Logen-Blog [533]: Schluss des Schlusses: Matzdorff oder Der Verleger
So hören sich erlösende Worte an:
Am Tage nach dem Schaltjahr war das letzte Blatt meines Romans geboren, dessen Bildung ein Jahr dauerte. Dazwischen revidierte ich den Wuz wieder.
Am 29. Februar 1792 konnte Jean Paul diese Sätze notieren, am 7. Juni schnürte er das Manuskript seines Romans zusammen und schickte es nach Berlin: an Karl Philipp Moritz.
Moritz (den wir hier in einer von Sintzenich gestochenen Graphik sehen) reagierte begeistert – dass sich hier ein in der Provinz sitzender, noch völlig unbekannter Autor derart äußern konnte, erschien wie ein Wunder. Wie aber wäre die Geschichte ausgegangen, hätte er nicht einen Schwager gehabt, der zufällig einen Verlag besaß und sich darauf einließ, den Roman zu drucken? Was wäre überhaupt ein Autor, gäbe es nicht jemanden, der sein Manuskript setzen lässt und veröffentlicht? „Der Verleger ist oft in noch viel entscheidenderem Maße als der Autor selbst für den Erfolg oder Misserfolg eines Buches bestimmend“, schrieb Georg Wilhelm Meister (Bayreuth) 1965 in einer Studie über Jean Pauls Verleger Matzdorff. Hat sich seit damals die Situation geändert?
Carl August Matzdorff also! Als er sich entschloss, den Roman in seinen Verlag zu nehmen, besaß er gerade seit zwei Jahren sein Geschäft in seiner Heimatstadt Berlin[1], nachdem er in Gotha die Meisterregeln seines Fachs, wie der andere große Bayreuther gesagt hätte, gelernt hatte. Matzdorff und Moritz wurden nicht von der Vielfalt des Romans abgestoßen, im Gegenteil: sie hätten mit Jean Paul sagen können:
Wenn ich lese Cervantes, so denk ich: es ist fast kindisch, Regeln zu geben, da, wo alles über Regeln und Erratungen hinaus geht und nur das Genie Regeln geben kann, die es selber erfüllt. Auch gibt kein Genie ein zweites. [2]
Die Loge sollte nicht das letzte Werk des noch einigermaßen jungen Dichters sein, dessen Romane und Erzählungen in Berlin von einem Mann verlegt wurden, der nur zwei Jahre älter war als der Autor selbst. Matzdorff gab, da die Loge beim Lesepublikum ankam, noch den Hesperus und, da dieses Werk den absoluten öffentlichen Durchbruch Jean Pauls markierte, dessen zweite Auflage heraus. Damit nicht genug: es folgten die Biographischen Belustigungen, der Siebenkäs, der Titan und dessen Komischer Anhang. Dass Jean Paul 1800 nach Berlin zog, war, wenn nicht alles täuscht, der Beziehung zu seinem Verleger geschuldet.
War es also eine gute Beziehung, die im Haus An der Stechbahn gestiftet wurde? Ja – denn Matzdorff hat Jean Paul ein knappes Jahrzehnt, also das Jahrzehnt des frühen Ruhms, geschäftlich ermöglicht. Nein – weil Jean Paul sich, obwohl er mit der Familie freundschaftlich verbunden war (was die Patenschaft einer Tochter des Verlegers im Jahre 1796 bezeugt), zwingen musste, das von Matzdorff angebotene „Du“ zu akzeptieren: Ihretwegen sag' ich deinetwegen, lautet in Jean Pauls Berliner Jahr die doppeldeutige wie unfreundliche Formel. Zudem war der Titan bereits kein Erfolg mehr. Für dieses schwergängige Werk hatte der Autor übrigens die Summe von 5 Louisdor pro Bogen erhalten. Die Ziffer sagt über Matzdorffs Dankbarkeit gegenüber seinem Autor mehr aus als über Jean Pauls Undankbarkeit gegenüber einem Herren, der ihm – so seine Empfindung – mit platter Eitelkeit entgegen kam. Jean Paul mochte es nicht, in Matzdorffs Salon an der Stechbahn von den Gelehrten als literarisches Wundertier bestaunt zu werden. Wie in Weimar bedauerte er es, seine Zeit bei Soireen und nicht am Schreibtisch zu verbringen, doch hat der heutige Betrachter den Eindruck, dass Jean Paul sich in diesem schwachen Punkt nicht gerade sonderlich stark verhielt.
