Logen-Blog [476]: Episode vom schnipsenden Witwer
Die Eigenheit des jeanpaulschen Erzählens besteht ja nun auch darin, dass er ausschweift und in diesen Ausschweifungen eigene Episoden unterbringt. Bisweilen lässt sich die Episode in kurzen Worten nacherzählen, weil der Dichter, und auch dies ist bekannt, mit vielen Worten wenige klar umrissene Umstände beschreibt.
Dies ist die Theorie, die Praxis sieht nun folgendermaßen aus: der Erzähler wird nicht nur von Fenk, auch von einem Vetter namens Fedderlein besucht (auf den Namen kam er vielleicht, weil es einige Zeilen zuvor um federliche Schriftproben gegangen war). Fedderlein ist ein Schuster und Türmer zu Scheerau, der gerade seine Frau verloren hat. Er erzählt dies lang und seinerseits ausschweifend – mit hochnervöser Geste. Seine Hände stehen nicht still, er greift zu einem Trennmesser, mit dem er auf den Tisch hämmert, und als der Erzähler dessen Hände in seine nimmt, schnipst er noch mit dem kleinsten, freistehenden Finger fort. „Jean Paul“ wird über der endlosen Erzählung und dem Zucken fast wahnsinnig. Quintessenz:
Der Stoizismus hält oft die Keule der Stunde, aber nicht den Mückenstachel der Sekunde ab.
Frage: Hat Jean Paul nun die kleine Schnurre erzählt, um die aphoristische Weisheit zu legitimieren? Oder kam er auf den schönen Satz, weil er das Histörchen erzählt hat?
Antwort: Es ist gleichgültig. Lugowskis „Motivation von hinten“ spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Wichtigkeit der Sentenz für das „Große Ganze“ der Geschichte unseres unglücklichen Liebespaares.
Zweite Antwort: Der Satz zeigt uns, dass das Leben, auch das Leben unseres unglücklichen Liebespaares, um dessentwillen „Jean Paul“ die Biographie schreibt, von Akzentuierungen und Wertigkeiten ganz anderer Art durchsetzt ist – ja: dass das Leben in seiner ganzen Vielfalt der Eindeutigkeit einer pathetischen Nacherzählung immer ermangelt. Dies, scheint mir, ist das Wesen der Welt, das von Jean Paul kongenial erfasst wurde – mehr in der Loge, etwas weniger in jenen Romanen, die, wohl wie der folgende Hesperus, wesentlich konzentrierter, damit vor den Augen einer gebildeten Lesewelt auch „gelungener“ sind.
Der Blogger aber möchte auf Episoden wie die des schnipsenden Witwers nicht verzichten.
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Die Eigenheit des jeanpaulschen Erzählens besteht ja nun auch darin, dass er ausschweift und in diesen Ausschweifungen eigene Episoden unterbringt. Bisweilen lässt sich die Episode in kurzen Worten nacherzählen, weil der Dichter, und auch dies ist bekannt, mit vielen Worten wenige klar umrissene Umstände beschreibt.
Dies ist die Theorie, die Praxis sieht nun folgendermaßen aus: der Erzähler wird nicht nur von Fenk, auch von einem Vetter namens Fedderlein besucht (auf den Namen kam er vielleicht, weil es einige Zeilen zuvor um federliche Schriftproben gegangen war). Fedderlein ist ein Schuster und Türmer zu Scheerau, der gerade seine Frau verloren hat. Er erzählt dies lang und seinerseits ausschweifend – mit hochnervöser Geste. Seine Hände stehen nicht still, er greift zu einem Trennmesser, mit dem er auf den Tisch hämmert, und als der Erzähler dessen Hände in seine nimmt, schnipst er noch mit dem kleinsten, freistehenden Finger fort. „Jean Paul“ wird über der endlosen Erzählung und dem Zucken fast wahnsinnig. Quintessenz:
Der Stoizismus hält oft die Keule der Stunde, aber nicht den Mückenstachel der Sekunde ab.
Frage: Hat Jean Paul nun die kleine Schnurre erzählt, um die aphoristische Weisheit zu legitimieren? Oder kam er auf den schönen Satz, weil er das Histörchen erzählt hat?
Antwort: Es ist gleichgültig. Lugowskis „Motivation von hinten“ spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Wichtigkeit der Sentenz für das „Große Ganze“ der Geschichte unseres unglücklichen Liebespaares.
Zweite Antwort: Der Satz zeigt uns, dass das Leben, auch das Leben unseres unglücklichen Liebespaares, um dessentwillen „Jean Paul“ die Biographie schreibt, von Akzentuierungen und Wertigkeiten ganz anderer Art durchsetzt ist – ja: dass das Leben in seiner ganzen Vielfalt der Eindeutigkeit einer pathetischen Nacherzählung immer ermangelt. Dies, scheint mir, ist das Wesen der Welt, das von Jean Paul kongenial erfasst wurde – mehr in der Loge, etwas weniger in jenen Romanen, die, wohl wie der folgende Hesperus, wesentlich konzentrierter, damit vor den Augen einer gebildeten Lesewelt auch „gelungener“ sind.
Der Blogger aber möchte auf Episoden wie die des schnipsenden Witwers nicht verzichten.