Logen-Blog [354]: Was heißt und zu welchem Ende malt man Schlachtengemälde?
Der Offizier, der auf dem Schlachtfeld – dem Fleischhacker-Stock der Menschheit – über die zerbrochnen Menschen wegschreitet, denkt bloß an die Evolutionen und Viertel-Schwenkungen seiner Kadettenschule, die nötig waren, ganze Generationen in physiognomische Fragmente auszuschneiden. Der Bataillenmaler, der hinter ihm geht, denkt und sieht zwar auf die zerlegten Menschen und auf jede daliegende Wunde; aber er will alles für die Düsseldorfer Galerie nachkopieren, und das reine Menschen-Gefühl dieses Jammers weckt er erst durch sein Schlachtstück bei andern und wohl auch bei – sich. – So zieht jede Erkenntnis eine Stein-Kruste über unser Herz, die philosophische nicht allein.
Wilhelm von Kobell – gestern ist er uns als Viehmaler begegnet. Heute tritt er als Schlachtenmaler vor uns.
Der Blogger ist oft an den Gemälden vorbeigelaufen, die in einem Gang der immer wieder faszinierenden Münchner Residenz hängen. Laut Katalog hängen sieben Kobells in der Residenz. In der gigantischen Wittelsbacher-Ausstellung waren 1980 drei Stücke des Residenzmuseums ausgestellt, die aus der Kollektion der Schlachtenbilder stammten, die Kobell für Kronzprinz Ludwig gemalt hatte: u.a. eine Ansicht der Reiterschlacht von Hanau, die am 30. Oktober 1813 stattfand – ein sog. „entscheidendes“ Gefecht, ein Kampf der Batterie Napoleons gegen die bayerisch-österreichische Kavallerie, die schließlich von den Franzosen besiegt wurde. Da ist viel „Gewoge“ im Bild, aber wenn man genau hinschaut, wird man in der Mitte die französischen Kürassiere bemerken, gegen die von der linken Seite die bayerischen Chevaulegers rennen, während vorne die österreichischen Dragoner und Kürassiere auf ihren Einsatz warten – als schauten sie noch einem Schauspiel zu, das sie nicht betrifft – als sei das alles ein Spiel, dem sich auszusetzen tunlichst vermieden werden muss, was ja auch – Na Servus! – in gewissen Schwachheiten der österreichischen Seele wurzeln mag... aber rechts attackieren gerade österreichische Husaren die Kolonne der Kürassiere, und in der Mitte wird tatsächlich ein Toter zu den Österreichern gebracht: es ist der Herr von Wrede, den es erwischt hat, während sich hinten, im Lamboywald, die bayerische Infanterie ein Gefecht mit den französischen Kollegen liefert, bevor die Bayern von den französischen Reitern geschlagen wurden.
Zugegeben: es brauchte eine Weile, ehe der Blogger den Reiz dieser Ansichten erkannte. Nicht, dass er ein Militarist oder Bellizist – wie die vornehme Formel seit dem Irakkrieg lautet – wäre. Zwar hat er das eine oder andere Schlachtfeld besucht (Austerlitz und Königgrätz sind nicht ganz ohne) – aber auch er könnte sehr gut ohne den Krieg und seine künstlerischen Folgen auskommen. Da nun aber auch die Bilder Wilhelm von Kobells in der Welt sind und die Geschichte insbesondere der Napoleonischen Kriege ja nicht ganz uninteressant ist, lohnt auch hier eine nähere Betrachtung, die vielleicht über die reine Schätzung des Malwerts hinausgeht. Ein derartiges Bild betrachtend, wird man nachdenklich: denn es ging den Bayern, konkret: dem Herrn von Wrede nicht um den Sieg. Ein Sieg gegen die Franzosen war um keinen Preis zu erringen, da die Bayern nicht nur zahlenmäßig weit unterlegen waren, sondern auch in einem Gelände kämpften, das für eine Verteidigungsschlacht denkbar ungeeignet war. Zudem gingen den Bayern während der Schlacht die Kartuschen aus; der Untergang war also programmiert. Hier ging es nicht um einen militärischen Vorteil – hier ging es nur noch um einen symbolischen Akt, der die bayerisch-österreichische Bündnispolitik befestigen sollte. „Die eigentliche Aufgabe der bayerischen Armee in dieser Schlacht bestand also darin, zu kämpfen und Verluste zu leiden, der taktische Erfolg war von sekundärer Bedeutung“, schrieb Marcus Junkelmann im Katalog von 1980.
