Reisetagebuch von Lena Dirscherl
Im Rahmen der seit 1989 bestehenden Partnerschaft zwischen Bayern und Québec vergibt der Freistaat Bayern jedes Jahr ein Aufenthaltsstipendium für Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Comic/Graphic Novel-Kunstschaffende sowie literarische Übersetzerinnen und Übersetzer. Die bayerische Stipendiatin bzw. den bayerischen Stipendiaten erwartet ein Aufenthalt von Mitte September bis Mitte November in der kanadischen Stadt Québec, bekannt für ihre dynamische Kreativ- und Literaturszene. Für einen Aufenthalt im Jahr 2023 wurde die Nürnberger Illiustratorin und Comiczeichnerin Lena Dirscherl ausgewählt. Ihren Bericht lesen Sie hier.
*
Die größte Herausforderung meines Stipendiums war die Hinreise.
Die zweitgrößte die Rückreise.
Hierzu muss ich erwähnen, dass ich unter Flugangst leide und gezwungen war, mich meinen Ängsten zu stellen, um das Stipendium überhaupt erst antreten zu können. Zwar konnte ich meine Flugangst nicht überwinden, ich habe mich jedoch nicht von ihr aufhalten lassen. Etwas, worauf ich sehr stolz bin.
In Kanada angekommen, erwarteten mich viele neue Eindrücke, freundliche Menschen und vor allem Zeit und Ruhe, um mich meinem Comicprojekt widmen zu können. Schnell stellte sich heraus, dass Québec die perfekte Stadt für meinen Comic sein sollte!
Denn: die Geschichte handelt von zwei jungen Nonnen in einem alten Kloster, die mit vereinten Kräften einen mysteriösen Todesfall lösen (und sich dabei näher kommen).
Die neogotischen Kirchen und Monumente, welche in der ganzen Stadt verteilt sind, waren perfekte Inspirationen für mich und so flossen viele québecische Elemente in die Hintergründe meines Comics ein.
Selbst der Arbeitsplatz, den ich im Maison de la Litératur gestellt bekam, diente mir als Referenz, da das Gebäude eine ehemalige Kirche ist, die im Inneren zu einer mehrstöckigen Bibliothek umgebaut worden war. C'est parfait!
Wie viel Québec steckt nun also in meinem Comic?
Die Story spielt zwar in einem deutschen Kleinstädtchen, jedoch sind viele der Hintergründe des Comics eine Hommage an Québec! Le Musée du Monastère des Augustines ist ein ehemaliges Nonnenkloster, das ich für meine Recherchen besuchte und welches ich als Bildreferenz für meine Arbeit nutzen konnte. Auch die Monumente der Stadt fanden ihren Weg in meine Zeichnungen, wie auf diesem Kapitelcover unschwer zu erkennen ist.
Auch die neogotischen Fenster faszinierten mich. Ich studierte und zeichnete viele von ihnen und wandelte sie zu einem elementaren Stilelement meines Comics um.
Eine Frage trieb mich während meines Aufenthalts jedoch um:
Wie viel würde ich in den zwei Monaten schaffen?
Dass ich das Projekt nicht beenden konnte, war mir bei mehreren hundert Seiten Comicgeschichte klar. Aber würde ich in der Zeit meines Aufenthalts einen sichtbaren Fortschritt machen? L’avenir nous le dira.
September, der erste Monat, stand unter einem introvertierten Stern. Es war für mich eine Zeit der Reflexion und Neuausrichtung.
Ich arbeitete alleine vor mich hin, erkundete Stück für Stück die Stadt, besuchte Kulturveranstaltungen und lernte, dank der neuen Umgebung, auch mich selbst neu kennen.
Der große Turning Point meines Aufenthalts war eine Einladung des Goethe Instituts Montreal.
Dort hielt ich Ende September (genau zur Halbzeit meines Stipendiums) eine Lesung und präsentierte dem Publikum die aktuellsten Seiten meines Werkes. Zudem gab es in den gleichen Räumlichkeiten eine Ausstellung, welche meine Comicseiten zur Schau stellte. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Marie-Pierre Poulin, die alles noch vor meiner Ankunft organisiert und damit möglich gemacht hatte.
