher spielte er gern und freute sich königlich über die Sprüche des guten Konrads: „I woaß net, was dees is, aber alleweil bin i da Petschierte. Schon von meinen frühesten Jugendtagen an verlier i im Kartenspiel. Dees kast mir glaab’n mei Liaba, an ganz‘n Häusastock könnt i mir kaufa, wenn i dees Geld all’s no hätt‘. Wie andere Leut‘ sich a Jagd halt’n, halt i mir an Skat oder an Poker. Nachg’reist san’s mir bei meine Gastspiela, um mit mir z‘ karteln. Ganze G’sellschaftsreisen mit ‘m Schenker sein Reisebureau habens unternommen zu mir. Dös kost mir glaab’n, mei Liaba, dös behaupt i dir pfeilgräd ins G’sicht.“
Später haben wir viel mit Georg Queri gespielt, Skat und Tarock. Da ging’s auch „zünftig“ zu. Hier ein Brief von Thoma aus dieser Zeit: „Lieber Tünnes, am Donnerstag kommt der bekannte Schriftsteller Ludwig Thoma nach München. Die Mitglieder des Schriftstellersuppenvereines (so nannte er mich, weil ich die Unterstützungskasse des S.D.S. [Schutzverband Deutscher Schriftsteller, Anm. der Red.] mitverwaltete) haben präsent zu sein. Programm: Mittags: Pfälzer Weinstube. Auch kann in einem vornehmen Schieberkaffee Mokka angeboten werden. Freitag. Erhöhte Festlichkeit. Vielleicht läßt sich der hohe Gast zum Kartenspielen herab. Der ordinäre Süddeutsche Georg Queri kann ebenfalls eingeladen werden. Selber wohnt in Starnberg. Anzug: Gesellschaftsanzug. Alles weitere am Festplatz. Aenderungen im Programm ausgeschlossen. Laut Unterschrift: Der Obige.“
Queri war ein wilder Spieler, besonders, wenn er einige Quartl Wein intus hatte. Dann ging es ihm nicht leicht hoch genug. Und da stellte Thoma seinen Mann, er müßte ja kein Oberbayer gewesen sein und ich kein Rheinländer.
Den letzten Skat mit Thoma und Queri spielte ich in der Bauernstube in Tuften. Damals war Ludwig Ganghofer dabei. Dieser hatte einen Skat konstruiert, von dem er behauptete, er gäbe auch dem Spieler mit schlechten Karten Chancen. Mit „Jungfrau“ und „Jüngling“ und viel Ramschrunden. Das war nichts für den guten Queri, der nicht mauern konnte und immer aufs Ganze ging. Er stand am Schluß über 2000 minus. Wir spielten um zwei Pfennig der Punkt, also ein anständiger Verlust. Queri quälte: „Noch drei Runden doppelt.“ Dann ging es vierfach, dann achtfach. Am Schluß war Queri der höchste Gewinner und Ganghofer der einzige Verlierer. Queri freute sich wie ein Schneekönig und schenkte mir – eine Biermarke. „Die kannst du als Fünfzigpfenn‘gstück ausgeben“, sagte er. Ich habe die Biermarke verwahrt, als Erinnerung. Denn ein halbes Jahr später war Queri tot. Ein Jahr später Ludwig Ganghofer und wieder ein Jahr später auch Ludwig Thoma. Sein Bruder Peter folgte ihm bald, Emil Ganghofer war schon vorausgegangen.
Seit fünfeinhalb Jahren ruht Ludwig Thoma nun schon auf dem kleinen Friedhof in Egern. Am 21. Jänner 1927 hätte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Ob wir dann wohl einen Festtarock spielen würden? Kaum! Die Zeit ist eine andere, ist ernster geworden. Wer denkt noch an Talerblocks und Skatrunden achtfach? Und die meisten anderen Mitspieler von damals, aus der lustigen Zeit, haben ja auch still die Karten aus der Hand gelegt …
Transkription von Harald Beck
150 Jahre Ludwig Thoma (4): Thoma spielt Tarock>
Anlässlich seines 150. Geburtstages veröffentlichen wir eine kleine Blogreihe zu Ludwig Thoma. Diesmal präsentiert Harald Beck einen Strauß von Erinnerungen von Walter Ziersch (1874-1943).
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Am Tegernsee ist schlechtes Wetter. Die Wolkenfetzen hängen um die Berge und der Regen rieselt eintönig hernieder. Schlecht gelaunt hocken die Sommerfrischler auf ihren Zimmern, die aufgeweichten Straßen sind wie ausgestorben.
