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16.09.2014, 13:53 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [480]: „Jean Paul“ niest vor Licht und Wonne

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Zwei „Nebenwerke“ der Kulturgeschichte: „Wutz“ und „Tristan“

Nun zeigt sich auch, welche poetologische Funktion der Wutz im Rahmen des Romans hat. Wir haben ja schon erfahren, welche dramaturgische Bedeutung er besitzt: als Gegenbild zur höfischen Welt demonstriert er uns, wie eine Art Idylle (keine Idylle)in der annähernd selbstgewählten, reichen Bescheidenheit aussehen könnte. Poetologisch aber hat er seinen Sitz im Leben des Biographen, der sich nun mit der Niederschrift der kleinen Erzählung von seiner Hypochondrie zu heilen hat. Es ist dies sozusagen eine Nebentätigkeit, eine Komödie, eine kleine, leichte Sache, die ihn von den Beschwernissen der Biographie abhalten soll.

Der Blogger muss plötzlich an den anderen großen „Bayreuther“ denken, der den Tristan als „leicht aufzuführende“ Oper in die Ring-Arbeit einschob. Dass der Tristan dann zu einem sehr schwer aufzuführenden Musikdrama wurde, steht auf einem anderen Blatt, aber die Arbeit ging Wagner – wie fast jede[1] – sehr leicht von der Hand: ein Wunderwerk der ökonomischen Einteilung, dem das Werk, zumindest aufs erste Hören, so gar nicht entspricht. Dass Wagners komplexe Partituren sich im Grunde einer einzigartigen Kompositionsintelligenz – und nicht dem sog. „Rausch“ verdanken, obwohl sie genau diesen provozieren: es gehört zu den offenen Geheimnissen seines Schöpfertums. Bei Jean Paul war es gewiss nicht anders: wer Finali wie das des Wutz komponiert, muss den klarsten Kopf besitzen. Und also erzählt uns „Jean Paul“, wie er wieder zum Wutz kam. Dass der Dichter bei der Niederschrift des Romans den fertigen kleinen (aber was heißt hier: „kleinen“?) Text schon in der Schublade hatte, verschlägt nichts. Allerdings hatte er leicht schreiben, als er schrieb:

Als ich mich so des gelben Ratzenpulvers und Mehltaues für die Nerven, nämlich des Kaffees und des Witzes enthielt und statt zu beiden zu braunem Bier und zu meinem Wutze griff, so wurde einmal plötzlich die Stube hell, Auenthal und der Himmel flammend, die Menschen legten ihre Fehler ab, alle Flächen grünten, alle Kehlen schlugen, alle Herzen lächelten, ich niesete vor Licht und Wonne und dachte: entweder eine Göttin ist gekommen oder der Frühling – – es war gar beides, und die Göttin war die Gesundheit.

Und es folgt gleich die nächste poetologische Anweisung: der Autor möchte nun schneller vorankommen, er will nicht der Zeit Minute für Minute hinterher schreiben, er will in größeren Schritten bedeutendere Einheiten gleichsam erledigen: zur Nerven- und Körperschonung. Der Blogger versteht ihn so gut, er schätzt die Anweisungen des Doktors, der seine Arbeit als Mediziner und als Freund ausübt, wenn er dem Schreibfreund vorschlägt, gleich der heißen Zone, den ganzen Winter mit allen seinen Tatsachen zu überspringen, da er ohnehin nur, wie der in jener Zone, im Regnen (der Augen) besteht. Und also genügt es, für den ganzen Winter zu wissen, dass Gustav beim Professor Hoppedizel und also bei seinen Eltern verbrachte, er mattete da seinen Kopf ab, um sein Herz abzumatten und ein anderes zu vergessen; bereuete seinen Fehler, aber auch seinen voreiligen Abschiedbrief; setzte seine Wunden dem philosophischen Nordwind des Professors aus, und zehrte durch Einsperren, Denken und Sehnen seine Lebenblüten ab, die kaum der Frühling wieder nachtreiben oder übermalen kann.

Na also, mag sich die Leserin denken, die auf die sogenannte Handlung aus ist, es geht doch! Dass der Dichter hier nur deshalb dem Erzähler ein höheres Tempo vorgab[2], weil der Verleger ihm im Nacken saß, muss sie ja nicht wissen.

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[1] Ausgerechnet der erste Akt der Meistersinger verrät nichts von den biographischen Schwierigkeiten, denen er ausgesetzt war: an keinem Akt hat Wagner so lange gearbeitet wie an diesem, der doch so leicht voran fließt. Auch dies ist ein Wunder: dass das Werk nichts von den Umständen preisgibt, denen es seine Entstehung verdankt.

[2] Wir wissen, dass Jean Paul den zweiten Teil des Romans in einem rasenden Tempo schrieb.