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21.11.2013, 13:40 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [287]: Auf den Spuren einer Metapher

Ah, da ist es ja endlich: das gute alte Sprachgitter:

Der Leser hat im ganzen Buche noch nicht drei Worte reden oder schreiben dürfen: jetzt will ich ihn ans Sprachgitter oder ins Parloir lassen und seine Fragen nachschreiben.

Nein, Jean Paul hat das Wort nicht erfunden, aber er hat es für das metaphorische Sprechen fruchtbar gemacht. Sprach- oder Sprechgitter sind keine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts; in den Klöstern kennt man sie seit langer Zeit: auch in Venedig, wo Francesco Guardi die Nonnen von San Zaccaria[1] und ihren schicken Besuch samt Bologneser gemalt hat. Für den Münchhausenfilm mit Hans Albers und Ilse Werner[2] als schöne Isabella (die der Bruder ins Kloster eingesperrt hat, wo sie auf ihre Liebe zum Baron verzichten muss), haben die Ausstatter diese Szene übrigens nachgestellt.

Der Literaturfreund kennt das Sprachgitter zuerst durch Paul Celans gleichnamiges Gedicht[3], das offensichtlich durch ein reales Sprachgitter – das des Klosters Pfullingen – inspiriert wurde:

Augenrund zwischen den Stäben.
Flimmertier Lid
rudert nach oben,
gibt einen Blick frei.
Iris, Schwimmerin, traumlos und trüb:
der Himmel, herzgrau, muss nah sein.
Schräg, in der eisernen Tülle,
der blakende Span.
Am Lichtsinn
errätst du die Seele. …

Weiß man um den realen Gehalt eines Klostersprachgitters, leuchtet schon wesentlich mehr Sinn in die scheinbar dunklen Verse hinein. Man muss nur wissen, wie es in Klöstern zugeht.

Auch Jean Paul hat es gewusst; in seinen Werken seit der Loge hat er den Begriff oft untergebracht: im Hesperus (weil das Sprachgitter, das man jetzt um die englische Pressfreiheit gemacht), den Palingenesien (wenn ich nachts auf der Gasse vor den Sprachgittern der Schlafkammern vorbeigehe), dem Titan (der alte Mann sprach hinter dem Sprachgitter des Schlafs mit Toten), dem Kampanertal (schlugen die Nachtigallen lauter hinter blühenden Sprachgittern).

Noch Fragen, lieber Leser?

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[1] Der Venedig-Liebhaber wird wissen, was ich meine, wenn ich in Zusammenhang mit San Zaccaria nur den einen großen Namen schreibe: BELLINI.

[2] Der Blogger hörte diese berühmte Schauspielerin und Kunstpfeiferin noch pfeifen – Erinnerungen...

[3] „Diesen Celan-Text kann man nicht mehr- oder eindeutig interpretieren. Man darf ihn als opto-psychologische Gebets- oder Kommunikations-Verhinderungsmystik (samt weinendem Flimmertier) ein Leben lang – neben sich – unvollendet scheitern lassen“, lese ich im Netz. Barbara Wiedemann, die innerhalb der schönen Marbacher Spuren-Reihe (in der auch der gute Armin Elhardt – von Haus zu Haus, d.h.: von PC zu PC: ein Gruß in die Wutzelei! – ein Heft über Jean Pauls Aufenthalt in Stuttgart herausgebracht hat) einen Aufsatz über Celans Gedicht und das Pfullinger Sprechgitter veröffentlicht hat, Frau Wiedemann also meinte: „Das Bewusstmachen des Trennenden und der Unterschiede ist notwendige Voraussetzung für das Gespräch mit dem Leser und gehört mit zum Gesagten; das Gedicht selbst ist ein Sprachgitter“. Das trifft es.

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