An der Besitzung Ludwig Thomas oben in Tuften bei Rottach knarrt von Zeit zu Zeit die Gartenpforte, um verwitterte Gestalten, wohlverwahrt gegen die Nässe in derbem Loden, einzulassen. Der Tarock geht zusammen, es ist das richtige Wetter dazu.
Gespielt wird in dem großen, zu ebener Erde gelegenen Wohnzimmer des Hauses, der ganz in ungebeiztem Fichtenholz gehaltenen sogenannten Bauernstube, die aber mit dem Rechen voll sauber geputzter Büchsen und Flinten und den vielen Jagdtrophäen an den Wänden eher wie das Wohnzimmer eines Forstmannes aussieht. Ludwig Thoma und sein brüderliches Faktotum Peter, der tagsüber stets zu Hause ist, warten schon an dem wuchtigen Ecktisch im Herrgottswinkel auf die Tarocker. Mein Nachbar Emil Ganghofer, der Bruder des Dichters [Ludwig Ganghofer, Anm. der Red.] und ich sind die Ersten. Wir haben den nächsten Weg von Egern herauf. Kaum haben wir nach lustiger Begrüßung Platz genommen, mahnt Peter ungeduldig: „Fang’ma an, wenn die andern kemma, muaß i do wieder zuschaug’n.“ Er teilt, zunächst offen, rundum Karten aus: „Ganghofer, du hast d’erste Sau. Du gibst an.“
Die Pfeifen sind in Brand gesetzt, das Spiel beginnt. „Hast auch ordentlich Geld eingesteckt? Heut wirst ausgesackelt, Tünnes“, verkündet mir Ludwig Thoma, indem er mich, den Rheinländer, nach einer der Figuren des Kölner Hänneschen Theaters benamst. Er schiebt mit gekrümmtem Armen die Fäuste gegeneinander: „Hin mußt werden.“ Ich habe durchaus keine Angst vor dem Verlieren. Peter und Emil spielen mittelmäßig und sind so gut wie bares Geld. Besonders der letztere. So steht in meinem „Andreas Vöst“ als Widmung: „s/l Walter Ziersch zur Erinnerung an einen fürchterlichen Tarock gegen Emilio. Egern, den 16. Juni 1911, früh 3½ Uhr. Ludwig Thoma.“
Der Tarock geht gemächlich seinen Gang, bis Ganghofer und ich durch grobe Fehler Peters nacheinander einige Spiele gewinnen. Da fliegt der Hausherr auf: „Himmelherrgottsakrament, Peter, du spielst scho, daß an Hund jammert. Tu doch dei Assen außer, dees Assenschonen is scho des Allerschlechtst. I sag’s, wie’s is.“ Peter nusselt in seinem Bart: „So, und wenn i eahna d’Zehner freispüll, dann schimpfst du a.“ “Geh, hör auf, Peter. Nix is so schlimm, wie des Assenschonen, dees feige Gspiel! Wenn du dir dees nur amal abgewöhnen tätst.“ Peter stellt den scharf hervorspringenden Gesichtserker schräg in die Luft: „Ach wos, dees kenn i scho, wie i’s moch, is‘s net recht …“ Er ist widerborstig wie ein alter Dachkater und Bruder Ludwig ist grantig und schimpft … Kurz, die beiden hackeln sich, und keiner gibt nach. Da, grad im rechten Moment, öffnet sich die Türe, und Michl Dengg, der Direktor des Tegernseer Bauerntheaters, steckt den Kopf ins Zimmer: „Grüaß God, beinand. Leut, heute spiel’n ma an Talerblock.“ Er macht dazu ein Gesicht wie als „Dusterer“ m „G’wissenswurm“ und schiebt sich langsam näher. Ludwig Thoma ist gleich Feuer und Flamme: „Leut, dees is g’scheit. Dees tan ma, mir spiel’n jetz‘ recht an scharfen Tarock. Peter, du schaugst vielleicht a wen‘g zu, und du Emilio …“ Er stockt. Mit Dengg ist Pauli Kiem, der rassige, blonde Gitarrenvirtuose des Ensembles, erschienen, ein Tarockmatador, den Thoma den Professor nennt, und den er gerne dabei haben möchte. Emil hat schon verstanden und da er sein Geld wieder hat, tritt er willig aus.
