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08.11.2012, 21:43 Uhr
Joachim Schultz
Oskar Panizza-Reihe
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Oskar Panizza schuf mit der satirisch-grotesken Himmelstragödie "Das Liebeskonzil" (1894) den Anlass für einen der skandalösesten Blasphemieprozesse der deutschen Literaturgeschichte. Seit Oktober 2012 liest Joachim Schultz wöchentlich Werke von Oskar Panizza und begleitet ihn auf seinen Lebensstationen.

Panizza-Blog [5]: Flucht oder Bildungsreise?

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Claude Monet: Houses of Parliament, Sonnenuntergang (1902)

Mitte der 1880er wird Oskar Panizza weiter von der Angst vor dem Irrenhaus geplagt, so dass man in einigen Büchern über ihn lesen kann, er sei am 1. Oktober 1885 nach London geflohen. Ob es wirklich eine Flucht ist, möchte ich bezweifeln. Tatsache ist, dass er nun frei ist, mit seiner Jahresrente von 6000 Mark kann er sich solche Reisen leisten. Es ist eine Bildungsreise, im British Museum hält er sich des öfteren auf, vielleicht um Stoffe für neue Gedichte zu finden. Das Manuskript zu seinem ersten Gedichtband, die Düsteren Lieder, hat er vor der Veröffentlichung dem Münchner Hochschullehrer Professor Johann Nepomuk Sepp gezeigt. Der ist entsetzt und schreibt Panizzas Mutter, ein junger Mann, der solche Gedichte schreibe, sei krank. Ob dadurch seine Angst vor einer Geisteskrankheit noch verstärkt wird, wissen wir nicht. Aber er lässt sich nicht von der Veröffentlichung abhalten. Über seinen weiteren Aufenthalt in London ist wenig bekannt. Er bleibt dort fast ein Jahr und kehrt am 1. Oktober 1886 über Berlin nach München zurück und bezieht eine kleine Wohnung in der Goethestraße 10/I. Im Gepäck hat er genug Gedichte für einen neuen Gedichtband, der 1887 unter dem Titel Londoner Lieder erscheint. In diesen Gedichten, meist in vierzeiligen Strophen, ist besonders der Einfluss Heines zu merken. Hinzu kommt immer wieder eine Wendung zum Makabren, zur Angst, auch in den Gedichten, die ganz fröhlich beginnen. Zum Beispiel das Gedicht „Frühlingstag“ (S. 78):

Frühlingstag

Es scheint jetzt wieder die Sonne,
Es glitzert der Sonnensein,
Der schaut in die dunklen Thäler
Und Herzen der Menschen hinein.

Die blauen Blümlein im Thale
Machen die Kelche auf,
Und trocknen ab die Tränen
Und sprechen zum Himmel hinauf:

Ja, ja, Du große Sonne,
Nach so viel Sturm und Qual
Schaust Du in’s Thal herunter,
und erfreust uns allzumal, -

Du kleine, winzige Sonne,
Jetzt lachst Du wieder in’s Thal,
Du weißt nichts von uns’rer großen
Erschrecklichen Blumenqual.

 

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