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01.09.2014, 14:39 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [473]: Vierundvierzigster bis sechsundvierzigster Sektor

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Nein, eine Pleureuse ist keine Pleuresie – auch wenn eine Frau eine Pleureuse tragen könnte, wenn der Ehemann einer Pleuresie zum Opfer gefallen ist. Bei Zuckmayer gibt's ja, im Hauptmann von Köpenick, die bekannte Plörösenmieze, die wir uns als Prostituierte mit einem Straußenfedernhut vorstellen müssen, auch hat Heinrich Zille 1903 eine Frau mit Pleureuse gemalt (siehe Bild), aber ob sie nun jemanden betrauert, den die Pleuresie von der Straße weggeholt hat, ist zu bezweifeln.

 

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Auf jeden Fall lernt man bei Jean Paul, was es mit Lungenkrankheiten auf sich hat, die ja in Zille sein Miljöh eine gewisse Rolle spielten. Pleuresie, Apoplexie, Hektik, Herzpolypus, Phtisis, Empyema, Vomica, Scirrhus, Ulkus – was wie eine Truppenparade aus dem alten Rom klingt, ist eine hübsche Übersicht über die hypochondrischen Pathologien des Herrn Autors, doch verlässt ihn nicht der Humor. Gesetzt, er stürbe an all diesen Krankheiten gleichzeitig:

Nach dieser Heilung braucht man bloß meine Brust anzubohren, um aus ihr, aus der einmal ein Buch voll Menschenliebe kam, das Leben und die Krankheitmaterie miteinander herauszuziehen....

 

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Und er vergisst über all seinem komisch aufgedonnerten Leid nicht uns, die Leser, die wir gleichfalls leiden mögen: am Leben an sich:

Ihr guten Leser! die ihr mit eurem vergehenden Auge vom Schachbrett des ersten Sektors an bis zum Sterbelager des letzten mir nachgezogen seid, meine Bahn und unsre Bekanntschaft haben ein Ende – das Leben mög' euch niemals drücken – euer Geschäftblick möge nie über das kleine Feld das große vergessen, über das erste Leben das zweite, über die Menschen euch – euer Leben mögen Träume bekränzen, und euer Sterben mögen keine erschrecken.... Meine Schwester soll alles beschließen.... Lebt froh und entschlaft froh!....

Womit sich wieder einmal die Technik bewährt hat, die krasseste Satire auf das höchste, ernsthafteste Pathos krachen zu lassen.

Jean Paul war ein Humorist? Ja – ein Humorist mit beschränkter Haftung.