Ludwig Thoma während seines Sommeraufenthaltes beim Six-Bauer in Finsterwald, 1902. V.l.n.r.: Frau Six, Bertha Thoma, Sixbauer, Viktoria Pröbstl, Frau von Xylander, Ludwig Thoma, Peter Thoma, zwei Kinder des Sixbauern, Rudolf Wilke (Archiv Monacensia)
Der scharfe Tarock hat sich konstituiert. Ludwig Thoma ist wie umgewandelt. Er ist lustig und sprüht von übermütiger Laune. Dabei ist er ganz bei der Sache und denkt über jede Karte, die er spielen will, reiflich und angestrengt nach, um schließlich mit einem energischen: „So wirds gemacht und net anders,“ zum Entschluß zu kommen und auszuspielen. Manchmal haut er triumphierend auf den Tisch, daß die Aschenbecher und Geldschalen tanzen, und gibt jeder Karte ein lautes Kraftwort mit: „Trumpf … ihr damischen Tröpf übereinander … Trumpf und nochmal Trumpf, ihr Schlawiner, ihr ganz abscheilichen. G’wunna … Tünnes, deine grüne Aß kannst dir an den Hut stecken, die hast verschunden!“ Er schmunzelt: “Oes seits g’schlengt! So spielt man in Vendig und den umliegenden Bierdörfern.“ Manchmal aber legt er mit listigem Lächeln zart und behutsam eine Karte nach der andern hin: „Michl, du Bazi, i moan all weil i hör die geh’n. Aber mi stimmst.“ Oder er pfiff durch die Finger: „Zweiun’sechzig, Pauli, hin wirst! Hab i di dawischt? Ja, was wär denn dös? Sogar der Herr Professor hat sich amal verspekuliert.“ Wenn Thoma ein Spiel verliert, schiebt er ein wenig verlegen die Karten beiseite: „Jetzt bin i eingangen. Oes Räubersbuam, ös ganz ausg’schamten. Aber wart, euch kim i.“ Wenn er geben und passen muß, blickt er interessiert in die Karten seiner Nachbarn. Er sieht auch den Skat an und sagt vielverheißend: „Der Skat brüllt“ oder ähnliches, ganz gleich, was darin liegt. Dem Spieler schiebt er die drei Karten einzeln zu, die besten zuletzt, um ihn zu necken. Und kein Spiel vergeht ohne Leichenreden. Jeder Fehler wird erbarmungslos ans Licht gezogen. Auch hier verficht der Hausherr temperamentvoll seine Ansichten, läßt aber auch die anderen zu Wort kommen. Dabei fallen derbe Worte, die nicht gerade für Damenohren bestimmt sind, und Aestheten mit zarten Organen würden bei diesen Diskussionen verlieren. Dazu wird gequalmt, daß man den Tabakrauch mit Messern schneiden kann. Wir merken nichts davon. Blockade folgt auf Blockade …
Endlich erklärt der Hausherr: „Leut, jetzt machen ma Pause. Jetzt wird erst Kaffee getrunken. Die Theres hat schon zweimal durch’s Türl g’linst.“ Er weist auf die Klappe zur Küche. Gehorsam helfen wir alle abräumen. Ein junges Landmädl deckt den Tisch mit blütenweißen, hausgewebten Linnen und bringt den Kaffee, der nirgendswo so gut ist wie im Hause Thoma. Es gibt dazu frisch abgekochten Rahm und selbstgemachte Butter von eigenen Kühen und ein köstliches Bauernbrot. Und nirgendswo habe ich die Poesie gemütlicher Kaffeestunden so stark empfunden, wie in Ludwig Thomas Bauernstube. Der Hausherr sitzt behäbig und schneidet Brot vor. Er sorgt dafür, daß jeder zu „sei’m Sach“ kommt, auch die beiden Hunde. Wastl, der Schnauzbart, und Lump, der Dackel, werden reichlich bedacht. Der Jäger kommt zum Rapport und erhält auch eine Tasse. Die Sonne scheint freundlich ins Zimmer und alles blitzt und blinkt vor Sauberkeit. Jedes Blättchen des Efeus, dessen Ranken von einem Fensterkasten her an den Wänden entlang gezogen sind, ist gewaschen und leuchtet in frischem Grün. Launig plätschert die Unterhaltung. Michl Dengg hat Peter vor, der allein brummig ist: Was hat der Anonymus neulich g’schrieb‘. Beim Dr. Thoma sitzt so so an älterner Mensch, der wo die Leut anraunzt und sie ’nausteufelt.“ Peter grunzt ablehnend, aber Michl frozzelt weiter mit seinem harmlos liebenswürdigen Humor. Der gute Michl Dengg, ein Prachtkerl und ein Anzengruber-Spieler von Klasse. Er hat als erster die Reise in das dunkle Land angetreten. Kurz vor dem Krieg, ein Vorbote für viele.
