Logen-Blog [512]: Berlinisch Kraut II
Und weiter die Potsdamer ruff. Die Beene inne Hand jenomm, wie der Berliner sagen würde.
Der Reisende ist zufällig Berliner.
Am Ende, auf der rechten Seite gegenüber der Nationalgalerie, steht heute die Staatsbibliothek (in der, der Leser erinnert sich, der Blogger einst tief in die Grimmschränke griff, um die Märchenhandschriften zu studieren).
Wir befinden uns auf hochliterarischem Gebiet – denn genau hier befand sich, in der alten Potsdamer Straße 134c, das Johanniter-Haus, in das der Jean-Paul-und Kritiker Theodor Fontane am 3. Oktober 1872 einzog: 65 Stufen hoch:
Zuletzt dann vorbei an der Bismarckpforte
Kehr‘ heim ich zu meinem alten Orte,
Zu meiner alten Dreitreppenklause,
Hoch im Johanniterhause. –
Schon seh‘ ich grüßen, schon hör‘ ich rufen –
Aber noch fünfundsechzig Stufen!
Womit wir uns schon dem nächsten Jean-Paul-Leser mit Riesenschritten nähern: dem einzigen
Eichendorff
Eichendorff lebte öfters in Berlin. Zum ersten Mal sehen wir ihn im Winter 1809/10 in der Stadt. Da er seit 1831 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Ministerium des Auswärtigen tätig war, später als Kirchen- und Schulrat amtierte, wohnte er zunächst mit Frau Luise und drei Kindern in der Potsdamer Straße 41, der heutigen Nr. 102: ein einsames Häuschen, in dem sich seine Frau vor Räuber und Mördern fürchtete – aber man freundete sich doch auch, beispielsweise, mit Mendelssohn-Bartholdy an. 1839 zog man um: in die Bellevuestraße 7, von wo aus er ein Gartenhaus Am Karlsbad 4 mietete, also wiederum ganz in der Nähe der heutigen Staatsbibliothek. 1841 – da war er gerade zum Geheimen Regierungsrat im Kultusministerium ernannt worden – ging es in die Tiergartenstraße 5. An all diese räumlichen Beziehungen erinnert heute ein Straßenname, der erst nach dem Mauerfall möglich wurde – ein Name, der den Reisenden so bewegt, dass er flugs ein Gedicht schreibt.
Eichendorff-Gasse Ecke Alte Potsdamer Straße
Genius loci, loci Genius,
hast du was dann bist du was.
Taugenichts auf Wanderschaft,
graue Steine, roter Sand
geht durch Gassen, geht durch Schluchten
Wind, er weht die Blätter fort.Steinern, eisern, Weihnachtsstroh
und die roten Schilder blühn.
Kleiner Mokka – Hallo Fräulein,
kurz: da schimmert es, das Glück,
Ecke Eichendorff und Alte
Straße, die nach Potsdam führt.
Weltstadt? Ach, ach je, du sitzt jetzt hier
wartend, wartend, immer wartend,
laufend dann ins kleine Glück.
Herz, was willst du mehr auf Reisen
in die Heimat – nicht zurück.
Potsdamer Platz, 16.11. 2014, 10.25
Mit dem letzten Berliner Quartier aber kommen wir in die allernächste Nähe zu Jean Paul. 1847 ließ er sich nämlich dort nieder, wo ein knappes halbes Jahrhundert zuvor der ältere Dichter gewohnt hatte: der Neuen Friedrichstraße, also der heutigen Littenstraße, damals No. 14–17. Hier lebte er zur Untermiete, nämlich bei seinem Schwiegersohn, dem Hauptmann des Kgl. Kadettenkorps Ludwig Besserer von Dahlfingen. Man wohnte in der Dienstwohnung gegenüber der Klosterkirche, die wir schon betreten haben; heute befindet sich auf dem Gelände das ehemalige Land- und Amtsgericht.
So sah 1797 vermutlich (wenn wir der Kunst der Malerin Maria Anna Bürck glauben wollen) der junge, neunjährige Graf von Eichendorff aus: zurückhaltend, doch aufmerksam den Betrachter und die Welt betrachtend. Jean Paul hat gerade den Siebenkäs abgeschlossen, er arbeitet am Kampanerthal und reist zu seiner Verlobten nach Franzensbad. Die Eichendorffs sitzen im schlesischen Lubowitz; später wird sich Eichendorff mit zärtlich-hellsichtiger Ironie an die Jugendjahre und an den alten Adel erinnern, der sich den Nachwirkungen der Revolution ausgesetzt sieht, die auch das Gemüt Gustavs von Falkenberg berühren.
