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19.07.2014, 11:04 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [441]: Man möchte Gustav ein Ausderhautschlüpfen gönnen

Eine Gouache von Salomon Gessner, dem berühmten Schweizer Idyllen-Autor:
Der Wunsch oder die powtische Einsiedelei

Die Bouse hat ein Toilettezimmer, das Toilettezimmer einen Kamin, der Kamin Verzierungen, die Verzierungen haben Schweizerszenen, die Schweizerszenen zeigen eine tragantene Kopie des Eremitenberges. Der Wagnerianer muss nun, am dritten Tag der Bayreuther Generalproben, an Johann Nestroys köstliche Lohengrin-Parodie denken, in der nicht nur der unsterbliche Vers begegnet:

Nun sei bedankt mein gutes Schaf,
du warst geduldig, lieb und brav.

Nicht allein in Bayreuth sind bereits die Aufführungen der Original-Werke reinrassige Parodien. Was dem Wiener Komödienautor ein Schaf, ist dem Regisseur Hans Neuenfels (einem Einäugigen unter den Blinden) eine Ratte, ja: ein ganzes Heer von Ratten. Parodistischer und ridiküler geht's nimmer. Über Nestroys Posse hat Wagner noch gelacht, in Bayreuth würde er heute bitterlich weinen (weil seine zu Tode zitierte Forderung „Kinder, macht Neues“ sich nicht auf die interpretatorisch verschlimmbessernde, ahnungs- wie gefühllose Reproduktion alter, sondern auf die Schaffung neuer Werke bezog).

Bekanntlich spielt dieses Drama nicht in Brabant, sondern im Reiche von Dragant. Nun versteht der Wagnerianer auch, wieso „Dragant“ nicht nur eine Variante von „Brabant“, sondern auch witzig ist – denn Tragant ist „eine Art Gummilösung, die auf Papier aufgetragen wird“, wie es im Kommentar heißt.

Es ist nun faszinierend zu lesen, wie kleinteilig und genau, wie detailgesättigt und präzis Jean Paul die Hemmungen der Liebenden beschreibt, die im Angesicht der Frau von Bouse sich verbergen – im Angesicht einer Frau, die ihrerseits heute schien, was sie allemal schien: sie hatte eine stille, denkende, nicht leidenschaftliche Verstellung in ihrer Gewalt, und auf ihrem Gesicht sah man nicht die falschen Mienen die aufrichtigen erst verjagen. Wohingegen Gustav, dem Verklemmung vorzuwerfen so falsch wie richtig wäre, stumm und doch so nahe der Geliebten gegenüber bleiben muss – aber muss er es wirklich? Rein sozialgeschichtlich argumentiert: Ja, er muss. Tiefenpsychologisch und handlungstechnisch motiviert: er müsste es (vielleicht) nicht. Wir würden ihm gerne gönnen, dass er einmal aus seiner Haut schlüpfte, aber ach:

Warum wollen alle unsere Empfindungen aus unserem Herzen in ein fremdes hinüber? – Und warum hat das Wörterbuch des Schmerzens so viele Alphabete und das der Entzückung und der Liebe so wenige Blätter? Jean Paul beantwortet diese großen Fragen gleich selbst: Bloß eine Träne, eine drückende Hand und eine Singstimme gab der Welt-Genius der Liebe und der Entzückung und sagte: „Sprecht damit!“ – Das Rezept taugt für alle, die 1791 in gesellschaftlichen Vorurteilen verstrickt waren. Es mag auch noch für diejenigen gelten, die auch heute sich nicht trauen, weil sie Skrupel haben, gesellschaftliche Grundgesetze zu verletzen.

Aber hatte Gustavs Liebe eine Zunge, als er (bei einem Abwenden der Residentin auf 7 Sekunden) im Spiegel, dem er am Klavier gegenübersaß, mit seinen dürstenden Augen das darin flatternde Bild seiner teuren Sängerin küsste – und als das Bild ihn ansah – und als das blöde Bild vor dem Feuerstrom seines Auges das Augenlid niederschlug – und als er sich plötzlich nach dem nahen Urbild des wegblickenden Farben-Schattens umdrehte und sitzend in das gesenkte Auge der stehenden Freundin mit seiner Liebe eindrang und als er in einem Augenblicke, den Sprachen nicht malen, sich nicht einmal in eine, nicht einmal in einen Laut ergießen durfte?

Lange Frage, kurze Antwort: Njet. Und im Übrigen – was für ein Zufall... – war das schönste Gemälde aus dem Nachlasse des Russen nicht zu Hause, sondern unter dem Kopierpapiere des Fürsten. Die lachende Zweite ist die Bouse, nicht Beata, die mit ihr immerhin das „B“ gemeinsam hat.

Joshua Reynolds: Amor und Psyche

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