Logen-Blog [379]: Die Sonnenstrahlen des Staats
Bitte nicht vergessen: Georg Friedrich von Zentner. Zentner, ein Freund des Bürgerlichen Gesetzbuchs, setzte sich – im Gegensatz zu Montgelas, an dessen Sturz er beteiligt war – für die Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung, also auch für die Gründung eines verfassungsmäßig legitimierten Bayreuther Stadtrats ein. Er befürwortete auch die Schaffung einer einflussreichen Volksvertretung, solange das monarchische Prinzip gewahrt blieb. Vorschläge, die in die bedeutende, ja: avantgardistische Bayerische Verfassung von 1818 eingingen. Als König Max Joseph den Act der Beeidigung des Staatsrathes auf die Verfassungsurkunde vollzogen hatte, beschied er Z. als den, welcher vorzüglich das Werk ausgeführt, an den Thron, schmückte ihn eigenhändig mit dem Großkreuze des Civilverdienstordens, und umarmte ihn als Großmeister dieses Ordens vor der Versammlung, heißt es im wie üblich guten ADB-Artikel von 1900. Sein Porträt erstellte Georg Bodmer: nach einer Vorlage des bekannten Münchner Malers Joseph Stieler (Schönheitengalerie!! Goethe!).
Der Blogger muss sich, bevor er mit der Lektüre des Romans voranschreitet, erst einmal vom Ergebnis der Stadtratswahl jenes Ortes erholen, in dem der Dichter vor 200 Jahren lebte und von einem Magistrat regiert wurde, dessen gesetzliche Befugnisse erst 1818, also acht Jahre nach der Inkorporation Bayreuths in das Königreich Bayern, durch die erste Bayerische Verfassung, genauer: durch das Bayerische Gemeindeedikt geregelt wurden. Vorher konnten die Gemeindebürger zwar in bestimmten Grenzen in der Kommunalverwaltung mitarbeiten, doch konnte der Munizipalrat „nur auf staatliche Anweisung zusammentreten und Beschlüsse fassen“, wie ich im Historischen Lexikon Bayerns lese. Einiges an Bevormundung mussten sich die Bürger und ihr Verwaltungsgremium auch noch nach 1818 gefallen lassen, denn „die Selbstverwaltungsbefugnisse wurden erweitert, doch übten die vorgesetzten Behörden weiter eine straffe Aufsicht (Staatskuratel) aus.“ Zwar handelte es sich beim Wahlprocedere dieser Zeit noch nicht um ein Beispiel direkter Demokratie, denn die Bürger wählten, getreu dem Zensuswahlrecht, nur über Wahlmänner das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, das seinerseits die Mitglieder eines hochlöblichen, selbstverständlich nach der Höhe des Einkommens ausgewählten Magistrats erwählte. Trotzdem war das Jahr 1818 eine Grenzscheide: indem festgesetzt wurde, dass „die Gemeinden ihre Angelegenheiten durch Beschlüsse der Gemeindeversammlungen oder durch deren Vertreter und Bevollmächtigte zu besorgen haben“, wurden ihnen eine Eigenständigkeit eingeräumt, von der der Autor der Unsichtbaren Loge ein Vierteljahrhundert zuvor nur träumen konnte.
Und gestern nahmen grandiose 41 Prozent – noch drei Prozent weniger als vor vier Jahren – der Bayreuther Bürger ihr durchaus nicht selbstverständliches Wahlrecht wahr. Wo bleiben da die von Jean Paul angenommenen Werte Kraft und Freiheit des Denkens?
Für dieses wertvolle Wahlrecht gab es eine Französische Revolution, einen Napoleon und einige Vorkämpfer auch in Bayern, für dieses Wahlrecht gehen heute noch Menschen in aller Welt auf die Straßen, um sich erschießen zu lassen.
Jean Paul hat übrigens die politischen Entwicklungen dieser Jahre reflektiert. In den ersten Bayerischen Landtag von 1819 – 1818 sah den Dichter in Frankfurt und Heidelberg – rückte auch der gute Bekannte Miedel, in dessen Garten der Dichter des Öfteren sitzen und arbeiten sollte. Nachdem der Bamberger Bürgermeister und Deputierte von Hornthal die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung gefordert hatte, meinte Jean Paul, „dass die Baierschen Stände den Eiterpunkt der deutschen Monarchien betasten; und heute seh' ich's aus der Protestazion des baierschen Militärs. Die Sache kann sich sehr einwickeln“.