In seiner berühmtesten und geliebtesten Erzählung wird Eichendorff den Dichter Jean Paul persiflieren: kurz nach dem Tode des Bayreuthers konnten die Leser da gleich im ersten Kapitel von einem ausgesprochenen Enthusiasten lesen, der schwer schwadroniert: „Ein Volkslied, gesungen vom Volk in freiem Feld und Wald, ist ein Alpenröslein auf der Alpe selbst – die Wunderhörner sind nur Herbarien –, ist die Seele der Nationalseele.“
Dass es sich beim Schwadronierer, dem der Jean Paul zu Kopf gestiegen ist, um einen „sehr zierlichen, jungen Herrn“ handelt, mag der zweite Witz in dieser Anspielung sein. Weit ernsthafter ging es mit Eichendorffs Jean-Paul-Ansichten weiter, als er 1845/46 seine Ansichten zur Geschichte der neuern romantischen Poesie fixierte, und 1851, im Kapitel über die „Humanitätsreligion“, den Deutschen Roman betrachtete, wo er sich seitenlang Jean Pauls Kunst widmete und ihn ausgesprochen lobte.
Der geneigte Leser bemerke insbesondere die Erwähnung unseres Romans in der Geschichte der neuern romantischen Poesie:
Man könnte zwar in gewissem Sinne Jean Paul schon zu den Romantikern zählen; und doch stellt eben das, wodurch er sich von der Romantik wieder unterscheidet, das Wesen der letzteren erst recht klar heraus. Auch Jean Pauls Poesie nämlich ist eine Poesie der Zukunft, der Erwartung, und die Veredlung des Menschengeschlechts durch den wiedererweckten Glauben an eine höhere, unsichtbare Welt das Grundthema aller seiner Romane, wie es der in seiner Unsichtbaren Loge entworfene Erziehungs- und Bildungsplan am deutlichsten ausspricht. Es ist eine Art poetischer Asketik, das Irdische nichtig: „Was anderes als versteinerte Blüten eines Klima, das auf dieser Erde nicht ist, graben wir aus unserer Phantasie aus, so wie man in unserem Norden versteinerte Palmbäume aus der Erde holt.“ – Der Mensch kann und soll daher die Scholle brechen und, aus sich selber emporpfeilernd, in das überirdische Jenseits hineinragen. – Fragen wir aber nach Grund und Trieb dieses übernatürlichen Wuchses, so werden wir mit dem Emporschwingen an das gewiesen, was eben emporgeschwungen werden soll, Münchhausen vergleichbar, der sich selbst einst am eigenen Zopfe aus dem Sumpfe zog. [...]
Das Prinzip also ist es, was Jean Paul durchaus von den Romantikern scheidet; diese meinten das lebendige Christentum, Jean Paul eine abstrakte Religion der Humanität; jene wollten Kunst, Wissenschaft und Leben durch den positiven Inhalt der Religion restaurieren, Jean Paul dagegen alles in ein unbestimmtes Übermenschliche, das aber doch der Mensch wieder sich selbst machen sollte, verflüchtigen und verhimmeln. Daher bei ihm – weil der feste Goldgrund fehlt, der die irdischen Bilder kräftig abhebt – das Abgerissene, Unzureichende, Verschwommene seiner Wirklichkeit, wie seiner Ideale: weltumarmende, himmelstürmende Jünglinge, verblasste, ätherisch-durchsichtige, mondscheinwüchsige Jungfraugestalten und jene weinerliche Sentimentalität, aus der sich der Poet, eben weil er ein echter Dichter ist, von Zeit zu Zeit durch humoristische Luftsprünge oder auf den mächtigen Schwingen seiner Träume zu retten sucht.
