Logen-Blog [235]: Der Blogger erinnert sich an frühe Lektüren
Die Sache kam bloß von ihrem linken Ohre her. Welche Sache? Wessen Ohr? Sie – das ist Philippine, ihr linkes Ohr wird operiert, denn ihr „Ohrgehenk hatte sich durch das Ohrläppchen durchgerissen“, das der Dr. – also Fenk – durchlöchern soll.
Die Szene bringt mich urplötzlich zurück in die tiefe Vergangenheit. Ich erinnere mich, als hätte ich's gestern gelesen, an eine Stelle in einem Roman, den ich vor 35 Jahren in einer Art Großhütte im Bayerischen Wald gelesen habe. Ich denke an einen Autor, der heute kaum noch bekannt sein dürfte: Peter Motram. Als ich seinen Roman Myron las, war der Roman gerade einmal vier oder fünf Jahre auf dem Markt. Ich habe praktisch alles vergessen, ich weiß nicht mehr, wer Myron wirklich war – aber ich habe nicht vergessen, dass der Heldin des Buches mit Gewalt ein Ohrring herausgerissen wird, so dass das Ohrläppchen reißt. So etwas merkt man sich.
Auf dem Cover des Rowohlt-Taschenbuchs war damals ein Bild aus Ben Hur zu sehen; mag sein, dass das dazu beigetragen hat, den Roman zu kaufen. 2002 erschien er ein letztes Mal unter dem Titel Der Sieger von Olympia – ein fast pseudonymer Titel. „Motram“ selbst war ein Pseudonym; in Wirklichkeit hieß der (1902 geborene) Autor „Peter Seckelmann“, emigrierte 1938 nach England, wurde dort Chef des Soldatensenders Calais – der mit mehr oder weniger subtilen, auch mal witzigen Mitteln Propaganda gegen die Deutschen betrieb –, wirkte nach dem Krieg beim Aufbau der dpa und bei der Zürcher Weltwoche mit und wurde in den 60er und 70er Jahren ein erfolgreicher Romanautor, nachdem er bereits in den 30er Jahren mit der Belletristik begonnen hatte – übrigens auch als Übersetzer von Irwin Shaw[1] und Alistair MacLean fungierte.
Wer kennt heute noch Der Tag, der nicht im Kalender stand, Myron und Dione? Man wird diese Romane noch öfters für sehr wenig Geld auf Flohmärkten finden. Der Ruhm des Dichters ist, wohl zurecht, verflogen, aber auch diese Bücher haben ihre Zeiten, vor allem aber ihre Funktion – und sei es, einen jungen Mann, der spannende Geschichten lesen will, mit Szenen zu faszinieren, an die er sich noch nach dreieinhalb Jahrzehnten erinnert, als hätte er sie gestern gelesen.
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[1] Das literarische Frühleben des Bloggers wäre auch ohne Irwin Shaws Michelangelo-Roman The agony and the ecstasy ärmer gewesen. Wer sagt, dass es schlecht ist, über – nicht ganz üble – Trivialromane über bedeutende Gestalten der Kunstgeschichte erstaufgeklärt zu werden?
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Die Sache kam bloß von ihrem linken Ohre her. Welche Sache? Wessen Ohr? Sie – das ist Philippine, ihr linkes Ohr wird operiert, denn ihr „Ohrgehenk hatte sich durch das Ohrläppchen durchgerissen“, das der Dr. – also Fenk – durchlöchern soll.
Die Szene bringt mich urplötzlich zurück in die tiefe Vergangenheit. Ich erinnere mich, als hätte ich's gestern gelesen, an eine Stelle in einem Roman, den ich vor 35 Jahren in einer Art Großhütte im Bayerischen Wald gelesen habe. Ich denke an einen Autor, der heute kaum noch bekannt sein dürfte: Peter Motram. Als ich seinen Roman Myron las, war der Roman gerade einmal vier oder fünf Jahre auf dem Markt. Ich habe praktisch alles vergessen, ich weiß nicht mehr, wer Myron wirklich war – aber ich habe nicht vergessen, dass der Heldin des Buches mit Gewalt ein Ohrring herausgerissen wird, so dass das Ohrläppchen reißt. So etwas merkt man sich.
Auf dem Cover des Rowohlt-Taschenbuchs war damals ein Bild aus Ben Hur zu sehen; mag sein, dass das dazu beigetragen hat, den Roman zu kaufen. 2002 erschien er ein letztes Mal unter dem Titel Der Sieger von Olympia – ein fast pseudonymer Titel. „Motram“ selbst war ein Pseudonym; in Wirklichkeit hieß der (1902 geborene) Autor „Peter Seckelmann“, emigrierte 1938 nach England, wurde dort Chef des Soldatensenders Calais – der mit mehr oder weniger subtilen, auch mal witzigen Mitteln Propaganda gegen die Deutschen betrieb –, wirkte nach dem Krieg beim Aufbau der dpa und bei der Zürcher Weltwoche mit und wurde in den 60er und 70er Jahren ein erfolgreicher Romanautor, nachdem er bereits in den 30er Jahren mit der Belletristik begonnen hatte – übrigens auch als Übersetzer von Irwin Shaw[1] und Alistair MacLean fungierte.
Wer kennt heute noch Der Tag, der nicht im Kalender stand, Myron und Dione? Man wird diese Romane noch öfters für sehr wenig Geld auf Flohmärkten finden. Der Ruhm des Dichters ist, wohl zurecht, verflogen, aber auch diese Bücher haben ihre Zeiten, vor allem aber ihre Funktion – und sei es, einen jungen Mann, der spannende Geschichten lesen will, mit Szenen zu faszinieren, an die er sich noch nach dreieinhalb Jahrzehnten erinnert, als hätte er sie gestern gelesen.
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[1] Das literarische Frühleben des Bloggers wäre auch ohne Irwin Shaws Michelangelo-Roman The agony and the ecstasy ärmer gewesen. Wer sagt, dass es schlecht ist, über – nicht ganz üble – Trivialromane über bedeutende Gestalten der Kunstgeschichte erstaufgeklärt zu werden?