Dann kam der Oktober in großen Schritten.
Der Monat war eine Zeit des Austauschs und es eröffneten sich mir neue Chancen!
Grundsätzlich fiel mir während meines Aufenthalts auf, dass Kanadier*innen sehr offen und freundlich sind und gerne auf Neuankömmlinge zugehen. So kam es, dass ich in das Arbeitsatelier der Comickünstler Richard Vallerand und Paul Bordeleau eingeladen wurde und die verbleibenden Wochen dort arbeiten durfte.
Über Richard Vallerand erlangte ich auch die Möglichkeit ein Wochenende lang an einem Pottery Workshop teilzunehmen und Töpfern zu lernen. Dies war eine willkommene Abwechslung, die meine kreativen Geister für den Endspurt erfrischte!
Das Maison de la Littérature stellte mir Räumlichkeiten und Stellwände zur Verfügung, um in der letzten Woche meines Aufenthalts eine kleine Ausstellung aufzubauen. Dies war eine tolle Möglichkeit meine aktuellen Arbeiten zu präsentieren und mich mit den Comickünstler*innen aus Québec auszutauschen.
Der persönliche Höhepunkt meiner Reise war, dass ich den ersten Akt meines Comics fertigstellte. Dafür hatte mich mich ganz schön ins Zeug gelegt: im Durchschnitt zeichnete ich 2,5 Comicseiten pro Woche, also 20 Seiten über den gesamten Zeitraum.
Mein neues Lieblingsgetränk, das ich in Kanada für mich entdeckt habe, ist London Fog: ein Heißgetränk aus Earl Grey, Vanillearoma, Honig oder Zucker und aufgeschlagener Milch bzw. Milchalternative nach Wahl.
Wenn die warme Milch auf den schwarzen Tee trifft, bildet sich draus ein wolkenartiges Gemisch, das an einen nebelverhangenen Londoner Nachmittag erinnert.
Mittlerweile habe ich alle Utensilien daheim, um London Fog selbst zuzubereiten zu können.
So habe ich mir ein Stückchen Kanada nach Hause geholt und schwelge mit jedem Schluck in schönen Erinnerungen.
ENDE
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Im Rahmen der seit 1989 bestehenden Partnerschaft zwischen Bayern und Québec vergibt der Freistaat Bayern jedes Jahr ein Aufenthaltsstipendium für Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Comic/Graphic Novel-Kunstschaffende sowie literarische Übersetzerinnen und Übersetzer. Die bayerische Stipendiatin bzw. den bayerischen Stipendiaten erwartet ein Aufenthalt von Mitte September bis Mitte November in der kanadischen Stadt Québec, bekannt für ihre dynamische Kreativ- und Literaturszene. Für einen Aufenthalt im Jahr 2023 wurde die Nürnberger Illiustratorin und Comiczeichnerin Lena Dirscherl ausgewählt. Ihren Bericht lesen Sie hier.
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Die größte Herausforderung meines Stipendiums war die Hinreise.
Die zweitgrößte die Rückreise.
Hierzu muss ich erwähnen, dass ich unter Flugangst leide und gezwungen war, mich meinen Ängsten zu stellen, um das Stipendium überhaupt erst antreten zu können. Zwar konnte ich meine Flugangst nicht überwinden, ich habe mich jedoch nicht von ihr aufhalten lassen. Etwas, worauf ich sehr stolz bin.
In Kanada angekommen, erwarteten mich viele neue Eindrücke, freundliche Menschen und vor allem Zeit und Ruhe, um mich meinem Comicprojekt widmen zu können. Schnell stellte sich heraus, dass Québec die perfekte Stadt für meinen Comic sein sollte!
Denn: die Geschichte handelt von zwei jungen Nonnen in einem alten Kloster, die mit vereinten Kräften einen mysteriösen Todesfall lösen (und sich dabei näher kommen).
Die neogotischen Kirchen und Monumente, welche in der ganzen Stadt verteilt sind, waren perfekte Inspirationen für mich und so flossen viele québecische Elemente in die Hintergründe meines Comics ein.
Selbst der Arbeitsplatz, den ich im Maison de la Litératur gestellt bekam, diente mir als Referenz, da das Gebäude eine ehemalige Kirche ist, die im Inneren zu einer mehrstöckigen Bibliothek umgebaut worden war. C'est parfait!