Man sieht: Eichendorff war eher ein skeptischer Jeanpaulianer, der im Dichter den Träumer einer Metaphysik am literarischen Werk sah, die selbst ihm, dem gläubigen Katholiken, zunächst zu weit ging. Eichendorff hatte es immer vermocht, in seinen nichtreligiösen Dichtungen religiöse Inhalte derart unterzubringen, dass es Aufgabe des Lesers sein muss, den transzendenten Gehalt zu erspüren. Man nennt so etwas, glaube ich, subtil. Der Vorwurf an den Epiker, dass dieser ein überirdisches Jenseits anpeilte, ohne mehr als sentimentbehaftete, unscharfe Gestalten, versuchsweise Humoristik und Traumgebilde zu liefern, geht wohl fehl, doch hat er Recht: weltumarmende, himmelstürmende Jünglinge, verblasste, ätherisch-durchsichtige, mondscheinwüchsige Jungfraugestalten gibt es zweifellos bei Jean Paul. Doch gibt es auch andere, prägende Gestalten, die den Gustavs und Beatas schwer widersprechen: die Siebenkäse, Fenks und Katzenbergers, die Theodas, Fixleins und Wutzens. Sie sind gewiss nicht die Kinder humoristischer Luftsprünge, die den sentimentalen Gestalten nur deshalb entgegentreten, um das Gefühl der schweren Jenseitssehnsucht vom Leser zu nehmen. Sie leben ganz aus eigenem Recht.
Es ist nicht begreifbar, wieso der kluge und sensible Eichendorff das 1845 noch nicht gesehen hat. Vermutlich waren ihm Fenk und Hoppedizel zu derb. Vielleicht war er selbst zu katholisch, um das „Katholische“ – wörtlich: das ὅλον hólon, das Ganze – bei Jean Paul akzeptieren zu können, obwohl er doch selbst dieses „Ganze“ in seinem Taugenichts mit seinen gesamten Kontrasten beschrieben hatte.
Vielleicht war ihm nur nicht geheuer, dass dieses Ganze nicht auf ein einziges Ziel hin aufgelöst werden kann, und dass der Humor, den Jean Paul bisweilen derb ins Weltspiel bringt, seiner eigenen Zurückhaltung – die so wunderbare Werke provozierte – so gar nicht entspricht. Im Deutschen Roman aber klingt es anders, wärmer, verständnisvoller. Man kann das alles nachlesen – auch in Berlin, im Lesesaal der Staatsbibliothek.
Eine echte Lady der frühen Eichendorff- und Logen-Zeit: Lady Sunderlin, eine Art Beata, gemalt von Joshua Reynolds, hängend in der Gemäldegalerie in Berlin, nur ein paar Meter von Fontanes und Eichendorffs Berliner Wohnungen entfernt.
Logen-Blog [512]: Berlinisch Kraut II>
Und weiter die Potsdamer ruff. Die Beene inne Hand jenomm, wie der Berliner sagen würde.
Der Reisende ist zufällig Berliner.
Am Ende, auf der rechten Seite gegenüber der Nationalgalerie, steht heute die Staatsbibliothek (in der, der Leser erinnert sich, der Blogger einst tief in die Grimmschränke griff, um die Märchenhandschriften zu studieren).
Wir befinden uns auf hochliterarischem Gebiet – denn genau hier befand sich, in der alten Potsdamer Straße 134c, das Johanniter-Haus, in das der Jean-Paul-und Kritiker Theodor Fontane am 3. Oktober 1872 einzog: 65 Stufen hoch:
Zuletzt dann vorbei an der Bismarckpforte
Kehr‘ heim ich zu meinem alten Orte,
Zu meiner alten Dreitreppenklause,
Hoch im Johanniterhause. –
Schon seh‘ ich grüßen, schon hör‘ ich rufen –
Aber noch fünfundsechzig Stufen!
Womit wir uns schon dem nächsten Jean-Paul-Leser mit Riesenschritten nähern: dem einzigen
Eichendorff
Eichendorff lebte öfters in Berlin. Zum ersten Mal sehen wir ihn im Winter 1809/10 in der Stadt. Da er seit 1831 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Ministerium des Auswärtigen tätig war, später als Kirchen- und Schulrat amtierte, wohnte er zunächst mit Frau Luise und drei Kindern in der Potsdamer Straße 41, der heutigen Nr. 102: ein einsames Häuschen, in dem sich seine Frau vor Räuber und Mördern fürchtete – aber man freundete sich doch auch, beispielsweise, mit Mendelssohn-Bartholdy an. 1839 zog man um: in die Bellevuestraße 7, von wo aus er ein Gartenhaus Am Karlsbad 4 mietete, also wiederum ganz in der Nähe der heutigen Staatsbibliothek. 1841 – da war er gerade zum Geheimen Regierungsrat im Kultusministerium ernannt worden – ging es in die Tiergartenstraße 5. An all diese räumlichen Beziehungen erinnert heute ein Straßenname, der erst nach dem Mauerfall möglich wurde – ein Name, der den Reisenden so bewegt, dass er flugs ein Gedicht schreibt.
