Unterwegs in der Kunststadt: Hermann Hesse besucht München

Hermann Hesse (1877-1962) war in München nur der „durchreisende Dichter“[1], eine eigene Bleibe hatte er hier nicht: „Hesse hat nie in München gewohnt, aber er hat die ihm liebe Stadt, namentlich in den Jahren vor dem ersten Krieg, oft besucht.“[2] Hesse war zwischen 1889 und 1934 „mindestens 15 mal in München“ und brachte es dabei „auf mehr als 50 Tage“.[3] Einige Stationen dieser Aufenthalte gehörten im Sommer 2013 auf einem Literarischen Spaziergang von Dirk Heißerer zum Begleitprogramm der Ausstellung „Einst stand ich zu Ihrer Stadt in intimer Beziehung…“ – Hermann Hesse und München im Literaturhaus München.

(c) Literaturhaus München

Der Dichter des Bildungsromans Peter Camenzind (1904) und der tragischen Jugendgeschichte Unterm Rad (1906) traf in Schwabing seinen Simplicissimus-Kollegen, den Zeichner Olaf Gulbransson (Station 1), ging von dort bei Alfred Kubin vorbei (Station 2) und kehrte nicht weit davon bei dem Verleger Albert Langen ein, dessen Haus in seinem Roman Gertrud (1910) zum Schauplatz wird (Station 3). Am häufigsten wohnte Hesse in der Villenkolonie Gern bei Reinhold Geheeb, dem Chefredakteur des Simplicissimus (Station 12). Für das Satireblatt  schrieb Hesse ab 1905 bis 1935 etwa 150 Beiträge, etwa genau so viele wie für die ebenfalls im Verlag Albert Langen erscheinende Zeitschrift März, die Hesse ab 1907, zusammen mit Ludwig Thoma, bis 1912 als Redakteur betreute (Station 4).

Schon 1901 besuchte der künftige Maler Hesse im Glaspalast die Internationale Kunstausstellung (Station 5), die Alte und die Neue Pinakothek (Station 6) sowie die Neue Staatsgalerie (Station 7) und berichtete im Rückblick 1929 über sein „Bilderbeschauen in München“. Nebenbei erprobte er im Park-Hotel am Maximiliansplatz, im Ratskeller am Marienplatz mit Joachim Ringelnatz (Station 9) und im „Bratwurstglöcklein (…) mit dem Simplvolk“[4] seine Trinkfestigkeit.

Im Herzogpark besuchte er den Kollegen Thomas Mann, den er schon 1904 in einem Münchner Hotel kennengelernt hatte (Station 8), erlebte in den Kammerspielen, damals noch an der Augustenstraße, den Komiker Karl Valentin (Station 10), und bei einer Lesung aus seinen Werken im Hotel Vier Jahreszeiten trat Hesse einmal sogar öffentlich auf (Station 11).

Sein monatelanges „Reise- und Münchener Leben“ fasste Hesse später launig so zusammen, dass er „nichts gearbeitet, täglich viel gesoffen und außerdem getanzt“ habe.[5] In einem Traumtagebuch, das er während einer Psychoanalyse 1917/18 führte, schildert er sein Verhältnis zu München dann aber doch etwas differenzierter:

München als Reiseziel erinnert mich daran, daß München einst jahrelang stets mein Reiseziel war, wenn ich reisen und ein wenig aus meiner Bodensee-Einsamkeit in die Welt kommen wollte. Außer Kneipereien mit Freunden und hübschen Weibern gehörte zu München die Literatur, ein Kreis von Künstlern und Kollegen; ich war dort als Dichter nicht ein vereinsamter Einzelner, sondern gehörte zu einem Kreis, war gewissermaßen besser legitimiert.[6]

 


Spaziergang starten: Station 1 von 13 Stationen


 


[1] Rolf von Hoerschelmann: Leben ohne Alltag. Berlin 1947, S. 19.

[2] Horst Kliemann: Hermann Hesse und München, in: Münchner Tagebuch (München), Jg. 3, H. 9, 1948, S. 5f., hier S. 5. Zur Kritik Hesses an Kliemanns Beitrag vgl. den Brief 492 von 1948 in: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe, Dritter Band: 1936-1948. Frankfurt am Main 1982, S. 494.

[3] Volker Michels: „…um wieder mal ein flottes Stück Leben um mich brausen zu hören“, in: Reinhard G. Wittmann (Hrsg.): „Einst stand ich zu Ihrer Stadt in intimer Beziehung …“. Hermann Hesse und München. Nummer 4/2013 der HEFTE zu Ausstellungen im Literaturhaus München. München 2013, S. 9-11, hier S. 9.

[4] Grete Gulbransson: Tagebuch vom 23.09.1910, in: Der grüne Vogel des Äthers. Grete Gulbransson Tagebücher, Band I: 1904 bis 1912, hrsg. und kommentiert von Ulrike Lang. Frankfurt am Main, Basel 1998, S. 323f., hier S. 324.

[5] Hermann Hesse: Brief an Otto Blümel, Zürich, 10.03.1926, in: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe, Zweiter Band: 1922-1935. Frankfurt am Main 1979, Nr. 106, S. 134f.

[6] Hermann Hesse: [Traumtagebuch der Psychoanalyse 1917/18], in: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 11: Autobiographische Schriften I. Wanderung. Kurgast. Die Nürnberger Reise. Tagebücher. Frankfurt am Main 2003, S. 444-617, hier S. 482.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer