Logen-Blog [38]: Über Maschinenlärm und Kinderliebe
Zugegeben: es ist nicht leicht, sich in Jean Pauls poetisch-lyrische Welten zu begeben, „wenn der Abend langsam aus dem Tal sich in die Höhe richtet – wenn die einschlummernde Natur in abgebrochenen Lauten des zu Bette gegangnen Vogels gleichsam noch ein paar Worte im halben Schlafe sagt – wenn das Glockenspiel am Halse der Herde, die unschuldige Blumen der Freude aus Wiesen pflückt, und der eintönige Guckguck und das verwirrte Abendgeräusch die Tasten der leisesten Saiten gedrückt hat“ – und wenn gleichzeitig ein 312er Litronic ab sieben Uhr früh vor der Haustür wütet, Eisenplatten mit dem Baggergreifer verschoben werden, Kies abgeladen wird, der eiserne Arm schwingt und der Motor dröhnt. Die einschlummernde Natur hat es angesichts dieser akustischen Kulisse nicht leicht, sich zur Ruhe zu begeben.
Aber gehört nicht „an sich“ ein gehöriges Stück Imaginationskraft dazu, sich in Jean Pauls Landschaften zu begeben? Unabhängig von jeglichem Stadtlärm? Wer weiß, was er damals hörte, als er am Schwarzenbacher Schreibtisch saß und schrieb. Zänkische Frauen, betrunkene Männer, schreiende Kinder, gackernde Gänse – alles ist möglich, selbst und gerade zur „Sonntagsruhe“.
Worum aber geht’s heute? Um etwas sehr einfaches und sehr schönes; der Dichter beschreibt das auch sehr schön: um die Kinderliebe. Es ist der sanftmütige Ton, der die Gleichzeitigkeit von gegenwärtiger Lust- und zukünftiger Schmerzerfahrung nicht allein in Worte, mehr noch in sensitive Laute fasst: „Und doch gönn' ich dir, winziger Träumer, so sehr diese weiße Sonnenseite deines Lebens an deinem Berge und dein Lamm und dein Auge! Und ich möchte so gern die Tage, die vor dir vorüberlaufen und deinen kleinen Schoß mit Blumen überlegen, zum Stehen bringen, damit der Leichenzug der bewaffneten Tage hinten halten müßte, die deinen Schoß entlauben können – dein Lusthölzchen lichten – dein Lamm stechen – deiner Regina Dienstgeld zur Magd geben!“ Es sind nicht allein die Begriffe, die – zumindest bei mir – eine Rührung auslösen, die über die Zeiten wirkt. Das O-Mensch-Pathos, das doch nichts anderes ist als die wörtlich verstehbare Leidenschaft, steht durchaus an der richtigen Stelle. Jean Paul erweist sich eben nicht als Idylliker einer halbgaren „Romantik“ - er ist ein Pathetiker des Schmerzes, den er, der fast unerfahrene 28jährige Autor, derart zeichnet, als sei das alles schon erlebte Wirklichkeit – und es war und ist seine, und wohl nicht allein: seine Wirklichkeit:
„Du armer Mensch! Wenn der zarte weiße, die ganze Natur überzaubernde Nebel deiner Kinderjahre herunter ist: so bleibst du doch nicht lange in deinem Sonnenlichte, sondern der gefallene Nebel kriecht wieder als dichtere Gewitterwolke unten rings am Blauen herauf, und am Jünglings-Mittage stehest du unter den Blitzen und Schlägen deiner Leidenschaften! – Und abends regnet dein zerschlitzter Himmel noch fort!“
Ich soll die armen Menschen lieben, hatte der Schwarzenbacher Tagebuchschreiber ja geschrieben.
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Zugegeben: es ist nicht leicht, sich in Jean Pauls poetisch-lyrische Welten zu begeben, „wenn der Abend langsam aus dem Tal sich in die Höhe richtet – wenn die einschlummernde Natur in abgebrochenen Lauten des zu Bette gegangnen Vogels gleichsam noch ein paar Worte im halben Schlafe sagt – wenn das Glockenspiel am Halse der Herde, die unschuldige Blumen der Freude aus Wiesen pflückt, und der eintönige Guckguck und das verwirrte Abendgeräusch die Tasten der leisesten Saiten gedrückt hat“ – und wenn gleichzeitig ein 312er Litronic ab sieben Uhr früh vor der Haustür wütet, Eisenplatten mit dem Baggergreifer verschoben werden, Kies abgeladen wird, der eiserne Arm schwingt und der Motor dröhnt. Die einschlummernde Natur hat es angesichts dieser akustischen Kulisse nicht leicht, sich zur Ruhe zu begeben.
Aber gehört nicht „an sich“ ein gehöriges Stück Imaginationskraft dazu, sich in Jean Pauls Landschaften zu begeben? Unabhängig von jeglichem Stadtlärm? Wer weiß, was er damals hörte, als er am Schwarzenbacher Schreibtisch saß und schrieb. Zänkische Frauen, betrunkene Männer, schreiende Kinder, gackernde Gänse – alles ist möglich, selbst und gerade zur „Sonntagsruhe“.
Worum aber geht’s heute? Um etwas sehr einfaches und sehr schönes; der Dichter beschreibt das auch sehr schön: um die Kinderliebe. Es ist der sanftmütige Ton, der die Gleichzeitigkeit von gegenwärtiger Lust- und zukünftiger Schmerzerfahrung nicht allein in Worte, mehr noch in sensitive Laute fasst: „Und doch gönn' ich dir, winziger Träumer, so sehr diese weiße Sonnenseite deines Lebens an deinem Berge und dein Lamm und dein Auge! Und ich möchte so gern die Tage, die vor dir vorüberlaufen und deinen kleinen Schoß mit Blumen überlegen, zum Stehen bringen, damit der Leichenzug der bewaffneten Tage hinten halten müßte, die deinen Schoß entlauben können – dein Lusthölzchen lichten – dein Lamm stechen – deiner Regina Dienstgeld zur Magd geben!“ Es sind nicht allein die Begriffe, die – zumindest bei mir – eine Rührung auslösen, die über die Zeiten wirkt. Das O-Mensch-Pathos, das doch nichts anderes ist als die wörtlich verstehbare Leidenschaft, steht durchaus an der richtigen Stelle. Jean Paul erweist sich eben nicht als Idylliker einer halbgaren „Romantik“ - er ist ein Pathetiker des Schmerzes, den er, der fast unerfahrene 28jährige Autor, derart zeichnet, als sei das alles schon erlebte Wirklichkeit – und es war und ist seine, und wohl nicht allein: seine Wirklichkeit:
„Du armer Mensch! Wenn der zarte weiße, die ganze Natur überzaubernde Nebel deiner Kinderjahre herunter ist: so bleibst du doch nicht lange in deinem Sonnenlichte, sondern der gefallene Nebel kriecht wieder als dichtere Gewitterwolke unten rings am Blauen herauf, und am Jünglings-Mittage stehest du unter den Blitzen und Schlägen deiner Leidenschaften! – Und abends regnet dein zerschlitzter Himmel noch fort!“
Ich soll die armen Menschen lieben, hatte der Schwarzenbacher Tagebuchschreiber ja geschrieben.