Eichendorff-Gasse Ecke Alte Potsdamer Straße
Genius loci, loci Genius,
hast du was dann bist du was.
Taugenichts auf Wanderschaft,
graue Steine, roter Sand
geht durch Gassen, geht durch Schluchten
Wind, er weht die Blätter fort.Steinern, eisern, Weihnachtsstroh
und die roten Schilder blühn.
Kleiner Mokka – Hallo Fräulein,
kurz: da schimmert es, das Glück,
Ecke Eichendorff und Alte
Straße, die nach Potsdam führt.
Weltstadt? Ach, ach je, du sitzt jetzt hier
wartend, wartend, immer wartend,
laufend dann ins kleine Glück.
Herz, was willst du mehr auf Reisen
in die Heimat – nicht zurück.
Potsdamer Platz, 16.11. 2014, 10.25
Mit dem letzten Berliner Quartier aber kommen wir in die allernächste Nähe zu Jean Paul. 1847 ließ er sich nämlich dort nieder, wo ein knappes halbes Jahrhundert zuvor der ältere Dichter gewohnt hatte: der Neuen Friedrichstraße, also der heutigen Littenstraße, damals No. 14–17. Hier lebte er zur Untermiete, nämlich bei seinem Schwiegersohn, dem Hauptmann des Kgl. Kadettenkorps Ludwig Besserer von Dahlfingen. Man wohnte in der Dienstwohnung gegenüber der Klosterkirche, die wir schon betreten haben; heute befindet sich auf dem Gelände das ehemalige Land- und Amtsgericht.
So sah 1797 vermutlich (wenn wir der Kunst der Malerin Maria Anna Bürck glauben wollen) der junge, neunjährige Graf von Eichendorff aus: zurückhaltend, doch aufmerksam den Betrachter und die Welt betrachtend. Jean Paul hat gerade den Siebenkäs abgeschlossen, er arbeitet am Kampanerthal und reist zu seiner Verlobten nach Franzensbad. Die Eichendorffs sitzen im schlesischen Lubowitz; später wird sich Eichendorff mit zärtlich-hellsichtiger Ironie an die Jugendjahre und an den alten Adel erinnern, der sich den Nachwirkungen der Revolution ausgesetzt sieht, die auch das Gemüt Gustavs von Falkenberg berühren.
In seiner berühmtesten und geliebtesten Erzählung wird Eichendorff den Dichter Jean Paul persiflieren: kurz nach dem Tode des Bayreuthers konnten die Leser da gleich im ersten Kapitel von einem ausgesprochenen Enthusiasten lesen, der schwer schwadroniert: „Ein Volkslied, gesungen vom Volk in freiem Feld und Wald, ist ein Alpenröslein auf der Alpe selbst – die Wunderhörner sind nur Herbarien –, ist die Seele der Nationalseele.“
Dass es sich beim Schwadronierer, dem der Jean Paul zu Kopf gestiegen ist, um einen „sehr zierlichen, jungen Herrn“ handelt, mag der zweite Witz in dieser Anspielung sein. Weit ernsthafter ging es mit Eichendorffs Jean-Paul-Ansichten weiter, als er 1845/46 seine Ansichten zur Geschichte der neuern romantischen Poesie fixierte, und 1851, im Kapitel über die „Humanitätsreligion“, den Deutschen Roman betrachtete, wo er sich seitenlang Jean Pauls Kunst widmete und ihn ausgesprochen lobte.
Der geneigte Leser bemerke insbesondere die Erwähnung unseres Romans in der Geschichte der neuern romantischen Poesie:
Man könnte zwar in gewissem Sinne Jean Paul schon zu den Romantikern zählen; und doch stellt eben das, wodurch er sich von der Romantik wieder unterscheidet, das Wesen der letzteren erst recht klar heraus. Auch Jean Pauls Poesie nämlich ist eine Poesie der Zukunft, der Erwartung, und die Veredlung des Menschengeschlechts durch den wiedererweckten Glauben an eine höhere, unsichtbare Welt das Grundthema aller seiner Romane, wie es der in seiner Unsichtbaren Loge entworfene Erziehungs- und Bildungsplan am deutlichsten ausspricht. Es ist eine Art poetischer Asketik, das Irdische nichtig: „Was anderes als versteinerte Blüten eines Klima, das auf dieser Erde nicht ist, graben wir aus unserer Phantasie aus, so wie man in unserem Norden versteinerte Palmbäume aus der Erde holt.“ – Der Mensch kann und soll daher die Scholle brechen und, aus sich selber emporpfeilernd, in das überirdische Jenseits hineinragen. – Fragen wir aber nach Grund und Trieb dieses übernatürlichen Wuchses, so werden wir mit dem Emporschwingen an das gewiesen, was eben emporgeschwungen werden soll, Münchhausen vergleichbar, der sich selbst einst am eigenen Zopfe aus dem Sumpfe zog. [...]
