Logen-Blog [233]: Zu Tisch bei Wutzens
Der Erzähler, bei Wutzens eingeladen, findet ganz köstliche[1] Vergleiche für das Essen, das ihn in des Schulmeisters Stube erwartet:
Unsere Schaugerichte waren vielleicht für einen Kurfürsten zu kostbar: denn sie bestanden nicht etwa aus Porzellan, Wachs oder aus Alabaster-Sämereien auf Spiegelplatten und waren nicht etwa bloß wenige Pfund schwer: sondern die beiden Schaugerichte wogen sechzig und waren vom nämlichen Meister und von der nämlichen Materie wie die Kurfürstenbank, von Fleisch und Blut, nämlich Wutzens Kinder. Ein geistlicher Kurfürst würde vor Vergnügen keinen Bissen essen können, wenn er, wie wir, neben seiner Riesen-Tafel ein Zwerg-Täfelchen mit seinen Kleinen darum stehen hätte. Ihr Tisch war nicht viel größer als eine Heringschüssel; sie sahen aber auf Verhältnis und speiseten auf dem lilliputischen Tafel-Service, wovon sie seit Weihnachten mehr spielenden als ernsthaften Gebrauch gemacht hatten. Die Kleinen waren außer sich, ihr Fleisch auf Oblaten von Tellern und mit Haarsägen von Messern zu zerschneiden; – Spiel und Ernst flossen hier wie bei essenden Schauspielern ineinander; und am Ende sah ich, dass es bei mir auch so war und dass mein Vergnügen von erkünstelter Kleinheit und Armseligkeit käme.
Wir haben auf unserem Jean-Paul-Weg auch – an der Station Waldhütte – mit einem Hörtext[2] auf ein satirisches Schauessen hingewiesen, das der Dichter in der Auswahl aus des Teufels Papieren untergebracht hat: Wie ein Fürst seine Unterthanen nach der Parforcejagd bewirthen lassen. Der Text ist eine bitterböse Satire auf die Fürsten, die ihre Bauern hungern lassen, und auf die Bauern, die nicht wissen, was sie fressen sollen. Hier nur ein charakteristischer Ausschnitt:
Hierin wurde auch, wie ich hätte voraussagen wollen, fast nichts gesparet, sondern Schaugerichte aller Art sowohl aus erhabener Arbeit von Porzellain, Glas und Wachs, als aus Pastellgemälden von gepülvertem Alabaster auf Spiegelplatten aufgetragen, standen häufig auf den langen rot abgefärbten Tafeln hin, woran die Bauern mit ihren geniessenden Augen hinauf und heruntersaßen: es gefiel ihnen aber fast kein Gericht mehr als eine wächserne Vorstellung ihrer durch Hegen und Jagen des Wildes zertretenen Felder, die sie beständig mit den vor ihnen liegenden abgeerndeten Originalen geschickt zusammenhielten. Was die allgemeine Freude an die äussersten Grenzen trieb, war dass jeder, nachdem er sich an diesen gesunden Speisen völlig satt gesehen hatte, vom Tische aufstehen und zum Überflus allerlei Viktualien, die Leute aus der Stadt in Menge hergeschoben hatten, für Geld und gute Worte leichtlich haben konnte. Sogar vom erlegten Wildpret liess ihnen der Fürst so viel zukommen als sie nur kaufen wollten, als welches (und viele rühmten es auch) in einem Überfluss vorhanden war, dass es gröstenteils anbrüchig und stinkend wurde: denn die Jagdhunde konnten nicht alles, was die Bauern ungekauft gelassen, zusammenfressen. Unser gnädigster Fürst, der (und desgleichen auch unsere Landesmutter) darauf dringt, dass seine Leute mehr als gewöhnlich lustig sind, hat daher den Landleuten zu mehreren solchen Parforcejagden und kalten Küchen hinlängliche Hoffnung gemacht...
Interessanterweise hat Jean Paul das Thema so interessiert, dass er ihm noch weitere Texte gewidmet hat. Unter den Vorstufen der Auswahl aus des Teufels Papieren findet sich unter der Nummer VIII die Bibliothek von Schriften die Schauessen betreffend: mit insgesamt vier Texten, die in der Werkausgabe immerhin 28 Druckseiten einnehmen.
Jean Paul hat das alles nur zwei Jahre vor der Niederschrift der Unsichtbaren Loge geschrieben – unwahrscheinlich, dass er sich nicht an diese etwas älteren Texte erinnerte, die vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen. In der Loge hat er das Motiv des Schauessens radikal konzentriert – und ins Humoristische, ja Menschenfreundliche gewendet. Dies ist eine jener Stellen, an denen wir bemerken können, dass der Satiriker zwar noch lebt, aber seine Richtung ein wenig geändert hat. Was einst zum Sprungbrett für mehr oder weniger witzige oder gallige Bemerkungen über die Ausbeutung der Untertanen, die Philosophie und die Seelenkunde diente, wurde nun zur Plattform für eine literarische Humananthropologie, die das Schauessen einem Wechsel von „Spiel und Ernst“ aussetzt, der nicht mehr auf Teufel komm raus ätzen will.
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[1] Köstlich: der Begriff, unreflektiert aus der sprichwörtlichen Feder geflossen, macht in Zusammenhang mit dem Essen besonderen Sinn.
[2] Sämtliche Hörtexte der Bayreuther Stationen haben wir auf der Doppel-CD Träume, Reisen, Humoresken verewigt.
