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09.05.2014, 11:54 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [407]: Und Thomas Mann gratuliert dem ruhmreichen, vielgeliebten Meister

Paul Heyse erhielt 1910 den Literaturnobelpreis, ein anderer berühmter „Münchner“ empfing ihn etwa 20 Jahre später. Wenn nicht alles täuscht, hat dieser ihm ein kleines Denkmal gesetzt: weniger durch einen Eintrag in ein Gedenkbuch als durch einen winzigen, aus drei Buchstaben bestehenden Teil eines Titels in einer weltberühmten Novelle.

Dirk Heißerer hat es – man kann das im Heft 3/2013 des von der Bayerischen Staatsbibliothek herausgegebenen Bibliotheksmagazins (PDF) nachlesen – in seinem schönen Aufsatz Paul Heyse adelt Gustav von Aschenbach. Mit einer unbekannten Widmung Thomas Manns in einem Prachtband der Bayerischen Staatsbibliothek nachgewiesen: dass der traurige Held, der in Tod in Venedig unerlöst durch die choleraverseuchte Lagunenstadt stolpert, sein „von“ vom Münchner Dichterkollegen verliehen bekam (den Vornamen erbte er bekanntlich vom kurz zuvor verstorbenen Mahler, den Familienname verdankt er dem Maler Anselm Feuerbach, der 1880 in Venedig starb). Darauf weist schon die Biographie des Herrn von Aschenbach hin:

Nach einigen Jahren der Unruhe […] wählte er frühzeitig München zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in bürgerlichem Ehrenstande, wie er dem Geiste in besonderen Einzelfällen zuteil wird.

Heißerer konnte auch nachweisen, dass der Text, den Thomas Mann in das 302 Einträge umfassende Ehrenalbum für Paul Heyse eintrug, das an Heyses 50jährigen, ruhmreichen Aufenthalt in München erinnern sollte[1], gleichsam in aschenbachschem Stil notiert wurde. Mann befleißigte sich, wohl nicht ganz ohne Ironie, jenes Tons, weil er gelernt habe, von seinem Schreibtische aus zu repräsentieren, seinen Ruhm zu verwalten, in einem Briefsatz, der kurz sein musste (denn viele Ansprüche dringen auf den Erfolgreichen, den Vertrauenswürdigen ein) gütig und bedeutend zu sein. „Und in eben diesem Stil schreibt Thomas Mann, der damals 34-jährige Autor des Eheromans Königliche Hoheit (1909), im Frühjahr 1910 dem betagten Münchener Dichterfürsten auf Blatt 185 ins Ehren-Album:

An Paul Heyse
zum 15. März 1910.
Dem ruhmreichen, vielgeliebten Meister
bittet seine Huldigung, seine ehrerbietigen
Glückwünsche darbringen zu dürfen
Thomas Mann
München

Dass Thomas Mann, der Moderne, von Heyse, dem Repräsentanten einer Moderne, die bereits ein halbes Jahrhundert zurücklag, nicht sonderlich viel hielt, wird auch aus jener bekannten Charakterisierung klar, die er in eben diesem Jubeljahr 1910 gegenüber dem Publizisten Maximilian Harden äußert (der seinerseits ein Mann des deutlichen Wortes war): Heyse sei ein sonniger und fast unanständig fruchtbarer Epigone, der dem Neuen gegenüber so vollkommen versagte und noch heute auf Wagner und Ibsen wie ein Dummkopf schimpft.

Thomas Mann hatte leider Recht: 1910 war Heyse kein Thema der lebenden Literaturgeschichte mehr. Siegfried Obermeier hat es in Münchens goldene Jahre kurz und knapp gesagt: „dass der Münchner Dichterkreis um Heyse und Geibel es zwar zu Ruhm und hohen Auflagen brachte, in seiner Substanz jedoch mehr der Befriedigung des Zeitgeschmacks diente, um mit dessen Wandlung unterzugehen“. Heyse war „allseits zugleich belächelt und verehrt“ – was Thomas Mann nicht hinderte, einige Gedichte des Altmeisters (unter denen sich tatsächlich einige Perlen befinden) in sein erstes Notizbuch abzuschreiben und später eine „repräsentative“ Widmung in den offiziellen Würdigungsband zu schreiben.

Der kluge Hans Mayer, der eine falsche These über Jean Pauls Ästhetik veröffentlicht hat, bemerkte in einem Text zu Thomas Manns 80. Geburtstag, dass Thomas Manns eigenes frühes, gleichsam inoffizielles Künstlertum sich gegen die implizite Kunstfeindlichkeit eines Heyse gewendet hat. Ich möchte es als bestes Schwabingertum bezeichnen. Mayer wies – In memoriam Thomas Mann – auch darauf hin, worin dieses Andere der Heyseschen Muse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestanden hatte: in einem defizitären Wirklichkeitsbezug. „Je fragwürdiger die deutsche Wirklichkeit wurde mit neudeutschem Chauvinismus, Gründerzeit und Gründerkrise, wachsender Proletarierzahl und modernen Großstädten mit kilometerlangen Mietskasernen, um so sonniger wurde die offiziell gehätschelte und preisgekrönte Literatur.“ Aus Protest gegen die sogenannte „Rinnsteinliteratur“ habe Heyse 1892 „einen albernen Roman Merlin“ geschrieben, „worin ein Künstler es wagt, von der Tragödiendichtung zum naturalistischen Drama überzugehen und zur Strafe aus purer Verzweiflung Selbstmord zu begehen hat“. 1892: Da lag Irrungen, Wirrungen schon vor, auch Jenny Treibel – und der arme Heyse verstand nichts mehr.

Ob Heyse jemals Jean Paul gelesen hat, ist mir unbekannt. Wie stand er wohl zur „unübersichtlichen“ Wirklichkeit der jeanpaulschen Romanwelt – zumal zum verdorrten Absolutismus des Scheerauer Hofes, zumal vor den ins Metaphysische sich weitenden Seelenqualen seiner traurigen Helden, die durch keine Novellenkunst ins Kolportagehafte aufzulösen sind? Thomas Mann war, alles in Allem, Jean Paul zweifellos wesentlich näher als der andere Münchner Dichter.

Thomas Mann schrieb nur ganz wenige Jahre nach dem „albernen“ Merlin, während Heyse noch in seiner Villa in der Luisenstraße lebte – was man gern als Anachronismus bezeichnen darf – einen Anti-Heyse-Roman, der die Wirklichkeit der Bürgervergangenheit auf ganz andere Weise ins Wort brachte. Buddenbrooks blieb der Weltroman kraft seiner kompromisslosen, wenn auch einseitig vom Miesepeter Schopenhauer geprägten Analyse eines gesellschaftlichen Verfalls, der der den Abgrund über der scheinbaren Prosperität der wilhelminischen Ära bloßlegte. Thomas Mann hat das auch im „gemütlichen“ München geschrieben – und er hat es im Haus Feilitzschstraße 32 abgeschlossen.

Eine Gedenktafel verkündet das hohe Ereignis: den Schritt in die kritische Weltliteratur, den Heyse, trotz allen Charmes, trotz aller unterhaltenden Meisterschaft, nie getan hat – und trotzdem schrieb Thomas Mann zehn Jahre später einen respektvoll distanzierten Eintrag in ein Gedenkbuch, das sehr bewusst an die Vergangenheit erinnerte, weil es eine Gegenwart für Heyse nicht mehr gab.

Fotos: Frank Piontek, 26.4. 2014

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[1] Der Prachtband ist zurzeit in der Heyse-Ausstellung der Staatsbibliothek zu bewundern.

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