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24.04.2025, 12:31 Uhr
Thomas Kraft
Text & Debatte

Krafts Schattenkanon. Eine Ergänzung. Teil 12: Alexander Moritz Frey, Solneman der Unsichtbare (1914)

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Aus dem Nachlass des Autors © Elsinor Verlag

300 Jahre Literaturgeschichte hat sich der Münchner Schriftsteller und Publizist Thomas Kraft vorgenommen, um für das Literaturportal Bayern einige Schätze zu heben. Rund 40 unentdeckte Romane und Erzählungen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren –  darunter bekannte wie weniger bekannte – finden in dieser kurzweiligen Reihe (neu) ans Licht.

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Am 7. August 1919 schreibt Kurt Tucholsky in der Weltbühne über Freys Roman Solneman der Unsichtbare: „Es geht alle an, die Spaß an barockem Humor haben. Ich sage absichtlich nicht: grotesk – das ist dieser Humor auch –, aber da ist doch noch ein Ton, der aufhorchen macht, und der nicht auf der Mohnwiese E. A. Poes gewachsen ist: ein schneidender, eiskalter Ton.“ Erste literarische Versuche hat Frey zu diesem Zeitpunkt bereits gemacht, beeinflusst von Wilhelm Hauffs Märchen, E.T.A. Hoffmanns Erzählungen, später dann „behext“ von Edgar Allen Poe. Kurz darauf veröffentlicht er im Münchner Delphin Verlag seinen Roman Solneman der Unsichtbare, über den Kurt Tucholsky außerdem schreibt, man könne ihn „an einem stillen Sonntagnachmittag ganz allein auf dem Sofa durchlesen und durchlachen“.

Als der Roman im August 1914 erstmals als Teilabdruck in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wird, befindet sich Europa bereits im Krieg. Im Jahr darauf, 1915, tritt Frey als Sanitäter an der Westfront an, wo er – in einer schicksalhaften Fügung – in einem Regiment dient, dem auch Adolf Hitler als Gefreiter angehört. Frey versorgt den späteren Diktator mehrfach wegen Magenbeschwerden und schildert in seinen Erinnerungen, wie dieser versucht habe, ihn für seine politischen Ideen zu gewinnen. Auch nach 1919 begegnet Frey Hitler immer wieder in München. Seine traumatischen Kriegserfahrungen verarbeitet der Schriftsteller in seinem Roman Die Pflasterkästen (1929), der im selben Jahr wie Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues erscheint und große Beachtung findet.

Nach der Machtergreifung Hitlers flieht Frey zunächst nach Österreich und emigriert 1938 nach Basel. Die Jahre im Schweizer Exil sind von Entbehrungen und zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Behörden geprägt, die ihm zeitweise ein Schreibverbot auferlegen und ihn, so Frey, zu einem „Schriftsteller unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ machen. Nach dem Krieg richtet Frey eine scharfe Anklage gegen jene Schriftsteller, die im Oktober 1933 vor Hitler das „Gelöbnis treuster Gefolgschaft“ ablegen und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiter publizieren, als ob nichts geschehen wäre. Mit seiner „Liste der Unentschuldbaren“ stellt er sich gegen diese als opportunistisch und moralisch verwerflich betrachteten Kollegen. Alexander Moritz Frey stirbt 1957 in Basel.

Der satirische Roman Solneman der Unsichtbare erzählt von einem seltsamen Fremden, Hciebel Solneman (rückwärts gelesen: namenlos lebe ich), der den Bürgern einer Stadt (die unschwer als München zu erkennen ist) für eine Unsumme den Stadtpark abkauft, eine dreißig Meter hohe Mauer um das Grundstück zieht und die Bürger so foppt, dass diese von der Neugier auf das, was der neue Besitzer darin treibt, zerfressen werde. Es geht verrückt zu: Wilde Tiere kommen vor, tollkühne Piloten und Wilhelm II. Zu lesen ist, wie eine vor Neugier und Misstrauen sterbende Mehrheitsgesellschaft den sich hinter hohen Mauern verbergenden Sonderling bedrängt. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft versuchen die Städter, seiner ansichtig und habhaft zu werden, aber er ist ihnen immer voraus. Auch wenn die Stadtbewohner irgendwann gar das Militär schicken, um sich Einblick zu verschaffen, handelt es sich bei dem Roman nicht bloß um eine weitere Satire auf das Kaiserreich. 

Schon allein Freys Talent, den „markigen“ Zeitton genau zu treffen und gleichzeitig ironisch zu brechen und feine Beobachtungen mit grellen Bildern zu kombinieren, lässt verstehen, warum Thomas Mann vom Roman begeistert war. Eine Gesellschaftssatire von Format. Oder wie Sibylle Lewitscharoff im Vorwort schreibt: „Geheimnisse, die der Leser nicht ergründen kann, befördern das Faszinosum des schmucken Romans. Man glaubt zu wissen, wohin die Reise geht, und weiß es wiederum nicht. Das ist aufregend, hält die Spannung, vermeidet jedoch Exaltationen, die allzu beschwingt auf einem Märchenteppich herumfliegen, über dem sich die Erfindeleien bauschen. Dazu passt, dass die Sprache Freys nüchtern bleibt, aber niemals fad oder gar abgestanden wirkt … Da wird ein Potpourri aus Neid, Habsucht, Neugier gepaart mit der Bosheit angerührt, wobei das eigentliche Geheimnis des sonderbaren Parks niemals zur Gänze gelüftet wird … Das ist spannend, das hat Pfeffer und ist äußerst kunstvoll in Szene gesetzt.“

Alexander Moritz Frey: Solneman der Unsichtbare. Roman. Mit einem Vorwort von Sibylle Lewitscharoff. Elsinor Verlag, Coesfeld 2019

Lesen Sie nächste Woche über ein Meisterwerk der Mystik und der schwarzen Romantik aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.