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Der Erzähler, bei Wutzens eingeladen, findet ganz köstliche[1] Vergleiche für das Essen, das ihn in des Schulmeisters Stube erwartet:
Unsere Schaugerichte waren vielleicht für einen Kurfürsten zu kostbar: denn sie bestanden nicht etwa aus Porzellan, Wachs oder aus Alabaster-Sämereien auf Spiegelplatten und waren nicht etwa bloß wenige Pfund schwer: sondern die beiden Schaugerichte wogen sechzig und waren vom nämlichen Meister und von der nämlichen Materie wie die Kurfürstenbank, von Fleisch und Blut, nämlich Wutzens Kinder. Ein geistlicher Kurfürst würde vor Vergnügen keinen Bissen essen können, wenn er, wie wir, neben seiner Riesen-Tafel ein Zwerg-Täfelchen mit seinen Kleinen darum stehen hätte. Ihr Tisch war nicht viel größer als eine Heringschüssel; sie sahen aber auf Verhältnis und speiseten auf dem lilliputischen Tafel-Service, wovon sie seit Weihnachten mehr spielenden als ernsthaften Gebrauch gemacht hatten. Die Kleinen waren außer sich, ihr Fleisch auf Oblaten von Tellern und mit Haarsägen von Messern zu zerschneiden; – Spiel und Ernst flossen hier wie bei essenden Schauspielern ineinander; und am Ende sah ich, dass es bei mir auch so war und dass mein Vergnügen von erkünstelter Kleinheit und Armseligkeit käme.
Wir haben auf unserem Jean-Paul-Weg auch – an der Station Waldhütte – mit einem Hörtext[2] auf ein satirisches Schauessen hingewiesen, das der Dichter in der Auswahl aus des Teufels Papieren untergebracht hat: Wie ein Fürst seine Unterthanen nach der Parforcejagd bewirthen lassen. Der Text ist eine bitterböse Satire auf die Fürsten, die ihre Bauern hungern lassen, und auf die Bauern, die nicht wissen, was sie fressen sollen. Hier nur ein charakteristischer Ausschnitt:
Hierin wurde auch, wie ich hätte voraussagen wollen, fast nichts gesparet, sondern Schaugerichte aller Art sowohl aus erhabener Arbeit von Porzellain, Glas und Wachs, als aus Pastellgemälden von gepülvertem Alabaster auf Spiegelplatten aufgetragen, standen häufig auf den langen rot abgefärbten Tafeln hin, woran die Bauern mit ihren geniessenden Augen hinauf und heruntersaßen: es gefiel ihnen aber fast kein Gericht mehr als eine wächserne Vorstellung ihrer durch Hegen und Jagen des Wildes zertretenen Felder, die sie beständig mit den vor ihnen liegenden abgeerndeten Originalen geschickt zusammenhielten. Was die allgemeine Freude an die äussersten Grenzen trieb, war dass jeder, nachdem er sich an diesen gesunden Speisen völlig satt gesehen hatte, vom Tische aufstehen und zum Überflus allerlei Viktualien, die Leute aus der Stadt in Menge hergeschoben hatten, für Geld und gute Worte leichtlich haben konnte. Sogar vom erlegten Wildpret liess ihnen der Fürst so viel zukommen als sie nur kaufen wollten, als welches (und viele rühmten es auch) in einem Überfluss vorhanden war, dass es gröstenteils anbrüchig und stinkend wurde: denn die Jagdhunde konnten nicht alles, was die Bauern ungekauft gelassen, zusammenfressen. Unser gnädigster Fürst, der (und desgleichen auch unsere Landesmutter) darauf dringt, dass seine Leute mehr als gewöhnlich lustig sind, hat daher den Landleuten zu mehreren solchen Parforcejagden und kalten Küchen hinlängliche Hoffnung gemacht...
Interessanterweise hat Jean Paul das Thema so interessiert, dass er ihm noch weitere Texte gewidmet hat. Unter den Vorstufen der Auswahl aus des Teufels Papieren findet sich unter der Nummer VIII die Bibliothek von Schriften die Schauessen betreffend: mit insgesamt vier Texten, die in der Werkausgabe immerhin 28 Druckseiten einnehmen.
Jean Paul hat das alles nur zwei Jahre vor der Niederschrift der Unsichtbaren Loge geschrieben – unwahrscheinlich, dass er sich nicht an diese etwas älteren Texte erinnerte, die vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen. In der Loge hat er das Motiv des Schauessens radikal konzentriert – und ins Humoristische, ja Menschenfreundliche gewendet. Dies ist eine jener Stellen, an denen wir bemerken können, dass der Satiriker zwar noch lebt, aber seine Richtung ein wenig geändert hat. Was einst zum Sprungbrett für mehr oder weniger witzige oder gallige Bemerkungen über die Ausbeutung der Untertanen, die Philosophie und die Seelenkunde diente, wurde nun zur Plattform für eine literarische Humananthropologie, die das Schauessen einem Wechsel von „Spiel und Ernst“ aussetzt, der nicht mehr auf Teufel komm raus ätzen will.
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[1] Köstlich: der Begriff, unreflektiert aus der sprichwörtlichen Feder geflossen, macht in Zusammenhang mit dem Essen besonderen Sinn.
[2] Sämtliche Hörtexte der Bayreuther Stationen haben wir auf der Doppel-CD Träume, Reisen, Humoresken verewigt.