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11.02.2015, 19:18 Uhr
Petra Morsbach
Text & Debatte
Im Juli 2014 trafen sich drei tschechische und drei deutsche AutorInnen in Sulzbach-Rosenberg, um für beide Seiten wichtige Gedächtnis-Orte in der Oberpfalz kennenzulernen – und darüber zu schreiben. Ihre Texte erscheinen in loser Folge im Blog des Literaturportals Bayern.

[Sulzbach-Rosenberg/OPf.-Austausch]: Bericht über das deutsch-tschechische Autorentreffen in Sulzbach-Rosenberg 16.-18.07.2014

Es war ein angenehmes Treffen mit einem sehr gut organisierten, intensiven Programm.

Ich war beeindruckt von der Synagoge: der stilvollen Restauration und der klugen Ausstellung. Mich rührte, über den toleranten Pfalzgrafen Christian August (1622-1708) zu lesen, der die Gleichberechtigung der katholischen und evangelischen Konfession installierte, jüdische Mitbewohner in die Stadt aufnahm und den Buchdruck förderte. Man freut sich immer, von einem guten Menschen zu hören, erst recht einem, dessen Liberalität nach seinem Tod so lange fortwirkte. Wir wissen, dass diese Klugheit im 20. Jh. in Dummheit und Brutalität mündete. Ich möchte aber glauben, dass in dem kleinen Museum nicht nur das Erbe der Sünde, sondern auch das der Toleranz erhalten blieb. Ohne Museum wäre nur das Verbrechen geblieben.

Ganz wichtig die Gedenkstätte KZ Flossenbürg. Der Schauplatz ist auf den ersten Blick unspektakulär; außer einem Torbau und zwei langen Baracken ist nichts geblieben; die Gebäudeanordnung soll durch Begrünung simuliert werden. Überall Gärtner und Bagger. Überzeugend die Ausstellung, eben in den beiden Baracken. Wir hatten dafür – nach einer einstündigen Führung – zwei Stunden; sie reichten nicht. Es ist seltsam, eine Ausstellung zu rühmen, die Massenmord und Perversion zum Inhalt hat; aber hier angemessen. Ungeheuer schwierige Aufgabe: Verderben und Entsetzen in einem Maße spürbar zu machen, das tief geht und gleichzeitig Reflexion noch möglich macht. Klar konzipiert, sehr gut gegliedert, übersichtlich, Texte gut formuliert, nicht zu lang, nicht zu kurz, sachlich niederschmetternd, ohne Pathos. Für jede These genau ein Schicksal, doch maximal aussagekräftig. Keine Ermüdung. Keine Routine. Es haut einen immer um. Für mich neu an einem solchen Ort: das Kapitel Verleugnung und Restauration vor wie nach dem Krieg. Wie viele Profiteure und Sadisten auf einmal bereitstanden. Wie korrumpiert und beschädigt diejenigen zurückbleiben, die still hielten. Und wie wenig Verständnis, geschweige denn juristische Genugtuung die überlebenden Opfer erfuhren, die in ihrem Alptraum gefangen bleiben. Zu diesem Kapitel ein besonders eindrucksvolles Exponat: die Puppengruppe, Werk einer Überlebenden.

Am Nachmittag der Besuch des Centrum Bavaria Bohemia in einem alten Brauereigebäude, das von einem initiativfreudigen, neugierigen Bürgermeister gerettet und der Nachbarschaft zu Tschechien gewidmet wurde. Dieser (inzwischen Ex-)Bürgermeister, Hans Eibauer, führte uns zu Fuß über die Grenze zum verschwundenen böhmischen Dorf Pleš (Plöss), kurz nach einem mächtigen Gewitter. Wechselbad. Nach dem KZ ein schwächerer Eindruck. Dennoch seltsam die Schönheit dieser Gegend, parkartig durch sein Dorferbe mit Resten von Gärten, Mauern und Allen, zauberhaft durch das Fehlen von Dorf.

Auch von der Gegenwart war deutsch-tschechisch die Rede. Nachbarschaftliche Gespräche. Ich habe die Tschechen auf meinen mehrfachen Reisen in dieses Land als ernste Leute erlebt, nun gab es Gelegenheit, danach zu fragen. Eine Kollegin sagte: „Wir sind ein skeptisches Volk. Wir wissen, daß wir eine Kolonie sind.“ Kolonie? „Eine deutsche Kolonie.“ Das war mir neu, doch wunderte es mich nicht. Oft hörte ich sogar von DDR-Bürgern, die es leichter hatten als die Tschechen, von der Enttäuschung, nach dem Ende einer Diktatur festzustellen, daß die neue laute Freiheit nur die der Besitzenden ist, dass man nicht als neuer Partner einer Staatengemeinschaft interessant ist, sondern lediglich als neuer Markt; und dass die eigenen kulturellen Interessen wenig mehr sind als Verfügungsmasse in einem gewaltigen kapitalistischen Spiel.

Durch biographischen Zufall gehöre ich zu den Profiteuren der Weltläufte, doch diese Entwicklungen gehen auch an mir nicht vorbei. Für weniger Begünstigte wurden sie nur früher augenfällig. Zu diesem Thema folgte eine Pointe. Nach dem Treffen, bei dem ich eine Werkstattfassung meines No-Budget-Films Der Schneesturm über Adalbert Stifter vorführte, erfuhr ich, dass ich wichtige Musikrechte für diesen Film nicht bekomme.

Hintergrund: Die Nutzungsrechte meiner 30 alten Einspielungen liegen inzwischen beim amerikanischen Konzern Warnermusic, der en gros alte Labels aufgesaugt hat und jetzt auf einem Berg von Einspielungen sitzt, die er organisatorisch nicht betreuen kann. Die von mir gewünschten Musiker sind dort nicht mal gelistet. Warnermusic lizensiert nur noch kommerzielle Filme, weil die Verwaltungskosten so viel höher sind als die Tantiemen. Eine maligne Fehlentwicklung: Leistungsschutzrechte wurden erfunden, um ausübende Musiker vor Ausbeutung zu schützen und ihr Erbe zu verwalten. Jetzt liegen die Musiker unter einer Krake begraben. Das deutsch-tschechische Autorentreffen ergab auch einen Schnappschuss auf zentraleuropäische Kultur zu Zeiten eines enthemmten Kommerzialismus.