Der Titan sollte das letzte gemeinsame Projekt sein; das Monstrum florierte nicht mehr. 1809 war es auch mit dem Verlag aus, den Matzdorff samt allen Beständen – auch der Druckrechte an den Werken Jean Pauls – an Georg Andreas Reimer abgab. Aus dem ehemaligen, vielleicht insgesamt nicht sonderlich engagierten Verleger wurde nun der Inhaber einer Lotterieeinnahmestelle der Preußischen Zahlenlotterie. Es blieb beim Geldgeschäft, das er, wie den Buchhandel, vom Vater übernehmen konnte. Etwa in dieser Zeit hielt Friedrich Wilhelm Herbig sein Äußeres im Gemälde fest, bevor Gustav Adolf Knoll das Porträt lithographierte.
Als der Kommerzienrat und Lotterieeinnehmer Carl August Matzdorff schließlich 1839 im zarten Alter von 74 Jahren das Zeitliche segnete, starb damit ein Mann, der fast 50 Jahre zuvor dafür gesorgt hatte, den unbekannten Dichter bekannt zu machen. Mag sein, dass er nicht zu den „großen“ Verlegern gehörte. Die Tatsache, dass er den schwierigen Autor jahrelang zum Druck beförderte, garantiert ihm einen Ehrenplatz in der Geschichte Jean Pauls.
Schluss des Schlusses
Zum Druck befördert?
Der Autor hat es schon öfters betont und gefragt: Was wären die Autoren – die großen und die kleinen, allesamt – ohne die Drucker?
Hier also endet unser Weg: in Berlin, in der ehemaligen Zimmerstraße No. 29, beim Drucker G. Hayn – denn ohne die fleißigen Setzer hätte Die unsichtbare Loge niemals das Licht der Lesewelt erblickt. Womit, aber das nur nebenbei, der Blogger, der aus Berlin kommt, wo Jean Paul den ersten verlegerischen Erfolg hatte, noch einmal und nun zum letzten Mal nach München zurückgibt, wo dieses Blog – nein, nicht gedruckt, aber gepostet wird, was aufs Selbe herauskommt. Der Weg war lang, er dauerte länger, als Jean Paul für die Niederschrift seines Romanerstlings brauchte, aber es war auch ein schöner Weg: vielfältig und überraschend wie das Werk selbst, ein Großesganzes, zusammengesetzt aus Fragmenten, keine geborne Ruine, aber ein Blog mit der Tendenz zum Unabgeschlossenen: zwischen Moskau und Madrid, St. Petersburg und Putbus, Berlin und Bamberg, Münchberg und nicht zuletzt München[3] ist die Welt sehr groß und sehr weit – so wie Die unsichtbare Loge, der dieses Blog letzten Endes seine Existenz verdankt.
Letzten Endes. Es ist genug, meine Freunde. Wir nehmen Abschied von Gustav, dem Seltsamen, von der schönen Beata, vom klugen Dr. Fenk und vom traurigen Ottomar, nicht zuletzt vom aufmerksamen, scharfsichtigen wie leidenschaftlichen „Jean Paul“. Vom Fürsten und der Bouse, auch von Amandus und Ernestine und dem Rittmeister haben wir ja schon längst Abschied genommen. Lebt wohl, Ihr Traumgestalten, lebt wohl, es war eine gute Zeit, nun seid auch Ihr wieder frei. Es ist genug, meine Freunde – es ist 9 Uhr 50, der Stundenzeiger wird gleich auf eine neue Stunde springen....
Frank Piontek, Bayreuth, 22.12. 2014
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[1] Die Familie stammte übrigens aus Stettin – so wie, aber das ist nur ein Zufall, die Großmutter mütterlicherseits dessen, der diese Fußnote gerade schreibt.
[2] Wir nehmen hiermit auch Abschied von den Fußnoten: Jean Paul notierte diesen Gedanken 1812 in seinen Gedanken (Nr. 198/200).
[3] Es hilft nichts, der Blogger muss sich bedanken: Beim Bayerischen Literaturportal der Bayerischen Staatsbibliothek: zumal dem Direktor dieser Institution und seinen beiden Redakteuren, die das langwierige wie ungewöhnliche Unternehmen zusammen mit dem Autor begannen und mit größter Geduld an ein schönes Ende führten. Merci bien, muchas gracias, Спасибо – mit einem Wort: Danke.