Dieses Ziel wurde von den Alliierten souverän erreicht. Ergebnis der Schlacht: 9000 tote Bayern und Österreicher[2], 20.000 tote und gefangene Franzosen. Napoleon ließ die Truppen des toten Wrede achtlos hinter sich und zog weiter in die Heimat. Das Gemälde aber verherrlicht den Triumph des Willens der Ehre über den militärischen Sinn eines derartigen Schlachtfests. Der gute Sir John Falstaff hätte den Kopf geschüttelt:
Ehre beseelt mich vorzudringen. Wenn aber Ehre mich beim Vordringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre ein Bein ansetzen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! – Wer hat sie? Er, der vergangene Mittwoch starb. Fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. – Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus.[2]
Bezeichnenderweise kümmerte man sich 1813 in Bayreuth, das von der französischen und österreichischen Okkupation nicht verschont blieb, scheinbar wenig um diese Gefechte. Die großen Ereignisse von 1813 werden zwar am Rande erwähnt, einzelne Gefechte, Eroberungen, Belagerungen im Billet-Kreise aber nur noch wie Bühnen-Szenen besprochen, schrieb Jean Pauls Vermieternachfahre Philipp Hausser in seinem vortrefflichen Buch Jean Paul und Bayreuth (das gerade wieder neuaufgelegt wurde). Ein Schauspiel, aber ach, / ein Schauspiel nur? 20 Jahre zuvor hatte der Dichter der Loge darüber nachgedacht, worin die Schlachtenmalerei wurzelt – und was sie, wenn's glückt, provozieren könnte: die humane Reflexion.
Im Dezember sollte er dann seine Flugschrift Mars' und Phöbus' Thronwechsel schreiben: ein Propagandawerkchen für die Heilige Allianz – aber auch ein Hoffnungssermon nach der Zeit der Schlachten:
Heil euch, ihr Fürsten, um welche die Zukunft die Schlachtenfeuer wie Heiligenscheine wird schweben sehen! Erhaltet euch nur unentblättert den Lorbeerkranz, den die Geschichte zum ersten Male flicht und weiht. – Die Feuerräder der Vergeltung gehen und rauschen, getrieben von den Blut- und Tränenströmen Europas – die Abendwolken der Zeit sind blutrot, und die Röte verkündigt einen blauen Morgen; also krönt mit dem Schwersten das Schwere, mit dem letzten Siege den ersten, mit dem Frieden den Krieg – und nach der gewaltigen, alle Thronhöhen überwogenden Blutsündflut des Jahrhunderts wölbet über Europa einen Regenbogen des Friedens, welcher, ein göttliches Bundes-Zeichen, die Ruhe der Welt beschwört.
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[1] Vielleicht hat Napoleon hierzu bemerkt: Eine Nacht in Wien und München macht alles wett.
[2] Henry IV.
Logen-Blog [354]: Was heißt und zu welchem Ende malt man Schlachtengemälde?>
Der Offizier, der auf dem Schlachtfeld – dem Fleischhacker-Stock der Menschheit – über die zerbrochnen Menschen wegschreitet, denkt bloß an die Evolutionen und Viertel-Schwenkungen seiner Kadettenschule, die nötig waren, ganze Generationen in physiognomische Fragmente auszuschneiden. Der Bataillenmaler, der hinter ihm geht, denkt und sieht zwar auf die zerlegten Menschen und auf jede daliegende Wunde; aber er will alles für die Düsseldorfer Galerie nachkopieren, und das reine Menschen-Gefühl dieses Jammers weckt er erst durch sein Schlachtstück bei andern und wohl auch bei – sich. – So zieht jede Erkenntnis eine Stein-Kruste über unser Herz, die philosophische nicht allein.
Wilhelm von Kobell – gestern ist er uns als Viehmaler begegnet. Heute tritt er als Schlachtenmaler vor uns.
Der Blogger ist oft an den Gemälden vorbeigelaufen, die in einem Gang der immer wieder faszinierenden Münchner Residenz hängen. Laut Katalog hängen sieben Kobells in der Residenz. In der gigantischen Wittelsbacher-Ausstellung waren 1980 drei Stücke des Residenzmuseums ausgestellt, die aus der Kollektion der Schlachtenbilder stammten, die Kobell für Kronzprinz Ludwig gemalt hatte: u.a. eine Ansicht der Reiterschlacht von Hanau, die am 30. Oktober 1813 stattfand – ein sog. „entscheidendes“ Gefecht, ein Kampf der Batterie Napoleons gegen die bayerisch-österreichische Kavallerie, die schließlich von den Franzosen besiegt wurde. Da ist viel „Gewoge“ im Bild, aber wenn man genau hinschaut, wird man in der Mitte die französischen Kürassiere bemerken, gegen die von der linken Seite die bayerischen Chevaulegers rennen, während vorne die österreichischen Dragoner und Kürassiere auf ihren Einsatz warten – als schauten sie noch einem Schauspiel zu, das sie nicht betrifft – als sei das alles ein Spiel, dem sich auszusetzen tunlichst vermieden werden muss, was ja auch – Na Servus! – in gewissen Schwachheiten der österreichischen Seele wurzeln mag... aber rechts attackieren gerade österreichische Husaren die Kolonne der Kürassiere, und in der Mitte wird tatsächlich ein Toter zu den Österreichern gebracht: es ist der Herr von Wrede, den es erwischt hat, während sich hinten, im Lamboywald, die bayerische Infanterie ein Gefecht mit den französischen Kollegen liefert, bevor die Bayern von den französischen Reitern geschlagen wurden.