Zwar hat sich Jean Paul, wenn ich es richtig sehe, in seinen Schriften nicht ausdrücklich über das Gemeindeedikt und die Magistratsverfassung von 1818 geäußert, doch mag ein kleiner Paragraph aus den nach 1810 entstandenen Politischen Fastenpredigten dafür stehen:
7.
Kraft des Lichts
Fürsten, lasset es euch täglich aus der neuesten Krieggeschichte wiederholen, weil ihrs täglich vergeßt, dass Einsichten des Volks Kräfte verleihen und Licht Feuer gibt; in der Geschichte hat, wie in der Göttergeschichte, Minerva am meisten die Götter gegen die Giganten beschirmt. – Nicht die feurigen, sondern die lichten Völker überwinden zuletzt und dauern am längsten aus. Welches Sklaven-Volk hat nicht seine Leidenschaften und seine Glut und folglich seinen Mut von den Mongolen an bis zu den Algierern! – Einsichten hingegen, durch alle Klassen verbreitet, wie z. B. im britischen Staate, wirken in allen Verhältnissen und nach allen Richtungen hin und begaben mit einer festern Ausdauer langwieriger Lasten als alles flüchtige Feuer des Eifers. Kraft und Freiheit des Denkens sind die Sonnenstrahlen des Staats, an welchen alles Herbe sich versüßt; so wie die Pflanzen bei aller Wärme und Luft und Nässe kraft- und farblos bleiben, wenn sie keine Sonne beseelt.
Schade, dass der politische Denker nach dem Kranz seiner diesbezüglichen Publikationen der Napoleonszeit keine weiteren politischen Schriften mehr veröffentlicht hat.
Der Mitschöpfer der Ersten Bayerischen Verfassung, dessen ewigen Ruhm auch eine nach ihm benannte Straße in der Münchner Maxvorstadt bezeugt, liegt heute noch auf dem Südfriedhof (unter einem Grabstein, der irgendwann das Grabmonument von 1835, siehe oben, ersetzte). Das Wahlrecht von über 50 Prozent der Bayerischen Bürger, die an der gestrigen Landtags- und an den Stadtratswahlen freiwilligerweise nicht teilgenommen haben, scheint gleichfalls auf irgendwelchen Friedhöfen zu ruhen.
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Bitte nicht vergessen: Georg Friedrich von Zentner. Zentner, ein Freund des Bürgerlichen Gesetzbuchs, setzte sich – im Gegensatz zu Montgelas, an dessen Sturz er beteiligt war – für die Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung, also auch für die Gründung eines verfassungsmäßig legitimierten Bayreuther Stadtrats ein. Er befürwortete auch die Schaffung einer einflussreichen Volksvertretung, solange das monarchische Prinzip gewahrt blieb. Vorschläge, die in die bedeutende, ja: avantgardistische Bayerische Verfassung von 1818 eingingen. Als König Max Joseph den Act der Beeidigung des Staatsrathes auf die Verfassungsurkunde vollzogen hatte, beschied er Z. als den, welcher vorzüglich das Werk ausgeführt, an den Thron, schmückte ihn eigenhändig mit dem Großkreuze des Civilverdienstordens, und umarmte ihn als Großmeister dieses Ordens vor der Versammlung, heißt es im wie üblich guten ADB-Artikel von 1900. Sein Porträt erstellte Georg Bodmer: nach einer Vorlage des bekannten Münchner Malers Joseph Stieler (Schönheitengalerie!! Goethe!).
Der Blogger muss sich, bevor er mit der Lektüre des Romans voranschreitet, erst einmal vom Ergebnis der Stadtratswahl jenes Ortes erholen, in dem der Dichter vor 200 Jahren lebte und von einem Magistrat regiert wurde, dessen gesetzliche Befugnisse erst 1818, also acht Jahre nach der Inkorporation Bayreuths in das Königreich Bayern, durch die erste Bayerische Verfassung, genauer: durch das Bayerische Gemeindeedikt geregelt wurden. Vorher konnten die Gemeindebürger zwar in bestimmten Grenzen in der Kommunalverwaltung mitarbeiten, doch konnte der Munizipalrat „nur auf staatliche Anweisung zusammentreten und Beschlüsse fassen“, wie ich im Historischen Lexikon Bayerns lese. Einiges an Bevormundung mussten sich die Bürger und ihr Verwaltungsgremium auch noch nach 1818 gefallen lassen, denn „die Selbstverwaltungsbefugnisse wurden erweitert, doch übten die vorgesetzten Behörden weiter eine straffe Aufsicht (Staatskuratel) aus.“ Zwar handelte es sich beim Wahlprocedere dieser Zeit noch nicht um ein Beispiel direkter Demokratie, denn die Bürger wählten, getreu dem Zensuswahlrecht, nur über Wahlmänner das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, das seinerseits die Mitglieder eines hochlöblichen, selbstverständlich nach der Höhe des Einkommens ausgewählten Magistrats erwählte. Trotzdem war das Jahr 1818 eine Grenzscheide: indem festgesetzt wurde, dass „die Gemeinden ihre Angelegenheiten durch Beschlüsse der Gemeindeversammlungen oder durch deren Vertreter und Bevollmächtigte zu besorgen haben“, wurden ihnen eine Eigenständigkeit eingeräumt, von der der Autor der Unsichtbaren Loge ein Vierteljahrhundert zuvor nur träumen konnte.
