Logen-Blog [507]: Gefallsucht und edelste Gefühle
Ach, das Plänkeln... Der Bruder macht sich Gedanken über Philippines weibliche Tugend, er spottet über jene Damen, die gewiss wie Mailand 40mal wären belagert und 20mal erobert worden, wären sie nicht brav stolz gewesen. „Gefallsucht“ und „edelste Gefühle“, nein, das schließe sich nicht aus etc. etc., wo Mädchen allemal den lieben, den sie am längsten gesprochen, und wo ihr Herz wie ein Magnet das alte Eisen fallen lässet, wenn man ein neues daran bringt.
Und was hat das alles mit Gustav und Beata zu tun? Eine ganze Menge – denn die beiden treuen Seelen markieren so etwas wie das Gegenteil der weiblich-männlichen Schwäche, erobert zu werden oder zu erobern. Sie berührten einander die wunden Stellen wie zwei Stimmflocken. Jean Paul erweist sich wieder als Physiognom der Seele, der in feinsten körperlichen Bewegungen die Gestalt des Innersten auszumachen weiß: dieses zärtliche, schonende, ehrliebende, aufopfernde Ansichhalten.
Also die Tugend selbst – das Gegengift zum höfisch-weltlich-sinnlichen Gefallen: ein Gegensatz, an dem man nicht glücklich werden kann – oder doch? Der Blogger ist sich nicht sicher; seine Unsicherheit gegenüber den tugendhaften Seelenbewegungen unserer beiden Helden wird denn doch vom Erzähler geschürt, der unser Paar, das keines sein will, in ein Lilienbader Gewitter hineinführt. Wenn Gustav und Beata, ausdrücklich in den Himmel versunken, auf einer Terrasse, die den Berg wie einen Gürtel umwindet, der kleinen Gesellschaft voraus gehen, könnte es was zu bedeuten haben, aber vielleicht sollte man den guten Erzähler auch nicht mit metaphysischen Erklärungen symbolisch überfrachten. Es genügt, dass es plötzlich zu pladdern beginnt und sich Gustav und Beata unter Bäume stellen: sie stehen, betont der Erzähler (woher er das nun wieder weiß? Hat es ihm Gustav erzählt? Unsinnige Frage!), sie stehen seit vielen Monaten zum ersten Male wieder einsam nebeneinander.
Es bleiben die Augenblicke unter grünen Blättern: Ihre hoben sich langsam und unverhüllt zu seinen auf und der Mund unter ihnen blieb ruhig und ihre Seele war bei niemand als bei Gott und der Tugend.
Schade: gerade war der Blogger so weit, den Beiden abzunehmen, dass eine vornehme Entsagung vielleicht doch gewisse Probleme lösen könnte – und jetzt kommt ihnen der Autor wieder mit Gott und der Tugend. Eigentlich hält man es nicht aus.
Es ist schwer, heute noch dem Jean Paul der Unsichtbaren Loge gerecht zu werden; man bleibt doch ein ziemlich verweltlichter Leser des frühen 21. Jahrhunderts, dem die völlig säkularisierte Aufklärung und Psychoanalyse und Hirnforschung den letzten Rest an Gott- und Tugendglaube ausgetrieben hat.
Foto: Frank Piontek (Schloss Nymphenburg, Juli 2014)
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Ach, das Plänkeln... Der Bruder macht sich Gedanken über Philippines weibliche Tugend, er spottet über jene Damen, die gewiss wie Mailand 40mal wären belagert und 20mal erobert worden, wären sie nicht brav stolz gewesen. „Gefallsucht“ und „edelste Gefühle“, nein, das schließe sich nicht aus etc. etc., wo Mädchen allemal den lieben, den sie am längsten gesprochen, und wo ihr Herz wie ein Magnet das alte Eisen fallen lässet, wenn man ein neues daran bringt.
Und was hat das alles mit Gustav und Beata zu tun? Eine ganze Menge – denn die beiden treuen Seelen markieren so etwas wie das Gegenteil der weiblich-männlichen Schwäche, erobert zu werden oder zu erobern. Sie berührten einander die wunden Stellen wie zwei Stimmflocken. Jean Paul erweist sich wieder als Physiognom der Seele, der in feinsten körperlichen Bewegungen die Gestalt des Innersten auszumachen weiß: dieses zärtliche, schonende, ehrliebende, aufopfernde Ansichhalten.
Also die Tugend selbst – das Gegengift zum höfisch-weltlich-sinnlichen Gefallen: ein Gegensatz, an dem man nicht glücklich werden kann – oder doch? Der Blogger ist sich nicht sicher; seine Unsicherheit gegenüber den tugendhaften Seelenbewegungen unserer beiden Helden wird denn doch vom Erzähler geschürt, der unser Paar, das keines sein will, in ein Lilienbader Gewitter hineinführt. Wenn Gustav und Beata, ausdrücklich in den Himmel versunken, auf einer Terrasse, die den Berg wie einen Gürtel umwindet, der kleinen Gesellschaft voraus gehen, könnte es was zu bedeuten haben, aber vielleicht sollte man den guten Erzähler auch nicht mit metaphysischen Erklärungen symbolisch überfrachten. Es genügt, dass es plötzlich zu pladdern beginnt und sich Gustav und Beata unter Bäume stellen: sie stehen, betont der Erzähler (woher er das nun wieder weiß? Hat es ihm Gustav erzählt? Unsinnige Frage!), sie stehen seit vielen Monaten zum ersten Male wieder einsam nebeneinander.
Es bleiben die Augenblicke unter grünen Blättern: Ihre hoben sich langsam und unverhüllt zu seinen auf und der Mund unter ihnen blieb ruhig und ihre Seele war bei niemand als bei Gott und der Tugend.
Schade: gerade war der Blogger so weit, den Beiden abzunehmen, dass eine vornehme Entsagung vielleicht doch gewisse Probleme lösen könnte – und jetzt kommt ihnen der Autor wieder mit Gott und der Tugend. Eigentlich hält man es nicht aus.
Es ist schwer, heute noch dem Jean Paul der Unsichtbaren Loge gerecht zu werden; man bleibt doch ein ziemlich verweltlichter Leser des frühen 21. Jahrhunderts, dem die völlig säkularisierte Aufklärung und Psychoanalyse und Hirnforschung den letzten Rest an Gott- und Tugendglaube ausgetrieben hat.
Foto: Frank Piontek (Schloss Nymphenburg, Juli 2014)