Logen-Blog [448]: „Die beiden hier eingeschobenen Zeilen gehören offenbar in einen anderen Zusammenhang.“
... ja, das Tempo. Das Tempo wird angezogen, der Sommer wird angezogen, der Nachsommer ist morgens schon ein wenig zu spüren, der Schreibfluss gerät ins Reißen, wenn nicht gar ins Reißerische, der Verleger winkt – da gerät schon mal Einiges außer Kontrolle, Syntax, Semantik, Sex – pardon, das war jetzt ein Bonmot (ein Bonmot? Doch eher ein Malmot), das der Tempovorgabe geschuldet ist, Jean Paul weiß davon, man kann ja, gut, die Tipp- und Schreibfehler noch ausmerzen, dafür sind gute Korrektoren auch da, aber wenn ganze Sätze wegfallen, weil sie in den Windungen des Gehirns oder in den Rändern der Texte verschwunden sind, weiß man's noch nach 200 Jahren, da kann kein Kommentator helfen, jedenfalls nicht richtig helfen[1], er kann Hinweise geben, konjizieren, wie es gut philologisch heißt, die Ursachenforschung wird sich dann auf das Wesentliche beschränken müssen. Denn im Grunde sind wir ja alle nur Menschen und keine Affen, auch wenn gestern im Käfig mal wieder Affen steckten, aber der Käfig klemmte. Das Holz splitterte direkt vor unsere Füße. Das war zwar nicht das schönste Theater, aber es war reales Theater: bis zum Fallen des Vorhangs.
Bei Jean Paul klingt das dann so:
Wie viel besser nahm sich Oefel aus! Der ist ein Narr geradezu, aber in gehörigem Maße. Die Residentin überholte jene in jeder Biegung des Arms, den ein Maler, und in jeder Hebung des Fußes, den eine Göttin zu bewegen schien; sogar im Auflegen des Rots, woran die Bouse ihre Wangen bei einer Fürstin angewöhnen musste, welche von allen ihren Hofdamen diese flüchtige Fleischgebung zu fodern pflegte – ihr Rot bestreifte, wie der Widerschein eines roten Sonnenschirms, sie nur mit einer leisen Mitteltinte.... In Rücksicht der Schönheit unterschied sich die ihrige von der ministeriellen, wie die Tugend von der Heuchelei....
Alles klar? Zumindest ist klar, wieso es Leser gibt, die Jean Paul partout nicht verstehen. Der Autor kommt ihnen entgegen, indem er Sätze auslässt und die Gedanken munter durcheinanderwirft: über unsichtbare Brücken hinweg. Macht nichts: man versteht, worum es noch und immer wieder geht: um den Anspruch der Frau von Bouse auf äußere Schönheit und den Widerspruch der inneren Schönheit. Hier die Residentin, dort die junge Dame. Hat etwa Beata Grazien-Füße? Ich möchte es annehmen, ich träume davon (gut, das ist eine Floskel) – aber für die Bouse soll, sagt der Erzähler, die Tatsache der Existenz dieser feingliedrigen Füße geradezu basal für ihren Entschluss sein, sich ins Theaterspiel geworfen zu haben:
Ich bin dem Leser noch die Ursache schuldig, aus der die Ministerin sich zur Jeannen-Rolle drängte – es war, weil ihre Rolle ihr einen kürzern Rock erlaubte, – oder mit andern Worten, weil sie alsdann ihre lilliputischen Grazien-Füße leichter spielen lassen konnte. An ihrer Schönheit waren sie das einzige Unsterbliche, wie am Achilles das einzige Sterbliche; in der Tat hätten sie, wie des Damhirschchen seine, zu Tabakstopfern getaugt.
Der Blogger bekennt noch einmal, dass er nichts gegen schöne Frauenfüße hat, aber er weiß, dass man auf ihnen kein Theaterspiel gründen sollte. Eine (nicht nur von ihm) hochverehrte, nun uralte Schauspielerin hatte, soweit man dieses anatomische Detail in den auch in dieser Hinsicht eher diskreten Filmen der 1950er Jahre entdecken kann, ein Überbein – gespielt hat sie immer (also immer) genau, überzeugend, ehrlich und hinreißend. Mit Rock, aber meist mit festem Schuhwerk.
