Der österreichische Autor Peter Handke (Jg. 1942), Nobelpreisträger für Literatur 2019, hat 1990 einen schmalen Band (38 Seiten) unter dem Titel Noch einmal für Thukydides im Residenz Verlag Salzburg veröffentlicht. (Abb. 01) Unter den elf Prosaskizzen findet sich als vorletzte die siebenseitige Kleine Fabel der Esche von München. Ende Oktober/Anfang November 1989, wenige Tage vor dem Fall der Mauer, erlebt der Autor den ‚massigen‘ Baum zwischen dem Farbenspiel seiner Rinde samt Kleintierwelt und dem Autolärm um das Siegestor herum als eine unvermutete Erscheinung (Epiphanie), der er sprachlich einfühlsam, aber auch selbstkritisch nachspürt. Zehn Jahre kannte Handke den Baum damals schon, der persönliche Bezug wird aber nur angedeutet.

Diese Baumfabel erscheint nun, aus Anlass von Handkes 80. Geburtstag im Dezember 2022, als einzelne Veröffentlichung im Wallstein Verlag (Göttingen) als Band der Edition Petrarca mit 15 Schwarz-Weiß-Fotos von Isolde Ohlbaum und einem Nachwort von Michael Krüger.[1] (Abb. 02) Außerdem wird dem Text das Faksimile der Handschrift mit einer der jeweiligen Seite entsprechenden Abschrift beigegeben.[2] Interessant ist dabei, dass die Handschrift zwei Titel hat. Einmal „Kleine Fabel der Esche am Siegestor in München“[3] und dann den kürzeren und für den Druck verwendeten „Kleine Fabel der Esche von München“.[4] So oder so, Handkes Text ist im Druck, als Handschrift und als deren Abschrift gleich dreimal in der Neuausgabe enthalten, und der Band kommt auf 84 Seiten.

Abb. 1: Die Erstausgabe erschien Anfang September 1990 im Residenz Verlag, Salzburg und Wien. Foto: Dirk Heißerer. Abb. 2: Die Neuausgabe erschien Anfang September 2022 im Wallstein Verlag, Göttingen. Foto: Verlag.

Ausgangspunkt für den Spaziergang ist die öffentliche Figur des Thukydides vor der Bayerischen Staatsbibliothek (Station 1) an der Ludwigstraße 16. Vorbei an der Ludwigskirche und der Universität geht es in die Nähe der Esche zum Siegestor (Station 2). Die Schackstraße hat ihren Namen von einem kunstsinnigen Grafen (Station 3). Im Garten des Hauses Schackstraße 1 steht die Esche (Station 4). Im Haus Schackstraße 6 wohnte im Januar 1937 Hermann Lenz, dem Peter Handke 1973 zu spätem Ruhm verhalf (Station 5). 60 Jahre später war Hermann Lenz ebenfalls Gast in der Schackstraße 1 (Station 6). Um 1900 residierten im Haus Schackstraße 4 der Verlag Albert Langen und die Satirezeitschrift Simplicissimus mit dem jungen Thomas Mann als Redakteur (Station 7). Schließlich steigt Michael Krüger im Frühjahr 2022 in die Baumkrone der Esche und erkundet von dort aus die nähere und weitere Umgebung (Station 8). Ihm gesellt sich ein Hausdiener Thomas Manns bei und lenkt den Blick kurz hinüber in den Herzogpark vor 100 Jahren (Station 9). Der Spaziergang endet in Schwabing im Haus von Hermann und Hanne Lenz an der Mannheimer Straße 5 (Station 10).

 


Spaziergang starten: Station 1 von 10 Stationen


 

Literaturspaziergang Kleine Fabel der Esche von München als PDF-Druckversion

 

[1] Peter Handke: Kleine Fabel der Esche von München. Mit Fotos von Isolde Ohlbaum und einem Nachwort von Michael Krüger. Göttingen, Wallstein Verlag, 2022 (Edition Petraca, hrsg. von Hubert Burda, Peter Hamm (†), Peter Handke, Alfred Kolleritsch (†) und Michael Krüger).

[2] Ebd., S. 16-39.

[3] Ebd., S. 16.

[4] Ebd., S. 18.