Bevor Georg Britting nach München übersiedelt und ein bekannter Schriftsteller wird, lebt er die ersten dreißig Jahre in Regensburg, wo er den Grundstein seiner literarischen Laufbahn legt. Hanns Braun, ein guter Bekannter Brittings, erinnert sich in einem Aufsatz anlässlich von Brittings Tod in der Anthologie Jahresring 1964/65 an den noch jungen Autor:

Die Tage unserer ersten Begegnung liegen weit zurück. Aber ich sehe ihn noch vor mir, so wie er uns 1928 erschien: der großgewachsene Mann, der mit Brille und kurzgeschorenem Haar eher wie ein Mönch aussah und also nicht so, wie er nach der Klischeevorstellung vom Dichter  hätte aussehen müssen.

Auch an Georg Brittings literarische Anfänge erinnert sich Braun:

Im Jahre 1928 war er ein vergleichsweise junger Autor, der schon zwei dramatische Versuche nebst Aufführung hinter sich gebracht hatte (er wiederholte nie mehr dergleichen) und sich eines Jahresstipendiums erfreute, ausgesetzt von einem bekannten Berliner Verlag und dazu bestimmt, ihn einen Roman in Ruhe vollenden zu lassen.

Georg Britting ist kein Sammler. Was ihm unpraktisch oder nicht notwendig erscheint, wirft er weg, so auch Dokumente seines Lebens. Seine frühen Werke landen fast sämtlich in der Isar. Curt Hohoff schreibt in seinem Aufsatz Über Georg Britting in der Zeitschrift Das Innere Reich, Ausgabe 2/1935: „Ein künftiger Biograph wird große Mühe haben, denn Britting lag nichts an einer Legende; im Gegenteil war er bestrebt, möglichst viele Spuren der persönlichen Existenz zu löschen “. Georg Brittings Ehefrau Ingeborg Schuldt-Britting berichtet – wie Albrecht Weber in seinem Aufsatz Die Literarisierung von Kindheit, Jugend und Schule bei Georg Britting und Hans Carossa vermerkt –, dass Britting zu Lebzeiten nicht bereit gewesen sei, über seine Jugend und Kindheit zu erzählen: „Erst nach Brittings Tod 1964 kam mehr von seiner Schul- und Jugendzeit ans Licht“.

Links: Georg Britting mit seiner Ehefrau Ingeborg im November 1952; rechts: Curt Hohoff, Ingeborg Schuldt-Britting und Friedhelm Kemp im Juli 1987 (Felicitas Timpe/BSB)

Und so verwundert es nicht, dass eine für das Jahrbuch der deutschen Dichtung von 1932 erbetene Selbst-Biographie Brittings nur wenige Zeilen umfasst und der Verfasser als eher unzuverlässiger Autobiograph erscheint. „Tiefer taucht Britting in die Welt seiner Erinnerung hinab, wenn er seine Geschichten erzählt. In der Regel ist immer von seiner Kindheit in ihnen die Rede“, so Wolfgang Johannes Bekh in seinem Buch Vom Glück der Erinnerung. Dichter aus Bayern. Brittings 1933 erschienenes Bändchen Die kleine Welt am Strom mit Gedichten und Geschichten über die Donau, Bayern und Regensburg enthält einleitend das Gedicht „Der Strom“.

Der große Strom kam breit hergeflossen
Wie ein großer, silberner Fisch. Wälder warn seine Flossen.
Mit dem hellen Schwanz hat er am Himmel angestoßen.

So schwamm er schnaubend in die Ebene hinein.
Licht wogte um ihn, dunstiger Schein.
Dann war nur mehr er, nur mehr er, der silberne, nur
mehr er allein.

Der Schriftsteller Albert von Schirnding, ebenfalls Regensburger und noch persönlich mit Britting bekannt, bemerkt dazu:

In sechs Zeilen wird ein Mythos erzählt: der Mythos der Donau. […]Das wieder zweiten Zeile (wie ein großer, silberner Fisch) wird gleichsam von der Schwimmbewegung des riesigen Tiers in die Tiefe gerissen; es verschwindet. Strom und Fisch werden eins. […] Der Schwanz des Fisches stößt am Himmel an, Wälder sind seine Flossen. Zugleich verschmelzen die Elemente der in Bewegung aufgelösten Donaulandschaft zu einem einzigen Bild: dem des schnaubend in die Ebene hineinschwimmenden Fisches. Tiere von solcher Ungeheuerlichkeit gehören einer sagenhaften Vorzeit an[…]. Die kleine Welt ist ja mehr als die Stadt Regensburg und ihre Umgebung; sie ist auch die in einer mythischen Prähistorie liegende Welt der Kindheit, eine von Fabeltieren bevölkerte Urlandschaft, in der keine Begriffe und Zahlen sondern Bilder gelten.

