Der Spaziergang hat eine Länge von 8km und dauert 1,5 Std. (reine Laufzeit).

München ist ein Arkadien zugleich und ein Babylon. Der stumme saturnalische Taumel, der sich hier bei jeder Gelegenheit der Seelen bemächtigt, behält auch für den Verwöhntesten seinen Reiz. (Frank Wedekind: Der Marquis von Keith, 1. Akt)

Die Straßen melden Ansprüche an: [...] Die Heßstraße, die Leopoldstraße, die Belgradstraße und die Römerstraße auf Stefan George. Die Türkenstraße, die Franz-Joseph-Straße und die Leopoldstraße auf Ludwig Thoma. Die Akademiestraße, die Adalbertstraße, die Türkenstraße, die Franz-Joseph-Straße und die Amalienstraße auf Frank Wedekind. (Werner Rukwid, Münchner Merkur 29.1.1966. In: Geliebtes Schwabing, S. 59)

„München ist eine pompöse Stadt, in der ich die ersten drei Tage wie ein Träumender umherirrte und vor lauter Eindruck nicht zum Ausdruck kam“, schreibt Frank Wedekind im Herbst 1884 an seine „erotische Tante“ Bertha Jahn (Gesammelte Briefe. Bd. 1, S. 69).

Als zwanzigjähriger Student kommt der gebürtige Hannoveraner das erste Mal an seine spätere Wirkungsstätte, für die er sich endgültig 1896 entscheiden wird. Dazwischen liegen Aufenthalte in Zürich, Paris, London und Berlin mit allerlei Kontakten zu Literatenkreisen, Hochstaplern und Zirkusleuten.

Über Berlin kehrt Wedekind 1889 nach München zurück und lernt bedeutende Persönlichkeiten der Münchner Moderne kennen, darunter den führenden Naturalisten Michael Georg Conrad, in dessen „Gesellschaft für modernes Leben“ er 1891 eintritt, die Schriftsteller Otto Julius Bierbaum und Oskar Panizza, aber auch den künstlerischen Tausendsassa Willy Morgenstern sowie den Musiker Hans Richard Weinhöppel, die zu engen Freunden werden. In München schreibt Wedekind auch sein erstes Buch, die „Kindertragödie“ Frühlings Erwachen. Das Stück führt die Pubertätsnöte einer von Schule und Elternhaus missverstandenen Jugend vor und wird erst 15 Jahre später unter Max Reinhardts Regie uraufgeführt.

Im Frühjahr 1896 reist Wedekind zur Gründung des Simplicissimus abermals in die bayerische Residenzstadt; unter diversen Pseudonymen wird er fester Mitarbeiter des Satireblattes. Da das Ibsen-Theater in Leipzig sich auflöst, wird Wedekind 1898 Dramaturg, Schauspieler und Regisseur am Münchner Schauspielhaus. Der Simplicissimus-Prozess bringt dann wieder eine Wende: Der wegen „Majestätsbeleidigung“ in einem Spottgedicht angeklagte Wedekind muss ins Ausland flüchten und tritt nach Absitzen seiner Haftstrafe nunmehr als Bänkelsänger in dem von ihm 1901 mitgegründeten Münchner Kabarett „Die Elf Scharfrichter“ auf.

Mit der Uraufführung von Frühlings Erwachen 1906 setzt sich Wedekind schließlich als Dramatiker und Schauspieler durch. Der Provokateur und Entlarver bürgerlicher Scheinmoral und Heuchelei avanciert schnell zum meistverbotenen, von der Zensur heimgesuchten, öffentlich verleumdeten und verfolgten Schriftsteller seiner Zeit. Sein Hauptthema, mit dem er zur Symbolfigur im Kampf gegen polizeiliche Bevormundung der Kunst wird, ist vor allem die Befreiung des in der bürgerlichen Gesellschaft verdrängten Eros.

Mit den formalen Neuerungen seiner Dramen (Frühlings Erwachen, 1891; Der Marquis von Keith, 1901; Lulu, 1913), mit der Durchbrechung des Realismus durch irreale und groteske Elemente, kann Wedekind als einer der bedeutendsten Anreger des modernen Theaters angesehen werden. Am 9. März 1918 stirbt er nach seiner vierten Blinddarmoperation an Herzschwäche und einer Lungenentzündung und wird am 12. März auf dem Münchner Waldfriedhof beigesetzt.

 


Spaziergang starten: Station 1 von 19 Stationen


 

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

 

Sekundärliteratur:

- Arens, Hanns (1968): Unsterbliches München. Streifzüge durch 200 Jahre literarischen Lebens der Stadt. Bechtle, München und Esslingen.

- Austermühl, Elke (1996): Münchner Szenen im Marquis von Keith. In: Frank Wedekind. Text + Kritik. H. 131/132, S. 70-83.

- Bistritzki, Otto Josef (21980): Brunnen in München. Lebendiges Wasser in einer großen Stadt. Georg D. W. Callwey, München.

- Forcht, Georg W. (2009): Frank Wedekind und die Anfänge des deutschsprachigen Kabaretts. Centaurus, Freiburg.

- Heißerer, Dirk (1993): Wo die Geister wandern. Eine Topographie der Schwabinger Bohème um 1900. Diederichs, München.

- Hödl, Sepp (2007): Amalienstraße. Von Häusern und Menschen. Hg. v. Bezirksausschuß Maxvorstadt. München.  

- Lammers, Jan (2001): Künstlermilieu, NS-Zeit, Studentenproteste. Die Schellingstraße vom Jugendstil bis zu den Ereignissen 1968. In: Schellingstraße. Geschichte und Geschichten. Hg. v. Bezirksausschuß Maxvorstadt. München, S. 1-135.

- Mayr, Claudia; Schad, Martha (2008): Frauen in Bronze und Stein – München. Stiebner, München.

- Regnier, Anatol (2010): Frank Wedekind. Eine Männertragödie. Btb, München.

- Reinhardt, Stephan Andreas (2000): Frank Wedekind. In: Persönlichkeiten im alten Schwabing. Hg. v. der evang.-luth. Erlöserkirche München-Schwabing zu ihrem 100-jährigen Bestehen. Bavarica-Verlag Dr. Reinhard Bauer, München, S. 219-227.

- Rukwid, Werner (Hg.) (1970): Geliebtes Schwabing. Verse und Prosa von Wedekind bis P. P. Althaus. Dtv, München.

- Vinçon, Hartmut (1987): Frank Wedekind. Metzler, Stuttgart.

- Weidl, Erhard (1993): Der Hecht im Karpfenteich. Frank Wedekind in München. In: Konturen. Magazin für Sprache, Literatur und Landschaft. H. 2, S. 5-12.

 

Primärliteratur:

- Arthur Holitscher: Lebensgeschichte eines Rebellen. Meine Erinnerungen. 2 Bde. Berlin 1924.

- Frank Wedekind: Gesammelte Briefe. Hg. v. Fritz Strich. 2 Bde. München 1924.

- Ders.: Münchner Tagebuch. 5. Juli 1889 – 22. Oktober 1890 einschließlich einer Namensliste und anschließenden chronologisch geordneter Notizen zur Vita, 1864 bis 1895. Link: http://www.frankwedekind-gesellschaft.de/downloads/fup/tagebuecher/Muenchner_Tagebuch.pdf, (09.01.2014).

- Ders.: Tagebücher 1904-1918. Link: http://www.frankwedekind-gesellschaft.de/downloads/fup/tagebuecher/Tagebuecher_1904-1918.pdf, (09.01.2014).

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