Logen-Blog [426]: Der Blogger vergleicht Denkmäler
Bleiben wir ein wenig vor dem Denkmal jenes Herren stehen, dem Bayreuth das Jean-Paul-Denkmal verdankt – präzis: vor dem Denkmal des Auftraggebers, über den Jean Paul noch in seinen letzten Tagen sagte, dass er „nicht mehr wie sonst alles sich in München bloß konzentrieren lassen wolle“.
Wir stehen also am Reiterdenkmal Ludwigs I. am Odeonsplatz, der 1820, als Jean Paul nach München fuhr, zu den modernsten Anlagen der Stadt gehörte. Ludwig hatte noch als Kronprinz – das war 1816 – Leo von Klenze mit der Gesamtplanung der späteren Ludwigstraße und des Areals an der Residenz beauftragt. Der Dichter konnte also einen Blick auf die Bauarbeiten werfen; leider hat die vom Kronprinzen provozierte rastlose Tätigkeit kaum einen Reflex in Jean Pauls Reisebriefen gefunden.
Geschaffen wurde das Denkmal des Königs von Max Widmann, aber das interessiert im Moment nicht so sehr. Interessanter ist die Tatsache, dass auch dieses Denkmal zunächst von Schwanthaler entworfen wurde – der bekanntlich das Bayreuther Denkmal und die Bavaria modelte. Gegossen wurde es in der Werkstatt Ferdinand Millers, dem wir – anlässlich des Brunnens für Jean Pauls König – schon in Bamberg begegneten. Ein Erzguss, aufgestellt im Jahre 1862.
Damit kommen wir wieder, ob wir wollen oder nicht, etwa in die Zeit, in der Jean Paul die Landeshauptstadt besuchte – denn Miller ist ohne seinen Vorgänger nicht zu haben.
Johann Baptist Stiglmaier – er war der wichtigste Mann der Königlichen Erzgießerei, die 1822 von König Max Joseph I. gegründet wurde. Es war wiederum Leo von Klenze, der die Bauten am bekannten Platz „an der Straße nach Nymphenburg“ entwarf. Drei Jahre später starb der König, und sein Nachfolger Ludwig begann noch zu Lebzeiten des Dichters, im Herbst 1825, mit Hilfe von vielen fleißigen Händen[1] die Gießerei zu erweitern.
Hier wurde auch das Bayreuther Jean Paul-Denkmal gegossen: in der Königlichen Erzgießerei.
Die Ofenkapazitäten wurden erweitert, Stiglmaier zum „Ersten Inspektor“ ernannt. Unter seiner Regierung goss man 1841 das Bayreuther Denkmal – und man begann mit dem Guss der schönen Riesenfrau. Da er aber darüber starb, musste ein Nachfolger her – dies war sein Neffe Ferdinand von Miller, der als wichtigster Mitarbeiter Stiglmaiers vollstes Vertrauen genoss.
Im Reiterdenkmal vereinigen sich also mehrere Persönlichkeiten: Miller, indirekt Stiglmaier, Schwanthaler – und wieder Klenze, denn auch Klenze verdanken wir die Idee des Sockels. Er benutzte eine Skizze Schwanthalers, die dieser für ein Reiterbild des ungarischen Königs Matthias Corvinus gezeichnet hatte.
Schauen wir uns den Sockel etwas genauer an. Der Flaneur entdeckt hier, an den vier Ecken, vier Allegorien: die der Kunst, der Religion, der Baukunst und der Industrie. König Ludwig war dem allen tief verbunden: vor allem der Baukunst, mit deren Hilfe er die Stadt München neu erfand.
Die holde Kunst … die Dame spielt die Lyra, sie singt ein Lied, sie hat ein Gedicht gedichtet, sie ist auch eine Vorgängerin Jean Pauls, der so gern am Klavier saß und wild fantasierte. Auch der König dichtete zuweilen. Nein, er war kein Dichter – aber er schrieb Verse.
Nähern wir uns der Rückseite, denn sie ist – zumindest für den reisenden Bayreuther – besonders interessant.
Interessant? Was kann an einer simplen Titulatur interessant sein?
LUDWIG I
KOENIG
VON BAYERN
„Ja und?“, fragt der verdutzte Leser. Dabei muss er nur genau hinschauen – und vergleichen.
Hier die Münchner, dort die Bayreuther Inschrift. Wie sich die Ziffern gleichen. Zwischen 1841 und 1861 scheinen keine 20 Jahre vergangen zu sein – denn in der Königlichen Erzgießerei benutzte man 1861 immer noch die Gussformen für die Lettern, die man an Denkmälern zu fixieren pflegt.
Nein, man muss das nicht wichtig finden, vielleicht ist das Unwichtigste von der Welt – aber man darf es als bemerkenswert empfinden: weil noch auf der scheinbar unwichtigsten Ebene eine Verbindung zwischen Bayreuth und der königlichen Hauptstadt, zwischen Schwanthaler und Klenze, zwischen Jean Paul und seinem späten bayerischen König bestand, den er noch einige Wochen genießen konnte.
Auch dies gehört, genau betrachtet, zur Lettern-Kunde. Auch so kann man, denkt der Blogger, die Städte und Orte und Kunstwerke – und Menschen lesen.