Die in Literatur anklingenden Kindheitserinnerungen Brittings an ‚sein‘ Regensburg können die biographischen Zeugnisse nicht ersetzen, aber sie können den teilweise spärlichen biographischen Zeugnissen eine weitere Facette hinzufügen. Friedrich Ludwig Barthel, ein Bekannter und Dichter-Kollege Brittings, sieht in dem Band Die kleine Welt am Strom eine Huldigung an die Donau und die Stadt Regensburg; aber auch die Menschen dieser Stadt, so schreibt er in Dichterköpfe der Gegenwart: Georg Britting, „werden in der kleinen Stadt am Strom angegangen, angesungen, angebetet“.

 


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Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Anna Keil

 

 

Sekundärliteratur:

Eberhard Dünninger (1998): Gottfried Kölwel und Georg Britting – Expressionismus und Regionalität in ihren Erzählungen. In:  Eberhard Dünninger (Hrsg.): Oberpfalz und Regensburg – Kultur- und Lebensbilder. Mittelbayerische Druck- und Verlags – Gesellschaft, Regensburg.

Wolfgang Johannes Bekh (2000): Welt am Donaustrom – Georg Britting (1991-1964), in: Wolfgang Johannes Bekh (Hrsg.): Vom Glück der Erinnerung – Dichter aus Bayern. Verlag Sankt Michaelsbund, München.

Ingeborg  Schuldt-Britting (Hg.) (2005): Georg Britting – Briefe an Georg Jung – 1943 bis 1963. digital reprint, Bad Feilnach.

Albert von Schirnding (2009): Georg Britting – ein süddeutscher Homer. In: Bayerische Akademie der schönen Künste (Hrsg.), Zu Unrecht vergessen – Künstler in München des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 3. Wallstein Verlag, Göttingen.

Bernhard Gajek, Walter Schmitz (Hg.) (1993): Georg Britting (1891 - 1964). Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe B, Untersuchungen 52. Peter Lang Verlag, Buchverlag Mittelbayerische Zeitung, Frankfurt a.M. u.a.

Walter Schmitz (1987): Georg Britting, 1891 bis 1964 – Zum Erscheinen einer neuen fünfbändigen Werksausgabe. Süddeutscher Verlag, München.

Ingeborg Schuldt-Britting, Michael Herrschel (Hg.) (2002): Georg Britting als Theaterkritiker in Regensburg. Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe A, Quellen 12. Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. u.a.

Dietrich Bode (Hg.) (1962): Georg Britting – Geschichte seines Werkes. In: Germanistische Abhandlungen, 1. Metzler Verlag, Stuttgart.

Friedrich Ludwig Barthel (1935): Dichterköpfe der Gegenwart: Georg Britting. In: Wolfgang Nufer (Hg.) Völkische Kultur, Monatsschrift für die gesamte geistige Bewegung Deutschlands. Wilhelm Limpert Verlag, Dresden.

Walter Schmitz (Hg.) (1987): Georg Britting – Frühe Dramen – Prosa, Dramen, Gedichte 1920 bis 1930. Süddeutscher Verlag, München.

Wilhelm Haefs, Walter Schmitz: Poetologie der inneren Emigration – Georg Britting und Adalbert Stifter. In: Literatur in Bayern – Vierteljahresschrift für Literatur, Literaturkritik und Literaturwissenschaft, Heft 13.

Ingeborg Schuldt-Britting (1999): Sankt-Anna-Platz 10 – Erinnerungen an Georg Britting und seinen Münchner Freundeskreis. Buchendorfer Verlag, München.

Curt Hohoff (1982): Unter den Fischen – Erinnerungen an Männer, Mädchen und Bücher, 1934 – 1939. Limes Verlag, München u.a.