Und gestern nahmen grandiose 41 Prozent – noch drei Prozent weniger als vor vier Jahren – der Bayreuther Bürger ihr durchaus nicht selbstverständliches Wahlrecht wahr. Wo bleiben da die von Jean Paul angenommenen Werte Kraft und Freiheit des Denkens?
Für dieses wertvolle Wahlrecht gab es eine Französische Revolution, einen Napoleon und einige Vorkämpfer auch in Bayern, für dieses Wahlrecht gehen heute noch Menschen in aller Welt auf die Straßen, um sich erschießen zu lassen.
Jean Paul hat übrigens die politischen Entwicklungen dieser Jahre reflektiert. In den ersten Bayerischen Landtag von 1819 – 1818 sah den Dichter in Frankfurt und Heidelberg – rückte auch der gute Bekannte Miedel, in dessen Garten der Dichter des Öfteren sitzen und arbeiten sollte. Nachdem der Bamberger Bürgermeister und Deputierte von Hornthal die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung gefordert hatte, meinte Jean Paul, „dass die Baierschen Stände den Eiterpunkt der deutschen Monarchien betasten; und heute seh' ich's aus der Protestazion des baierschen Militärs. Die Sache kann sich sehr einwickeln“.
Zwar hat sich Jean Paul, wenn ich es richtig sehe, in seinen Schriften nicht ausdrücklich über das Gemeindeedikt und die Magistratsverfassung von 1818 geäußert, doch mag ein kleiner Paragraph aus den nach 1810 entstandenen Politischen Fastenpredigten dafür stehen:
7.
Kraft des Lichts
Fürsten, lasset es euch täglich aus der neuesten Krieggeschichte wiederholen, weil ihrs täglich vergeßt, dass Einsichten des Volks Kräfte verleihen und Licht Feuer gibt; in der Geschichte hat, wie in der Göttergeschichte, Minerva am meisten die Götter gegen die Giganten beschirmt. – Nicht die feurigen, sondern die lichten Völker überwinden zuletzt und dauern am längsten aus. Welches Sklaven-Volk hat nicht seine Leidenschaften und seine Glut und folglich seinen Mut von den Mongolen an bis zu den Algierern! – Einsichten hingegen, durch alle Klassen verbreitet, wie z. B. im britischen Staate, wirken in allen Verhältnissen und nach allen Richtungen hin und begaben mit einer festern Ausdauer langwieriger Lasten als alles flüchtige Feuer des Eifers. Kraft und Freiheit des Denkens sind die Sonnenstrahlen des Staats, an welchen alles Herbe sich versüßt; so wie die Pflanzen bei aller Wärme und Luft und Nässe kraft- und farblos bleiben, wenn sie keine Sonne beseelt.
Schade, dass der politische Denker nach dem Kranz seiner diesbezüglichen Publikationen der Napoleonszeit keine weiteren politischen Schriften mehr veröffentlicht hat.
Der Mitschöpfer der Ersten Bayerischen Verfassung, dessen ewigen Ruhm auch eine nach ihm benannte Straße in der Münchner Maxvorstadt bezeugt, liegt heute noch auf dem Südfriedhof (unter einem Grabstein, der irgendwann das Grabmonument von 1835, siehe oben, ersetzte). Das Wahlrecht von über 50 Prozent der Bayerischen Bürger, die an der gestrigen Landtags- und an den Stadtratswahlen freiwilligerweise nicht teilgenommen haben, scheint gleichfalls auf irgendwelchen Friedhöfen zu ruhen.