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[1] „Die beiden hier eingeschobenen Zeilen gehören offenbar in einen anderen Zusammenhang.“
Logen-Blog [448]: „Die beiden hier eingeschobenen Zeilen gehören offenbar in einen anderen Zusammenhang.“>
... ja, das Tempo. Das Tempo wird angezogen, der Sommer wird angezogen, der Nachsommer ist morgens schon ein wenig zu spüren, der Schreibfluss gerät ins Reißen, wenn nicht gar ins Reißerische, der Verleger winkt – da gerät schon mal Einiges außer Kontrolle, Syntax, Semantik, Sex – pardon, das war jetzt ein Bonmot (ein Bonmot? Doch eher ein Malmot), das der Tempovorgabe geschuldet ist, Jean Paul weiß davon, man kann ja, gut, die Tipp- und Schreibfehler noch ausmerzen, dafür sind gute Korrektoren auch da, aber wenn ganze Sätze wegfallen, weil sie in den Windungen des Gehirns oder in den Rändern der Texte verschwunden sind, weiß man's noch nach 200 Jahren, da kann kein Kommentator helfen, jedenfalls nicht richtig helfen[1], er kann Hinweise geben, konjizieren, wie es gut philologisch heißt, die Ursachenforschung wird sich dann auf das Wesentliche beschränken müssen. Denn im Grunde sind wir ja alle nur Menschen und keine Affen, auch wenn gestern im Käfig mal wieder Affen steckten, aber der Käfig klemmte. Das Holz splitterte direkt vor unsere Füße. Das war zwar nicht das schönste Theater, aber es war reales Theater: bis zum Fallen des Vorhangs.
Bei Jean Paul klingt das dann so:
Wie viel besser nahm sich Oefel aus! Der ist ein Narr geradezu, aber in gehörigem Maße. Die Residentin überholte jene in jeder Biegung des Arms, den ein Maler, und in jeder Hebung des Fußes, den eine Göttin zu bewegen schien; sogar im Auflegen des Rots, woran die Bouse ihre Wangen bei einer Fürstin angewöhnen musste, welche von allen ihren Hofdamen diese flüchtige Fleischgebung zu fodern pflegte – ihr Rot bestreifte, wie der Widerschein eines roten Sonnenschirms, sie nur mit einer leisen Mitteltinte.... In Rücksicht der Schönheit unterschied sich die ihrige von der ministeriellen, wie die Tugend von der Heuchelei....
Alles klar? Zumindest ist klar, wieso es Leser gibt, die Jean Paul partout nicht verstehen. Der Autor kommt ihnen entgegen, indem er Sätze auslässt und die Gedanken munter durcheinanderwirft: über unsichtbare Brücken hinweg. Macht nichts: man versteht, worum es noch und immer wieder geht: um den Anspruch der Frau von Bouse auf äußere Schönheit und den Widerspruch der inneren Schönheit. Hier die Residentin, dort die junge Dame. Hat etwa Beata Grazien-Füße? Ich möchte es annehmen, ich träume davon (gut, das ist eine Floskel) – aber für die Bouse soll, sagt der Erzähler, die Tatsache der Existenz dieser feingliedrigen Füße geradezu basal für ihren Entschluss sein, sich ins Theaterspiel geworfen zu haben:
Ich bin dem Leser noch die Ursache schuldig, aus der die Ministerin sich zur Jeannen-Rolle drängte – es war, weil ihre Rolle ihr einen kürzern Rock erlaubte, – oder mit andern Worten, weil sie alsdann ihre lilliputischen Grazien-Füße leichter spielen lassen konnte. An ihrer Schönheit waren sie das einzige Unsterbliche, wie am Achilles das einzige Sterbliche; in der Tat hätten sie, wie des Damhirschchen seine, zu Tabakstopfern getaugt.
Der Blogger bekennt noch einmal, dass er nichts gegen schöne Frauenfüße hat, aber er weiß, dass man auf ihnen kein Theaterspiel gründen sollte. Eine (nicht nur von ihm) hochverehrte, nun uralte Schauspielerin hatte, soweit man dieses anatomische Detail in den auch in dieser Hinsicht eher diskreten Filmen der 1950er Jahre entdecken kann, ein Überbein – gespielt hat sie immer (also immer) genau, überzeugend, ehrlich und hinreißend. Mit Rock, aber meist mit festem Schuhwerk.
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[1] „Die beiden hier eingeschobenen Zeilen gehören offenbar in einen anderen Zusammenhang.“