Logen-Blog [32]: Über Schönheit und Geistesgröße
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen... Jean Paul gestattet sich eine Reflexion über die Schönheit, über Gustavs Schönheit. Man könne sie – die Schönheit – sowohl von vorn als auch von hinten dartun, sagt er. Seltsame Vorstellung: dieses Vorn und Hinten. In Zusammenhang mit Johann Joachim Winkelmann, der ein paar Zeilen später erwähnt wird (genauer: sein Bildnis), erhält diese örtliche Doppeldefinition natürlich etwas Zweideutiges, wenn man es obszön fasst. Von vorn: das meint die unmittelbar ansichtige Schönheit, Gustavs Bleichheit, sein schönes Auge. Der Dichter entwirft hier eine Anthropologie, die vom Inneren aufs Äußere schließt. Gustav habe sozusagen noch nichts Gravierendes erleiden müssen, daher seien seine Züge makellos. „Alles Schöne aber ist sanft; daher sind die schönsten Völker die ruhigsten; daher verzerret heftige Arbeit arme Kinder und arme Völker“. Das klingt arg einseitig, der Dichter liebt diese Art von Aphorismus, aber es mag etwas Wahres daran sein (es gilt zumindest, was den Zusammenhang von Schönheit und Sanftheit betrifft, für meine letzte Geliebte).
Und von hinten? Nun kommt Winkelmann, auch Shakespeare ins Spiel. Er, der Erzähler, habe nämlich bei einer Auktion Gustavs Bildnis ersteigert. Es war eben jener Herr Röper, der die Stiche seiner Eltern feilbot, aber der Erzähler interessierte sich nur für das Bild des Knaben, das nun an der Wand gegenüber seinem Schreibtisch hängt, wo er eben dies beschreibt. Dort hängt er, zwischen Shakespeare und Winkelmann („von Bause“). Johann Friedrich Bause war ein anerkannter Künstler; er lebte zufällig in jener Stadt, in der Jean Paul studiert hatte. Sein Winkelmannbildnis, nach dem berühmten Gemälde von Anton Maron, zeigt uns den großen, „schönen“ Mann; er mag ungefähr so ausgesehen haben. Die Bildnisse, die das Konterfei des sogenannten Shakespeare zeigen, präsentieren hingegen die stark idealisierte Ansicht eines provinziellen Händlers, den sich die Zeit als genialen Künstler zurechtimaginierte. Der Dichter meint, dass Gustav denselben tiefsinnigen Ausdruck im Gesicht trage, sodass die Nachbarschaft zu derart großen Geistern keine angemaßte sei. Der Leser darf also gespannt sein, durch welche Gedanken und Taten sich Gustav den Geistesheroen als ebenbürtig erweisen wird.
Vorderhand unterbricht sich der Autor selbst: es geschieht etwas, was ihn plötzlich einhalten lässt – der Leser wird auch dies, sagt der Kommentator, niemals erfahren. Allerdings handelt es sich, nach der Deskription des edlen Antlitzes, um keinen cliffhanger. Der Beweis von Gustavs Geistesgröße wird, so hofft es der gespannte Leser, der kühnen Behauptung später folgen.
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Wer die Schönheit angeschaut mit Augen... Jean Paul gestattet sich eine Reflexion über die Schönheit, über Gustavs Schönheit. Man könne sie – die Schönheit – sowohl von vorn als auch von hinten dartun, sagt er. Seltsame Vorstellung: dieses Vorn und Hinten. In Zusammenhang mit Johann Joachim Winkelmann, der ein paar Zeilen später erwähnt wird (genauer: sein Bildnis), erhält diese örtliche Doppeldefinition natürlich etwas Zweideutiges, wenn man es obszön fasst. Von vorn: das meint die unmittelbar ansichtige Schönheit, Gustavs Bleichheit, sein schönes Auge. Der Dichter entwirft hier eine Anthropologie, die vom Inneren aufs Äußere schließt. Gustav habe sozusagen noch nichts Gravierendes erleiden müssen, daher seien seine Züge makellos. „Alles Schöne aber ist sanft; daher sind die schönsten Völker die ruhigsten; daher verzerret heftige Arbeit arme Kinder und arme Völker“. Das klingt arg einseitig, der Dichter liebt diese Art von Aphorismus, aber es mag etwas Wahres daran sein (es gilt zumindest, was den Zusammenhang von Schönheit und Sanftheit betrifft, für meine letzte Geliebte).
Und von hinten? Nun kommt Winkelmann, auch Shakespeare ins Spiel. Er, der Erzähler, habe nämlich bei einer Auktion Gustavs Bildnis ersteigert. Es war eben jener Herr Röper, der die Stiche seiner Eltern feilbot, aber der Erzähler interessierte sich nur für das Bild des Knaben, das nun an der Wand gegenüber seinem Schreibtisch hängt, wo er eben dies beschreibt. Dort hängt er, zwischen Shakespeare und Winkelmann („von Bause“). Johann Friedrich Bause war ein anerkannter Künstler; er lebte zufällig in jener Stadt, in der Jean Paul studiert hatte. Sein Winkelmannbildnis, nach dem berühmten Gemälde von Anton Maron, zeigt uns den großen, „schönen“ Mann; er mag ungefähr so ausgesehen haben. Die Bildnisse, die das Konterfei des sogenannten Shakespeare zeigen, präsentieren hingegen die stark idealisierte Ansicht eines provinziellen Händlers, den sich die Zeit als genialen Künstler zurechtimaginierte. Der Dichter meint, dass Gustav denselben tiefsinnigen Ausdruck im Gesicht trage, sodass die Nachbarschaft zu derart großen Geistern keine angemaßte sei. Der Leser darf also gespannt sein, durch welche Gedanken und Taten sich Gustav den Geistesheroen als ebenbürtig erweisen wird.
Vorderhand unterbricht sich der Autor selbst: es geschieht etwas, was ihn plötzlich einhalten lässt – der Leser wird auch dies, sagt der Kommentator, niemals erfahren. Allerdings handelt es sich, nach der Deskription des edlen Antlitzes, um keinen cliffhanger. Der Beweis von Gustavs Geistesgröße wird, so hofft es der gespannte Leser, der kühnen Behauptung später folgen.