Wie viel Québec steckt nun also in meinem Comic?
Die Story spielt zwar in einem deutschen Kleinstädtchen, jedoch sind viele der Hintergründe des Comics eine Hommage an Québec! Le Musée du Monastère des Augustines ist ein ehemaliges Nonnenkloster, das ich für meine Recherchen besuchte und welches ich als Bildreferenz für meine Arbeit nutzen konnte. Auch die Monumente der Stadt fanden ihren Weg in meine Zeichnungen, wie auf diesem Kapitelcover unschwer zu erkennen ist.
Auch die neogotischen Fenster faszinierten mich. Ich studierte und zeichnete viele von ihnen und wandelte sie zu einem elementaren Stilelement meines Comics um.
Eine Frage trieb mich während meines Aufenthalts jedoch um:
Wie viel würde ich in den zwei Monaten schaffen?
Dass ich das Projekt nicht beenden konnte, war mir bei mehreren hundert Seiten Comicgeschichte klar. Aber würde ich in der Zeit meines Aufenthalts einen sichtbaren Fortschritt machen? L’avenir nous le dira.
September, der erste Monat, stand unter einem introvertierten Stern. Es war für mich eine Zeit der Reflexion und Neuausrichtung.
Ich arbeitete alleine vor mich hin, erkundete Stück für Stück die Stadt, besuchte Kulturveranstaltungen und lernte, dank der neuen Umgebung, auch mich selbst neu kennen.
Der große Turning Point meines Aufenthalts war eine Einladung des Goethe Instituts Montreal.
Dort hielt ich Ende September (genau zur Halbzeit meines Stipendiums) eine Lesung und präsentierte dem Publikum die aktuellsten Seiten meines Werkes. Zudem gab es in den gleichen Räumlichkeiten eine Ausstellung, welche meine Comicseiten zur Schau stellte. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Marie-Pierre Poulin, die alles noch vor meiner Ankunft organisiert und damit möglich gemacht hatte.
Dann kam der Oktober in großen Schritten.
Der Monat war eine Zeit des Austauschs und es eröffneten sich mir neue Chancen!
Grundsätzlich fiel mir während meines Aufenthalts auf, dass Kanadier*innen sehr offen und freundlich sind und gerne auf Neuankömmlinge zugehen. So kam es, dass ich in das Arbeitsatelier der Comickünstler Richard Vallerand und Paul Bordeleau eingeladen wurde und die verbleibenden Wochen dort arbeiten durfte.
Über Richard Vallerand erlangte ich auch die Möglichkeit ein Wochenende lang an einem Pottery Workshop teilzunehmen und Töpfern zu lernen. Dies war eine willkommene Abwechslung, die meine kreativen Geister für den Endspurt erfrischte!
Das Maison de la Littérature stellte mir Räumlichkeiten und Stellwände zur Verfügung, um in der letzten Woche meines Aufenthalts eine kleine Ausstellung aufzubauen. Dies war eine tolle Möglichkeit meine aktuellen Arbeiten zu präsentieren und mich mit den Comickünstler*innen aus Québec auszutauschen.
Der persönliche Höhepunkt meiner Reise war, dass ich den ersten Akt meines Comics fertigstellte. Dafür hatte mich mich ganz schön ins Zeug gelegt: im Durchschnitt zeichnete ich 2,5 Comicseiten pro Woche, also 20 Seiten über den gesamten Zeitraum.
Mein neues Lieblingsgetränk, das ich in Kanada für mich entdeckt habe, ist London Fog: ein Heißgetränk aus Earl Grey, Vanillearoma, Honig oder Zucker und aufgeschlagener Milch bzw. Milchalternative nach Wahl.
Wenn die warme Milch auf den schwarzen Tee trifft, bildet sich draus ein wolkenartiges Gemisch, das an einen nebelverhangenen Londoner Nachmittag erinnert.
Mittlerweile habe ich alle Utensilien daheim, um London Fog selbst zuzubereiten zu können.
So habe ich mir ein Stückchen Kanada nach Hause geholt und schwelge mit jedem Schluck in schönen Erinnerungen.
ENDE