Zugegeben: es brauchte eine Weile, ehe der Blogger den Reiz dieser Ansichten erkannte. Nicht, dass er ein Militarist oder Bellizist – wie die vornehme Formel seit dem Irakkrieg lautet – wäre. Zwar hat er das eine oder andere Schlachtfeld besucht (Austerlitz und Königgrätz sind nicht ganz ohne) – aber auch er könnte sehr gut ohne den Krieg und seine künstlerischen Folgen auskommen. Da nun aber auch die Bilder Wilhelm von Kobells in der Welt sind und die Geschichte insbesondere der Napoleonischen Kriege ja nicht ganz uninteressant ist, lohnt auch hier eine nähere Betrachtung, die vielleicht über die reine Schätzung des Malwerts hinausgeht. Ein derartiges Bild betrachtend, wird man nachdenklich: denn es ging den Bayern, konkret: dem Herrn von Wrede nicht um den Sieg. Ein Sieg gegen die Franzosen war um keinen Preis zu erringen, da die Bayern nicht nur zahlenmäßig weit unterlegen waren, sondern auch in einem Gelände kämpften, das für eine Verteidigungsschlacht denkbar ungeeignet war. Zudem gingen den Bayern während der Schlacht die Kartuschen aus; der Untergang war also programmiert. Hier ging es nicht um einen militärischen Vorteil – hier ging es nur noch um einen symbolischen Akt, der die bayerisch-österreichische Bündnispolitik befestigen sollte. „Die eigentliche Aufgabe der bayerischen Armee in dieser Schlacht bestand also darin, zu kämpfen und Verluste zu leiden, der taktische Erfolg war von sekundärer Bedeutung“, schrieb Marcus Junkelmann im Katalog von 1980.
Dieses Ziel wurde von den Alliierten souverän erreicht. Ergebnis der Schlacht: 9000 tote Bayern und Österreicher[2], 20.000 tote und gefangene Franzosen. Napoleon ließ die Truppen des toten Wrede achtlos hinter sich und zog weiter in die Heimat. Das Gemälde aber verherrlicht den Triumph des Willens der Ehre über den militärischen Sinn eines derartigen Schlachtfests. Der gute Sir John Falstaff hätte den Kopf geschüttelt:
Ehre beseelt mich vorzudringen. Wenn aber Ehre mich beim Vordringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre ein Bein ansetzen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung! – Wer hat sie? Er, der vergangene Mittwoch starb. Fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. – Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus.[2]
Bezeichnenderweise kümmerte man sich 1813 in Bayreuth, das von der französischen und österreichischen Okkupation nicht verschont blieb, scheinbar wenig um diese Gefechte. Die großen Ereignisse von 1813 werden zwar am Rande erwähnt, einzelne Gefechte, Eroberungen, Belagerungen im Billet-Kreise aber nur noch wie Bühnen-Szenen besprochen, schrieb Jean Pauls Vermieternachfahre Philipp Hausser in seinem vortrefflichen Buch Jean Paul und Bayreuth (das gerade wieder neuaufgelegt wurde). Ein Schauspiel, aber ach, / ein Schauspiel nur? 20 Jahre zuvor hatte der Dichter der Loge darüber nachgedacht, worin die Schlachtenmalerei wurzelt – und was sie, wenn's glückt, provozieren könnte: die humane Reflexion.
Im Dezember sollte er dann seine Flugschrift Mars' und Phöbus' Thronwechsel schreiben: ein Propagandawerkchen für die Heilige Allianz – aber auch ein Hoffnungssermon nach der Zeit der Schlachten:
Heil euch, ihr Fürsten, um welche die Zukunft die Schlachtenfeuer wie Heiligenscheine wird schweben sehen! Erhaltet euch nur unentblättert den Lorbeerkranz, den die Geschichte zum ersten Male flicht und weiht. – Die Feuerräder der Vergeltung gehen und rauschen, getrieben von den Blut- und Tränenströmen Europas – die Abendwolken der Zeit sind blutrot, und die Röte verkündigt einen blauen Morgen; also krönt mit dem Schwersten das Schwere, mit dem letzten Siege den ersten, mit dem Frieden den Krieg – und nach der gewaltigen, alle Thronhöhen überwogenden Blutsündflut des Jahrhunderts wölbet über Europa einen Regenbogen des Friedens, welcher, ein göttliches Bundes-Zeichen, die Ruhe der Welt beschwört.
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[1] Vielleicht hat Napoleon hierzu bemerkt: Eine Nacht in Wien und München macht alles wett.
[2] Henry IV.