Fotos: Frank Piontek, 8.6. 2014
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[1] Als dialektisch gebildeter Leser kenne ich natürlich die Frage(n) eines anderen gewaltigen bayerischen Dichters: Wer erbaute das siebentorige Theben? …
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Bleiben wir ein wenig vor dem Denkmal jenes Herren stehen, dem Bayreuth das Jean-Paul-Denkmal verdankt – präzis: vor dem Denkmal des Auftraggebers, über den Jean Paul noch in seinen letzten Tagen sagte, dass er „nicht mehr wie sonst alles sich in München bloß konzentrieren lassen wolle“.
Wir stehen also am Reiterdenkmal Ludwigs I. am Odeonsplatz, der 1820, als Jean Paul nach München fuhr, zu den modernsten Anlagen der Stadt gehörte. Ludwig hatte noch als Kronprinz – das war 1816 – Leo von Klenze mit der Gesamtplanung der späteren Ludwigstraße und des Areals an der Residenz beauftragt. Der Dichter konnte also einen Blick auf die Bauarbeiten werfen; leider hat die vom Kronprinzen provozierte rastlose Tätigkeit kaum einen Reflex in Jean Pauls Reisebriefen gefunden.
Geschaffen wurde das Denkmal des Königs von Max Widmann, aber das interessiert im Moment nicht so sehr. Interessanter ist die Tatsache, dass auch dieses Denkmal zunächst von Schwanthaler entworfen wurde – der bekanntlich das Bayreuther Denkmal und die Bavaria modelte. Gegossen wurde es in der Werkstatt Ferdinand Millers, dem wir – anlässlich des Brunnens für Jean Pauls König – schon in Bamberg begegneten. Ein Erzguss, aufgestellt im Jahre 1862.
Damit kommen wir wieder, ob wir wollen oder nicht, etwa in die Zeit, in der Jean Paul die Landeshauptstadt besuchte – denn Miller ist ohne seinen Vorgänger nicht zu haben.
Johann Baptist Stiglmaier – er war der wichtigste Mann der Königlichen Erzgießerei, die 1822 von König Max Joseph I. gegründet wurde. Es war wiederum Leo von Klenze, der die Bauten am bekannten Platz „an der Straße nach Nymphenburg“ entwarf. Drei Jahre später starb der König, und sein Nachfolger Ludwig begann noch zu Lebzeiten des Dichters, im Herbst 1825, mit Hilfe von vielen fleißigen Händen[1] die Gießerei zu erweitern.
Hier wurde auch das Bayreuther Jean Paul-Denkmal gegossen: in der Königlichen Erzgießerei.
Die Ofenkapazitäten wurden erweitert, Stiglmaier zum „Ersten Inspektor“ ernannt. Unter seiner Regierung goss man 1841 das Bayreuther Denkmal – und man begann mit dem Guss der schönen Riesenfrau. Da er aber darüber starb, musste ein Nachfolger her – dies war sein Neffe Ferdinand von Miller, der als wichtigster Mitarbeiter Stiglmaiers vollstes Vertrauen genoss.
Im Reiterdenkmal vereinigen sich also mehrere Persönlichkeiten: Miller, indirekt Stiglmaier, Schwanthaler – und wieder Klenze, denn auch Klenze verdanken wir die Idee des Sockels. Er benutzte eine Skizze Schwanthalers, die dieser für ein Reiterbild des ungarischen Königs Matthias Corvinus gezeichnet hatte.
Schauen wir uns den Sockel etwas genauer an. Der Flaneur entdeckt hier, an den vier Ecken, vier Allegorien: die der Kunst, der Religion, der Baukunst und der Industrie. König Ludwig war dem allen tief verbunden: vor allem der Baukunst, mit deren Hilfe er die Stadt München neu erfand.
Die holde Kunst … die Dame spielt die Lyra, sie singt ein Lied, sie hat ein Gedicht gedichtet, sie ist auch eine Vorgängerin Jean Pauls, der so gern am Klavier saß und wild fantasierte. Auch der König dichtete zuweilen. Nein, er war kein Dichter – aber er schrieb Verse.
Nähern wir uns der Rückseite, denn sie ist – zumindest für den reisenden Bayreuther – besonders interessant.
Interessant? Was kann an einer simplen Titulatur interessant sein?
LUDWIG I
KOENIG
VON BAYERN
„Ja und?“, fragt der verdutzte Leser. Dabei muss er nur genau hinschauen – und vergleichen.
Hier die Münchner, dort die Bayreuther Inschrift. Wie sich die Ziffern gleichen. Zwischen 1841 und 1861 scheinen keine 20 Jahre vergangen zu sein – denn in der Königlichen Erzgießerei benutzte man 1861 immer noch die Gussformen für die Lettern, die man an Denkmälern zu fixieren pflegt.
Nein, man muss das nicht wichtig finden, vielleicht ist das Unwichtigste von der Welt – aber man darf es als bemerkenswert empfinden: weil noch auf der scheinbar unwichtigsten Ebene eine Verbindung zwischen Bayreuth und der königlichen Hauptstadt, zwischen Schwanthaler und Klenze, zwischen Jean Paul und seinem späten bayerischen König bestand, den er noch einige Wochen genießen konnte.
Auch dies gehört, genau betrachtet, zur Lettern-Kunde. Auch so kann man, denkt der Blogger, die Städte und Orte und Kunstwerke – und Menschen lesen.
Fotos: Frank Piontek, 8.6. 2014
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[1] Als dialektisch gebildeter Leser kenne ich natürlich die Frage(n) eines anderen gewaltigen bayerischen Dichters: Wer erbaute das siebentorige Theben? …