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So hören sich erlösende Worte an:
Am Tage nach dem Schaltjahr war das letzte Blatt meines Romans geboren, dessen Bildung ein Jahr dauerte. Dazwischen revidierte ich den Wuz wieder.
Am 29. Februar 1792 konnte Jean Paul diese Sätze notieren, am 7. Juni schnürte er das Manuskript seines Romans zusammen und schickte es nach Berlin: an Karl Philipp Moritz.
Moritz (den wir hier in einer von Sintzenich gestochenen Graphik sehen) reagierte begeistert – dass sich hier ein in der Provinz sitzender, noch völlig unbekannter Autor derart äußern konnte, erschien wie ein Wunder. Wie aber wäre die Geschichte ausgegangen, hätte er nicht einen Schwager gehabt, der zufällig einen Verlag besaß und sich darauf einließ, den Roman zu drucken? Was wäre überhaupt ein Autor, gäbe es nicht jemanden, der sein Manuskript setzen lässt und veröffentlicht? „Der Verleger ist oft in noch viel entscheidenderem Maße als der Autor selbst für den Erfolg oder Misserfolg eines Buches bestimmend“, schrieb Georg Wilhelm Meister (Bayreuth) 1965 in einer Studie über Jean Pauls Verleger Matzdorff. Hat sich seit damals die Situation geändert?
Carl August Matzdorff also! Als er sich entschloss, den Roman in seinen Verlag zu nehmen, besaß er gerade seit zwei Jahren sein Geschäft in seiner Heimatstadt Berlin[1], nachdem er in Gotha die Meisterregeln seines Fachs, wie der andere große Bayreuther gesagt hätte, gelernt hatte. Matzdorff und Moritz wurden nicht von der Vielfalt des Romans abgestoßen, im Gegenteil: sie hätten mit Jean Paul sagen können:
Wenn ich lese Cervantes, so denk ich: es ist fast kindisch, Regeln zu geben, da, wo alles über Regeln und Erratungen hinaus geht und nur das Genie Regeln geben kann, die es selber erfüllt. Auch gibt kein Genie ein zweites. [2]
Die Loge sollte nicht das letzte Werk des noch einigermaßen jungen Dichters sein, dessen Romane und Erzählungen in Berlin von einem Mann verlegt wurden, der nur zwei Jahre älter war als der Autor selbst. Matzdorff gab, da die Loge beim Lesepublikum ankam, noch den Hesperus und, da dieses Werk den absoluten öffentlichen Durchbruch Jean Pauls markierte, dessen zweite Auflage heraus. Damit nicht genug: es folgten die Biographischen Belustigungen, der Siebenkäs, der Titan und dessen Komischer Anhang. Dass Jean Paul 1800 nach Berlin zog, war, wenn nicht alles täuscht, der Beziehung zu seinem Verleger geschuldet.
War es also eine gute Beziehung, die im Haus An der Stechbahn gestiftet wurde? Ja – denn Matzdorff hat Jean Paul ein knappes Jahrzehnt, also das Jahrzehnt des frühen Ruhms, geschäftlich ermöglicht. Nein – weil Jean Paul sich, obwohl er mit der Familie freundschaftlich verbunden war (was die Patenschaft einer Tochter des Verlegers im Jahre 1796 bezeugt), zwingen musste, das von Matzdorff angebotene „Du“ zu akzeptieren: Ihretwegen sag' ich deinetwegen, lautet in Jean Pauls Berliner Jahr die doppeldeutige wie unfreundliche Formel. Zudem war der Titan bereits kein Erfolg mehr. Für dieses schwergängige Werk hatte der Autor übrigens die Summe von 5 Louisdor pro Bogen erhalten. Die Ziffer sagt über Matzdorffs Dankbarkeit gegenüber seinem Autor mehr aus als über Jean Pauls Undankbarkeit gegenüber einem Herren, der ihm – so seine Empfindung – mit platter Eitelkeit entgegen kam. Jean Paul mochte es nicht, in Matzdorffs Salon an der Stechbahn von den Gelehrten als literarisches Wundertier bestaunt zu werden. Wie in Weimar bedauerte er es, seine Zeit bei Soireen und nicht am Schreibtisch zu verbringen, doch hat der heutige Betrachter den Eindruck, dass Jean Paul sich in diesem schwachen Punkt nicht gerade sonderlich stark verhielt.
