Logen-Blog [328]: Gustav, das Alien auf der Party
Es ist die süß sehrende Säure der Tugend, die dafür sorgt, dass sich Gustav in inneren Krämpfen windet. Er läuft wie ein Alien durch die Party, denn er ist unfähig, im Diskurs seine Ansicht des Gegenstandes den Tugendaposteln, die das Ding an sich mit körperlichen Attraktivitäten verkoppeln, entgegenzuschleudern. Der Autor macht daraus eine psychisch eingreifende Angelegenheit: Wen unter diesen Herodes-Beschimpfungen seiner Heilandin nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern mit uns auf unserm besondern Zimmer isset, aber an der table d'hôte aus unserem Innern eilt – – bloß also wer in solchen Lagen keuchte, kann sich Gustavs Alpdrücken in der seinigen denken.
Nun müsste man allerdings fragen, was es bringen würde, seine Meinung im Kreis der „witzigen und entscheidenden“ Leute zu verteidigen. Befindet sich Gustav etwa in einem philosophischen Seminar der Pariser Aufklärer? Nein – aber ist es wirklich von Wichtigkeit, dass er auf Teufel komm raus die Partei der Tugend ergreift? Cui bono? Würde es mehr als seinem Seelenheil dienen, vor Beata, dem fleischgewordenen Liebessymbol, einer wandelnden Allegorie der Tugend, sein Ideal zu verteidigen?
Darüber könnte man lange streiten – denn Meinungsfreiheit ist auch im Zeitalter der „Aufklärung“ nichts, wenn man sie nicht in actu verteidigt. Dagegen steht nicht die Naivität des jungen Mannes – eine Naivität, die mich an einen bösen, klugen Satz erinnert: „Wer in seiner Jugend kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer in seinem Alter noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.“
Was „Tugend“ in der Realität der 90er Jahre bedeutete, hat Robespierre, der Henker der Revolution, eindeutig gesagt:
Die Terreur ist nichts anderes als unmittelbare, strenge, unbeugsame Gerechtigkeit; sie ist also Ausfluss der Tugend; sie ist weniger ein besonderes Prinzip als die Konsequenz des allgemeinen Prinzips der Demokratie in seiner Anwendung auf die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes.
Es ist unwahrscheinlich, dass der sensible Gustav die Mittel des schon bald einsetzenden Terreur-Regimes, das zugleich eine „Tugend“-Herrschaft war, verteidigt hätte. Allein in diesem grauenvollen Regime steckte der Anspruch, die „Tugend“ – nicht die „Tugenden“! – gegen ihre Gegner zu verteidigen. Es scheint also besser zu sein, keinerlei Tugend zu statuieren. Es kommt, im besten Fall, die blanke Theorie heraus.
Insofern dürften die Herrschaften, die Gustav so verachtet, einfach Recht haben: Man hat keine Tugend, nur Tugenden. Wenn überhaupt – denn wenn Gustavs Unfähigkeit zum Diskurs und Beatas Leiden tugendhaft sein sollen, dann... der Leser denke sich, was er will.
Im Februar 1793 – als Jean Paul den Druck der Unsichtbaren Loge vorbereitete – gab James Gillray seinen bitteren, satirischen Kommentar zum tugendhaften Gipfel der Freiheit ab: The Zenith of French Glory: The Pinnacle of Liberty. Religion, Justice, Loyality & all the Bugbears of Unenlightend Minds, Farewell!
Logen-Blog [328]: Gustav, das Alien auf der Party>
Es ist die süß sehrende Säure der Tugend, die dafür sorgt, dass sich Gustav in inneren Krämpfen windet. Er läuft wie ein Alien durch die Party, denn er ist unfähig, im Diskurs seine Ansicht des Gegenstandes den Tugendaposteln, die das Ding an sich mit körperlichen Attraktivitäten verkoppeln, entgegenzuschleudern. Der Autor macht daraus eine psychisch eingreifende Angelegenheit: Wen unter diesen Herodes-Beschimpfungen seiner Heilandin nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern mit uns auf unserm besondern Zimmer isset, aber an der table d'hôte aus unserem Innern eilt – – bloß also wer in solchen Lagen keuchte, kann sich Gustavs Alpdrücken in der seinigen denken.
Nun müsste man allerdings fragen, was es bringen würde, seine Meinung im Kreis der „witzigen und entscheidenden“ Leute zu verteidigen. Befindet sich Gustav etwa in einem philosophischen Seminar der Pariser Aufklärer? Nein – aber ist es wirklich von Wichtigkeit, dass er auf Teufel komm raus die Partei der Tugend ergreift? Cui bono? Würde es mehr als seinem Seelenheil dienen, vor Beata, dem fleischgewordenen Liebessymbol, einer wandelnden Allegorie der Tugend, sein Ideal zu verteidigen?
Darüber könnte man lange streiten – denn Meinungsfreiheit ist auch im Zeitalter der „Aufklärung“ nichts, wenn man sie nicht in actu verteidigt. Dagegen steht nicht die Naivität des jungen Mannes – eine Naivität, die mich an einen bösen, klugen Satz erinnert: „Wer in seiner Jugend kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer in seinem Alter noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.“
Was „Tugend“ in der Realität der 90er Jahre bedeutete, hat Robespierre, der Henker der Revolution, eindeutig gesagt:
Die Terreur ist nichts anderes als unmittelbare, strenge, unbeugsame Gerechtigkeit; sie ist also Ausfluss der Tugend; sie ist weniger ein besonderes Prinzip als die Konsequenz des allgemeinen Prinzips der Demokratie in seiner Anwendung auf die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes.
Es ist unwahrscheinlich, dass der sensible Gustav die Mittel des schon bald einsetzenden Terreur-Regimes, das zugleich eine „Tugend“-Herrschaft war, verteidigt hätte. Allein in diesem grauenvollen Regime steckte der Anspruch, die „Tugend“ – nicht die „Tugenden“! – gegen ihre Gegner zu verteidigen. Es scheint also besser zu sein, keinerlei Tugend zu statuieren. Es kommt, im besten Fall, die blanke Theorie heraus.
Insofern dürften die Herrschaften, die Gustav so verachtet, einfach Recht haben: Man hat keine Tugend, nur Tugenden. Wenn überhaupt – denn wenn Gustavs Unfähigkeit zum Diskurs und Beatas Leiden tugendhaft sein sollen, dann... der Leser denke sich, was er will.
Im Februar 1793 – als Jean Paul den Druck der Unsichtbaren Loge vorbereitete – gab James Gillray seinen bitteren, satirischen Kommentar zum tugendhaften Gipfel der Freiheit ab: The Zenith of French Glory: The Pinnacle of Liberty. Religion, Justice, Loyality & all the Bugbears of Unenlightend Minds, Farewell!