Das Prinzip also ist es, was Jean Paul durchaus von den Romantikern scheidet; diese meinten das lebendige Christentum, Jean Paul eine abstrakte Religion der Humanität; jene wollten Kunst, Wissenschaft und Leben durch den positiven Inhalt der Religion restaurieren, Jean Paul dagegen alles in ein unbestimmtes Übermenschliche, das aber doch der Mensch wieder sich selbst machen sollte, verflüchtigen und verhimmeln. Daher bei ihm – weil der feste Goldgrund fehlt, der die irdischen Bilder kräftig abhebt – das Abgerissene, Unzureichende, Verschwommene seiner Wirklichkeit, wie seiner Ideale: weltumarmende, himmelstürmende Jünglinge, verblasste, ätherisch-durchsichtige, mondscheinwüchsige Jungfraugestalten und jene weinerliche Sentimentalität, aus der sich der Poet, eben weil er ein echter Dichter ist, von Zeit zu Zeit durch humoristische Luftsprünge oder auf den mächtigen Schwingen seiner Träume zu retten sucht.
Man sieht: Eichendorff war eher ein skeptischer Jeanpaulianer, der im Dichter den Träumer einer Metaphysik am literarischen Werk sah, die selbst ihm, dem gläubigen Katholiken, zunächst zu weit ging. Eichendorff hatte es immer vermocht, in seinen nichtreligiösen Dichtungen religiöse Inhalte derart unterzubringen, dass es Aufgabe des Lesers sein muss, den transzendenten Gehalt zu erspüren. Man nennt so etwas, glaube ich, subtil. Der Vorwurf an den Epiker, dass dieser ein überirdisches Jenseits anpeilte, ohne mehr als sentimentbehaftete, unscharfe Gestalten, versuchsweise Humoristik und Traumgebilde zu liefern, geht wohl fehl, doch hat er Recht: weltumarmende, himmelstürmende Jünglinge, verblasste, ätherisch-durchsichtige, mondscheinwüchsige Jungfraugestalten gibt es zweifellos bei Jean Paul. Doch gibt es auch andere, prägende Gestalten, die den Gustavs und Beatas schwer widersprechen: die Siebenkäse, Fenks und Katzenbergers, die Theodas, Fixleins und Wutzens. Sie sind gewiss nicht die Kinder humoristischer Luftsprünge, die den sentimentalen Gestalten nur deshalb entgegentreten, um das Gefühl der schweren Jenseitssehnsucht vom Leser zu nehmen. Sie leben ganz aus eigenem Recht.
Es ist nicht begreifbar, wieso der kluge und sensible Eichendorff das 1845 noch nicht gesehen hat. Vermutlich waren ihm Fenk und Hoppedizel zu derb. Vielleicht war er selbst zu katholisch, um das „Katholische“ – wörtlich: das ὅλον hólon, das Ganze – bei Jean Paul akzeptieren zu können, obwohl er doch selbst dieses „Ganze“ in seinem Taugenichts mit seinen gesamten Kontrasten beschrieben hatte.
Vielleicht war ihm nur nicht geheuer, dass dieses Ganze nicht auf ein einziges Ziel hin aufgelöst werden kann, und dass der Humor, den Jean Paul bisweilen derb ins Weltspiel bringt, seiner eigenen Zurückhaltung – die so wunderbare Werke provozierte – so gar nicht entspricht. Im Deutschen Roman aber klingt es anders, wärmer, verständnisvoller. Man kann das alles nachlesen – auch in Berlin, im Lesesaal der Staatsbibliothek.
Eine echte Lady der frühen Eichendorff- und Logen-Zeit: Lady Sunderlin, eine Art Beata, gemalt von Joshua Reynolds, hängend in der Gemäldegalerie in Berlin, nur ein paar Meter von Fontanes und Eichendorffs Berliner Wohnungen entfernt.