Der Titan sollte das letzte gemeinsame Projekt sein; das Monstrum florierte nicht mehr. 1809 war es auch mit dem Verlag aus, den Matzdorff samt allen Beständen – auch der Druckrechte an den Werken Jean Pauls – an Georg Andreas Reimer abgab. Aus dem ehemaligen, vielleicht insgesamt nicht sonderlich engagierten Verleger wurde nun der Inhaber einer Lotterieeinnahmestelle der Preußischen Zahlenlotterie. Es blieb beim Geldgeschäft, das er, wie den Buchhandel, vom Vater übernehmen konnte. Etwa in dieser Zeit hielt Friedrich Wilhelm Herbig sein Äußeres im Gemälde fest, bevor Gustav Adolf Knoll das Porträt lithographierte.
Als der Kommerzienrat und Lotterieeinnehmer Carl August Matzdorff schließlich 1839 im zarten Alter von 74 Jahren das Zeitliche segnete, starb damit ein Mann, der fast 50 Jahre zuvor dafür gesorgt hatte, den unbekannten Dichter bekannt zu machen. Mag sein, dass er nicht zu den „großen“ Verlegern gehörte. Die Tatsache, dass er den schwierigen Autor jahrelang zum Druck beförderte, garantiert ihm einen Ehrenplatz in der Geschichte Jean Pauls.
Schluss des Schlusses
Zum Druck befördert?
Der Autor hat es schon öfters betont und gefragt: Was wären die Autoren – die großen und die kleinen, allesamt – ohne die Drucker?
Hier also endet unser Weg: in Berlin, in der ehemaligen Zimmerstraße No. 29, beim Drucker G. Hayn – denn ohne die fleißigen Setzer hätte Die unsichtbare Loge niemals das Licht der Lesewelt erblickt. Womit, aber das nur nebenbei, der Blogger, der aus Berlin kommt, wo Jean Paul den ersten verlegerischen Erfolg hatte, noch einmal und nun zum letzten Mal nach München zurückgibt, wo dieses Blog – nein, nicht gedruckt, aber gepostet wird, was aufs Selbe herauskommt. Der Weg war lang, er dauerte länger, als Jean Paul für die Niederschrift seines Romanerstlings brauchte, aber es war auch ein schöner Weg: vielfältig und überraschend wie das Werk selbst, ein Großesganzes, zusammengesetzt aus Fragmenten, keine geborne Ruine, aber ein Blog mit der Tendenz zum Unabgeschlossenen: zwischen Moskau und Madrid, St. Petersburg und Putbus, Berlin und Bamberg, Münchberg und nicht zuletzt München[3] ist die Welt sehr groß und sehr weit – so wie Die unsichtbare Loge, der dieses Blog letzten Endes seine Existenz verdankt.
Letzten Endes. Es ist genug, meine Freunde. Wir nehmen Abschied von Gustav, dem Seltsamen, von der schönen Beata, vom klugen Dr. Fenk und vom traurigen Ottomar, nicht zuletzt vom aufmerksamen, scharfsichtigen wie leidenschaftlichen „Jean Paul“. Vom Fürsten und der Bouse, auch von Amandus und Ernestine und dem Rittmeister haben wir ja schon längst Abschied genommen. Lebt wohl, Ihr Traumgestalten, lebt wohl, es war eine gute Zeit, nun seid auch Ihr wieder frei. Es ist genug, meine Freunde – es ist 9 Uhr 50, der Stundenzeiger wird gleich auf eine neue Stunde springen....
Frank Piontek, Bayreuth, 22.12. 2014
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[1] Die Familie stammte übrigens aus Stettin – so wie, aber das ist nur ein Zufall, die Großmutter mütterlicherseits dessen, der diese Fußnote gerade schreibt.
[2] Wir nehmen hiermit auch Abschied von den Fußnoten: Jean Paul notierte diesen Gedanken 1812 in seinen Gedanken (Nr. 198/200).
[3] Es hilft nichts, der Blogger muss sich bedanken: Beim Bayerischen Literaturportal der Bayerischen Staatsbibliothek: zumal dem Direktor dieser Institution und seinen beiden Redakteuren, die das langwierige wie ungewöhnliche Unternehmen zusammen mit dem Autor begannen und mit größter Geduld an ein schönes Ende führten. Merci bien, muchas gracias, Спасибо – mit einem Wort: Danke.