Auch während des Krieges haben wir bei Ludwig Thoma viel Tarock gespielt. Ich war oft tagelang droben. Aber nun spielte Thoma mehr, um die schwere Zeit zu vergessen, nicht wie sonst, um sich zu messen in lustigem Kampfspiel. Mann gegen Mann, wie er es auch mit dem Stutzen auf der Schießstatt liebte, oder im Winter beim Eisschießen auf dem See.
Josef Wagner-Höhenberg (1870-1939): Die Skatpartie. Öl auf Leinwand
Wenn Thoma zur Redaktionssitzung des „Simplicissimus“ nach München kam, war er oft zum Skat im „Café Hoftheater“, wo die Herren vom Bau verkehrten. Besonders mit Dreher spielte er gern und freute sich königlich über die Sprüche des guten Konrads: „I woaß net, was dees is, aber alleweil bin i da Petschierte. Schon von meinen frühesten Jugendtagen an verlier i im Kartenspiel. Dees kast mir glaab’n mei Liaba, an ganz‘n Häusastock könnt i mir kaufa, wenn i dees Geld all’s no hätt‘. Wie andere Leut‘ sich a Jagd halt’n, halt i mir an Skat oder an Poker. Nachg’reist san’s mir bei meine Gastspiela, um mit mir z‘ karteln. Ganze G’sellschaftsreisen mit ‘m Schenker sein Reisebureau habens unternommen zu mir. Dös kost mir glaab’n, mei Liaba, dös behaupt i dir pfeilgräd ins G’sicht.“
Später haben wir viel mit Georg Queri gespielt, Skat und Tarock. Da ging’s auch „zünftig“ zu. Hier ein Brief von Thoma aus dieser Zeit: „Lieber Tünnes, am Donnerstag kommt der bekannte Schriftsteller Ludwig Thoma nach München. Die Mitglieder des Schriftstellersuppenvereines (so nannte er mich, weil ich die Unterstützungskasse des S.D.S. [Schutzverband Deutscher Schriftsteller, Anm. der Red.] mitverwaltete) haben präsent zu sein. Programm: Mittags: Pfälzer Weinstube. Auch kann in einem vornehmen Schieberkaffee Mokka angeboten werden. Freitag. Erhöhte Festlichkeit. Vielleicht läßt sich der hohe Gast zum Kartenspielen herab. Der ordinäre Süddeutsche Georg Queri kann ebenfalls eingeladen werden. Selber wohnt in Starnberg. Anzug: Gesellschaftsanzug. Alles weitere am Festplatz. Aenderungen im Programm ausgeschlossen. Laut Unterschrift: Der Obige.“
Queri war ein wilder Spieler, besonders, wenn er einige Quartl Wein intus hatte. Dann ging es ihm nicht leicht hoch genug. Und da stellte Thoma seinen Mann, er müßte ja kein Oberbayer gewesen sein und ich kein Rheinländer.
Den letzten Skat mit Thoma und Queri spielte ich in der Bauernstube in Tuften. Damals war Ludwig Ganghofer dabei. Dieser hatte einen Skat konstruiert, von dem er behauptete, er gäbe auch dem Spieler mit schlechten Karten Chancen. Mit „Jungfrau“ und „Jüngling“ und viel Ramschrunden. Das war nichts für den guten Queri, der nicht mauern konnte und immer aufs Ganze ging. Er stand am Schluß über 2000 minus. Wir spielten um zwei Pfennig der Punkt, also ein anständiger Verlust. Queri quälte: „Noch drei Runden doppelt.“ Dann ging es vierfach, dann achtfach. Am Schluß war Queri der höchste Gewinner und Ganghofer der einzige Verlierer. Queri freute sich wie ein Schneekönig und schenkte mir – eine Biermarke. „Die kannst du als Fünfzigpfenn‘gstück ausgeben“, sagte er. Ich habe die Biermarke verwahrt, als Erinnerung. Denn ein halbes Jahr später war Queri tot. Ein Jahr später Ludwig Ganghofer und wieder ein Jahr später auch Ludwig Thoma. Sein Bruder Peter folgte ihm bald, Emil Ganghofer war schon vorausgegangen.
Seit fünfeinhalb Jahren ruht Ludwig Thoma nun schon auf dem kleinen Friedhof in Egern. Am 21. Jänner 1927 hätte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Ob wir dann wohl einen Festtarock spielen würden? Kaum! Die Zeit ist eine andere, ist ernster geworden. Wer denkt noch an Talerblocks und Skatrunden achtfach? Und die meisten anderen Mitspieler von damals, aus der lustigen Zeit, haben ja auch still die Karten aus der Hand gelegt …
Transkription von Harald Beck