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21.02.2014, 11:03 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [356]: Oefel, ein method actor und Realitätsplagiator

Richard Newton (1777-1798): Gewissensqualen (Oefel hat sie nicht, nicht einmal im B--)

Die Tatsache, dass der Gegenstand der Wissenschaft kein Gegenstand der Empfindung mehr bleibt, ist dem Umstand geschuldet, dass Jean Paul mit Oefel und Beate (wieder) ein Gegensatzpaar konstruiert: hier die kühle Technik des Romanschreibers, dort die Trauer der Hinterbliebenen. Oefel nämlich benutzt Amandus' Sterben, um seinen Großsultan weiterzuschreiben:

Oefel dankte Gott für jedes Unglück, das in einen Vers ging, und er wünschte zum Flor der schönen Wissenschaften, Pest, Hungernot und andre Gräßlichkeiten wären öfter in der Natur, damit der Dichter nach diesen Modellen arbeiten und größere Illusion daraus erzielen könnte, wie schon den Malern, welche geköpfte Leute oder aufgesprengte Schiffe malen wollten, mit den Urbildern dazu beigesprungen wurde. So aber musst' er oft aus Mangel an Akademien selber seine sein und war einmal einen ganzen Tag genötigt, tugendhafte Regungen zu haben, weil dergleichen in seinem Werk zu schildern waren –

 Daniel Chodowiecki: Im Bordell (1796)

 – ja oft musst' er eines einzigen Kapitels wegen mehre Male ins B-- gehen[1], welches ihn verdross.

Erinnert das nicht ein bisschen an Thomas Manns Schreibtechnik, Personen des nahen Umfeldes als Figuren in seine Romane zu schicken? Oder zumindest sehr starke, erkennbare Züge den erfundenen Personen anzuheften, auf dass jene erschrecken – oder vergnügt, je nachdem – sich wiedererkennen? Theodor W. Adorno jedenfalls war geschmeichelt, als er sich als „Teufel“ und seine Zwölfton-Thesen im Doktor Faustus entdeckte; Artur Holitscher, das „Vorbild“ des impotenten Detlev Spinell, den er im Tristan-Sanatorium Einfried einquartiert hatte, war weniger amüsiert. Dass Oefel aber geradezu ein method acting betreibt, um „authentische“ Szenen und Empfindungen in Worte gießen zu können: dies charakterisiert ihn als bloßen Plagiator der Wirklichkeit.

Beata aber ist ganz und gar echt. Wenn sie trauert, trauert sie, doch nicht um des Trauerns, sondern um des Gegenstandes dieses Trauerns willen: „Abends besuchte sie ihn selbst und brachte dem Schlafenden das Letzte, was die Freundschaft dann noch zu geben hat, im Übermaß.“ Dass der Erzähler dieses Letzte nicht ausdrücklich nennen muss: es macht ihn zu einem Verbündeten mit allen, die das um Amandus trauern.

So dringen also die Griffe des Unglücks in weiche Herzen am tiefsten; so sind die Tränen, die der Mensch vergießet, desto größer und schneller, je weniger ihm die Erde geben kann und je höher er von ihr steht, wie die Wolke, die höher als andre von der Erde sich entfernt, die größten Tropfen wirft.

Adalbert Stifter, der ein veritabler Jean-Paulianer war, war auch ein guter Maler. Wir verdanken ihm diese Wolkenstudie, die der Blogger vor vielen Jahren – aber wo? – gesehen und nicht mehr vergessen hat.

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[1] Der Wolf of Wall Street geht weniger ins B-- als dass er sich das B-- ins Haus holt.

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